Erklärung zu meinem Verhältnis zur GDL und zum Verhältnis von BfA und GDL

In den aktuellen Diskussionen innerhalb von Bahn für Alle und insbesondere in Beiträgen, die in jüngerer Zeit seitens Carl Waßmuth, Bernhard Knierim, Katrin Kusche und Sabine Leidig kritisch an mich gerichtet waren, werden die Positionen der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) als mit den Positionen von Bahn für Alle unvereinbar dargestellt. Meist geht es dabei um die Position, die die GDL in Sachen Bahn-Infrastruktur und Wettbewerb auf der Schiene einnimmt, wobei dies eher schlagwortartig erfolgt. Nicht selten wird – darüber hinausgehend – eine pauschale Kritik und Ablehnung der GDL geäußert. So wird mir beispielsweise seitens Carl W. vorgeworfen, ich hätte „zwei Loyalitäten“, die eine gelte Bahn für Alle, die andere der GDL; ich müsse mich zwischen diesen beiden „Loyalitäten“ entscheiden. Vergleichbar argumentierte Bernhard K. am 1. 3. in einer BfA-Rundmail. Kritisch verwiesen wird auf die „Goldene Ehrennadel [der GDL]“, die mir im September 2021 von Claus Weselsky auf der GDL-Betriebsrätetagung in Bremen verliehen wurde. Die „Streikzeitung“, die u.a. während des GDL-Streiks 2021 erschien und die von mir verantwortet wurde, wird dabei pauschal kritisiert.

Dazu stelle ich fest:

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Mein Zugang zum Thema Verkehr und Bahn ist, wie seit Anfang der 1980er Jahren in all meinen Veröffentlichungen dokumentiert, ein vielfältiger. Es gibt dabei kulturelle, ökonomische, ökologische und politisch-soziale Aspekte. Das Letztere betreffend: Ich stehe als demokratischer Sozialist (seit 1970) und als gewerkschaftlich Organisierter (seit 1972 im DGB) an der Seite der arbeitenden Menschen, insbesondere der Lohnabhängigen. Ich unterstütze deren Kämpfe für höhere Arbeitseinkommen, bessere Arbeitsbedingungen, gegen Unternehmerwillkür und für das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung. Das erscheint mir von der politischen Grundausrichtung logisch und hinsichtlich meiner soziologischen Lage selbstverständlich.1 Die GDL hat seit 2008 eine Reihe von mutigen Arbeitskämpfen für diese Positionen geführt. Sie waren gerechtfertigt. Ich habe sie unterstützt. In einem Land, in dem es viel zu wenige eigenständige Kampfaktionen der Lohnabhängigen und ihrer Beschäftigten gibt, sind die Arbeitskämpfe der GDL beispielhaft. Entsprechend positiv ist deren Ausstrahlung auf alle Lohnabhängigen und auf alle Gewerkschaften.

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Die Bahnfachleutegruppe Bürgerbahn statt Börsenbahn (BsB) – seit BfA-Gründungsmitglied bei Bahn für Alle – und Bahn für Alle selbst hatten bis in jüngerer Zeit ein gutes Verhältnis zur GDL. In BsB gibt es seit Gründung und bis heute GDL-Mitglieder. Ein wichtiges Gründungsmitglied von BsB war im Jahr 2000 Hans-Joachim Kernchen, damals Vorsitzender der GDL Berlin-Brandenburg-Sachsen.2 Wir haben als Bahn für Alle eine größere Zahl von Veranstaltungen gemeinsam mit der GDL oder unterstützt von dieser Gewerkschaft durchgeführt. So gab es am 31. Mai 2016 eine Bahn-für-Alle-Pressekonferenz mit Claus Weselsky zum Thema Verteidigung der Nachtzüge (andere Podiumsteilnehmende waren u.a. Sabine Leidig und Joachim Holstein). Am 9. September 2016 gab es im Bundestag einen gemeinsamen Workshop von LINKE, vertreten durch Sabine Leidig, und der GDL, vertreten durch Claus Weselsky, zum Thema Infrastruktur der Bahn. Bahn für Alle warb für diese Veranstaltung. Am 27. März 2019 stellte Bahn für Alle in der Bundespressekonferenz den Alternativen Geschäftsbericht Deutsche Bahn AG vor – zusammen mit Claus Weselsky und Vertretern des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21. Bernhard Kierim und ich luden zu dieser Pressekonferenz gemeinsam ein. Anfang 2022 veröffentlichte die GDL-Zeitung „Voraus“ ein Interview mit mir als Vertreter von Bahn für Alle – verbunden mit Werbung für das Buch Knierim/Wolf, „Abgefahren. Warum wir eine neue Bahnpolitik brauchen“. Im selben Buch findet sich an prominenter Stelle (S.209-211) ein Beitrag von Claus Weselsky selbst.

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In den aktuellen Debatten wird seitens der Genannten argumentiert, in Bezug auf EVG und GDL stünde Bahn für Alle der EVG näher, da diese doch „für eine integrierte Bahn“ eintreten würde. Es mag so sein, dass die Genannten heute eine solche Nähe zur EVG haben und deren sklavische Verteidigung der Deutschen Bahn AG und der bahnzerstörerischen Politik dieses Konzerns mit einem Eintreten für eine integrierte Bahn verwechseln. Unbestreitbar ist, dass es auch in der EVG engagierte und unterstützenswerte Gewerkschaftsmitglieder gibt. Hinsichtlich der Führung der beiden Gewerkschaften gibt es jedoch erhebliche Unterschiede, die bislang von Bahn für Alle auch vielfach verdeutlicht wurden. Der Film „Bahn unterm Hammer“, erstmals im Mai 2007 im Kino „Babylon“ in Berlin aufgeführt, ist eine Art Gründungsdokument von Bahn für Alle. Die Filmemacherin Leslie Franke und der Filmemacher Herdolor Lorenz sind eng mit uns verbunden. In der Erstfassung dieses Films tritt der damalige Bundesvorsitzende der GDL auf. In der späteren, 2008er Fassung des Films tritt der heutige Vorsitzende der GDL auf. In beiden Fällen handelt es sich um Auftritte, mit denen das Hauptanliegen des Films unterstützt wird. Warum ist die GDL in diesen Filmfassungen vertreten und warum glänzt in diesen die Transnet-EVG-Führung durch Abwesenheit? Ganz einfach: Weil der damalige GDL-Vorsitzende Manfred Schell im Dezember 1993 als einziger CDU-MdB – übrigens zusammen mit der PDS – gegen die Bahnprivatisierung gestimmt hat. Und weil die GDL sich auch in den Folgejahren mit ihrem Vorsitzenden Claus Weselsky gegen den Bahnbörsengang positionierte. Und wie verhielt sich die Bahngewerkschaft Transnet, die heutige EVG? Das erklärte Sabine Leidig am 31. August 2016 in einem Brief an den EVG-Vorstand überzeugend wie folgt: „Es gab auf der einen Seite das breite, 2005 gegründetes Bündnis Bahn für Alle, in dem Attac, BUND, Robin Wood und Bürgerbahn statt Börsenbahn die Aktiven stellten und dem sich bis 2008 auch verdi und die IG Metall anschlossen. Als damalige Geschäftsführerin von Attac war ich maßgeblich an diesem Projekt beteiligt – ebenso wie Bernhard Knierim und Winfried Wolf, zwei meiner aktuellen Büro-Mitarbeiter. Die Gewerkschaft Transnet, Vorgängerin der EVG, lehnte nicht nur eine Beteiligung am Bündnis ab. Sie unterstützte vielmehr die Politik von Bahnchef Mehdorn, der Großen Koalition und von SPD-Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee – mit dem traurigen Höhepunkt, dass 2008 der langjährige Transnet-Vorstandsvorsitzende zum Arbeitgeber überlief und Mitglied des Bahnvorstands wurde.“ Zitat – ENDE.3

Bis heute verfolgt die EVG-Führung einen vergleichbaren Kurs. Ihr heutiger Vorsitzender Klaus-Dieter Hommel war 2005 bis 2008 Vorsitzender der Bahngewerkschaft GDBA, die später in Transnet aufging. Er war eng mit Hansen verbunden und unterstützte den Bahnbörsengang tatkräftig. Die heutige EVG mit ihrem Vorsitzenden Klaus-Dieter Hommel unterstützt alle wichtigen Entscheidungen des Vorstands der Deutschen Bahn AG – sei es in Sachen Stuttgart 21, sei es hinsichtlich der Politik des Konzerns als Global Player, sei es im Fall der Anwendung des Tarifeinheitsgesetzes.

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Wie erwähnt unterstützte ich die Arbeitskämpfe, die die GDL führte – und dies bereits 2008. Beim GDL-Arbeitskampf 2014/15 gründete ich die „Streikzeitung“, die damals mit sechs Ausgaben erschien; eine dieser Ausgaben wurde in einer Auflage von 100.000 gedruckt und lag der „Frankfurter Rundschau“ bei. Im Fall des jüngsten Arbeitskampfes 2020/21 reaktivierte ich das Projekt „Streikzeitung – in Solidarität mit der GDL“. Diese erschien mit zwei Ausgaben; die erste Ausgabe erzielte 90.000 Exemplare Auflage und lag der Taz bei.

Die „Streikzeitung“ fand breite Unterstützung – nicht zuletzt aus den Reihen von fortschrittlichen DGB-Kolleginnen und Kollegen. Sie wurde 2015 auch von allen Mitgliedern von BsB unterstützt. Auch ist Sabine Leidig als Unterstützerin der „Streikzeitung“ ausgewiesen. Viele aus Bahn für Alle unterstützten diese Zeitung; als Verband war uns eine offizielle Unterstützung vor allem deshalb nicht möglich, da die damals noch aktive Gruppe „Bahn von unten“ in der EVG sich dem ultimativ entgegen gestellt hatte. Prüft man, was sich seit 2014/15 verändert hat, dann lässt sich sagen: Ja, es hat sich etwas gewaltig geändert – inzwischen wird das Tarifeinheitsgesetz angewandt. Und es wird vor allem gegen die GDL angewandt. Es handelt sich dabei um ein offen gewerkschaftsfeindliches und antidemokratisches Gesetz. Es liegt daher auf der Hand, dass Demokratinnen und Demokraten und Gewerkschaftsaktive in einer entsprechenden Auseinandersetzung solidarisch mit der GDL sind. Oder, wie es in der Plattform der Streikzeitung vom Sommer 2021 heißt: „Die GDL bewies in den vergangenen 15 Jahren mehrmals in Arbeitskämpfen, dass sie konsequent für die Interessen der Bahnbeschäftigten eintritt. Sie wurde deshalb vom Vorstand der Deutschen Bahn AG, von den Unternehmerverbänden und von einem großen Teil der Medien mit einer wahren Hasskampagne überzogen. […] Im Fall der GDL soll ein Exempel statuiert werden. […] Heute kommen zwei Dinge hinzu: Erstens soll zum ersten Mal das Tarifeinheitsgesetz angewendet werden. Dieses wurde exakt am Ende des erfolgreichen GDL-Arbeitskampfes 2015 im Bundestag beschlossen, um zukünftig kämpferische „Spartengewerkschaften“ auszuschalten. Zweitens befindet sich der Bahnkonzern zu 100 Prozent in Bundeseigentum. Der eigentliche Gegner ist damit die Bundesregierung, hinter der wiederum die Unternehmerverbände stehen.“

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Die 22jährige Geschichte von BsB und die 17jährige Geschichte von BfA unterstreichen unsere grundsätzliche Solidarität und Zusammenarbeit mit der GDL. Wenn argumentiert wird, wir hätten primär Differenzen mit der GDL und wenn gar von mir eine Art Distanzierung von der GDL verlangt wird, dann machen diejenigen, die so argumentieren, deutlich, dass sie wendehälsig sind und die gute Tradition von Solidarität und Zusammenarbeit mit der GDL verlassen haben.

Jeder politische Mensch hat ja bei einem Blick auf sein Leben eine gemischte Bilanz. So ich auch. Auf drei Dinge in meinem mehr als 50jährigen politischen Engagement bin ich jedoch ausgesprochen stolz. Dazu gehört meine politisch begründete Kriegsdienstverweigerung mit Bezug auf den faschistischen Putsch nach Nato-Plan im April 1967 in Griechenland. Dazu gehört meine – zusammen mit den MdBs Ulla Jelpke und Heidi Lippmann (und gegen den Willen der übrigen PDS-Fraktion) – am 23. Mai 2001 durchgeführte Aktion gegen den US-Präsidenten George W. Bush während dessen kriegstreiberischen Rede im Deutschen Bundestag. Und dazu gehören meine praktische Solidarität mit der GDL, meine Freundschaft mit deren Bundesvorsitzendem und das Projekt „Streikzeitung“.

WW, Potsdam, 3. März 2022

1 Ich bin Intellektueller und hatte ein kleinbürgerliches Elternhaus. Laut Statistik haben Menschen meiner gesellschaftlichen Schicht eine um rund sieben Jahre höhere Lebenserwartung als Menschen, die im produktiven Bereich und mit eher wenigem Einkommen arbeiten müssen. Auch von daher sehe ich eine moralische Verpflichtung darin, einen Teil der Vorteile, die unsereiner in der bestehenden (Klassen-) Gesellschaft genießt, denen in Form von Solidarität und Wissen weiter zu geben, die hart malochen und entfremdet arbeiten müssen.

2 Wobei wir uns immer auch bemüht haben, aktive EVG-Mitglieder bei BsB und BfA zu haben. In den ersten Jahren von BsB (2000-2003) gab es sogar auch das Transnet-Vorstandsmitglied Matthias Freitag BsB-Mitglied. Er verunglückte 2002 tödlich. Im Zeitraum 2006 bis 2015 war „bahn von unten“ (in der EVG aktiv) in BfA präsent. Spätestens mit dem Tod von Hans-Gerd Öfinger im März 2021 ist dieser Kontakt abgerissen.

3 Bernhard Knierim und Winfried Wolf schrieben dazu: „Hansen arbeitete lediglich ein knappes halbes Jahr für die DB AG. Die Vergütung seiner Vorstandstätigkeit – oder sollte man sagen: der Judas-Lohn für den Seitenwechsel? – betrug im Jahr 2008 556.000 Euro und im Jahr 2009 467.00 Euro plus eine Abfindung von 2,256 Millionen Euro.“ Knierim/Wolf, Bitte umsteigen! 20 Jahre Bahnreform, Stuttgart 2014, S. 251.