Zum Tod von Prof. Dr. Jürgen Rochlitz

Nachruf der Bahnexpertengruppe Bürgerbahn statt Börsenbahn und des Bündnisses Bahn für Alle auf einen Freund und Kämpfer

Mit Jürgen Rochlitz – gestorben am 19. September im Alter von 82 Jahren – verlieren wir einen guten Freund und leidenschaftlichen Mitstreiter. Wir haben mit ihm rund zwei Jahrzehnte lang als Gruppe – einige von uns noch länger – zusammengearbeitet. Wir waren mit ihm freundschaftlich verbunden – durch unser Engagement, aber vielfach auch durch persönliche Freundschaften und gemeinsame Reisen. Ihn zeichnete ein derart breites Band von Engagements aus, wie es heute selten anzutreffen und zugleich vorbildlich ist.

Jürgen kämpfte seit vielen Jahrzehnten gegen Atomkraftwerke, gegen zerstörerische Großprojekte und für eine dezentrale alternative Energieerzeugung bzw. für Energieeinsparung. Seine Ausbildung (als promovierter Chemiker) und seine Profession (u.a. als Professor für Organische Chemie, später auch als Sachverständiger in Kommissionen des Bundes) bildeten bei diesen Engagements eine wesentliche Grundlage. Im Sommer 2007, als die Atomlobby gerade einmal wieder Oberwasser hatte, sagte Jürgen in einem Interview mit der Tageszeitung „junge welt“: „Wer weiter auf die Dinosauriertechnologie Atomkraft setzt, verhindert damit die Weiterentwicklung von Alternativen der Energiegewinnung. […] Der umweltfreundlichste Reaktor wird in sicherer Entfernung betrieben – auf der Sonne. Ihn in vollstem Umfang – als eingestrahlte Energie selbst, als umgewandelte Energie in Form von Wind und Biogas – zu nutzen, ist weltweit das Gebot der Stunde.“

An diese Position schloss sich logisch das Engagement gegen Stuttgart 21 an. Jürgen gehörte – wie alle Mitglieder der Gruppe Bürgerbahn statt Börsenbahn (BsB), zu den ganz frühen Kämpfern gegen das zerstörerische Projekt eines Tiefbahnhofs in Stuttgart. Die „Schlichtung“ zu S21 kommentierte er 2011 wie folgt: „Heiner Geißler, das Trojanische Pferd von Mappus und Merkel , außen humorvoll, zuvorkommend, ganz Attacci, innen der alte Generalsekretär, der gegen GRÜNE und Friedensbewegung hetzte, zelebrierte ein zwar faires Verfahren. […] Doch letztlich fiel seine Entscheidung für S21. Damit wurde der Bürgerwillen missachtet.“

Jürgen war überzeugter Pazifist. Die Konsequenz, mit der er die Friedensposition vertrat, führte zu einer grundlegenden politischen Neuorientierung. Obgleich Jürgen Mitbegründer der Grünen war, obgleich er Ortsverbände der Grünen, so den in Neustadt an der Weinstraße, mit begründet hatte, obgleich er zunächst Landtagsabgeordneter und dann – 1994 bis 1998 – Bundestagsabgeordneter der Grünen war, trat er 1999 aus der Partei DIE GRÜNEN aus. Der Grund: Die Grünen hatten als Regierungspartei in der ersten rot-grünen Koalition dem Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien und einem Einsatz der Bundeswehr in diesem Krieg zugestimmt. In einer Debatte, die dazu im Jahr 2002 in der „Frankfurter Rundschau“ wiedergegeben wurde, schrieb er: „Zum Glück wird der Pazifismus, der mit den Namen Bertha von Suttner, Rosa Luxemburg, Carl von Ossietzky, Kurt Tucholsky, Mahatma Gandhi, Martin Luther King und Nelson Mandela verbunden ist, sowohl den [Grünen-] Staatsminister Ludger Volmer als auch den von ihm erfundenen ´politischen Pazifismus´ überleben.“

Das direkte demokratische Engagement vor Ort und damit die gelebte Demokratie – das war für Jürgen eine Herzensangelegenheit. Sei es in vielfältigen lokalen Engagements dort, wo er jeweils wohnhaft war – in Mannheim in Baden-Württemberg, im hessischen Burgwald-Ernsthausen oder im brandenburgischen Strodehne. Sei es auf Bundesebene im Vorstand des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) und als Mitglied im Beirat der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG). In einem Vortrag, gehalten am 5. Oktober 2011 auf einem Seminar des Beamtenbundes (dbb), führte er aus: „Was läuft in Sachen Demokratie in den Industriestaaten falsch? Gerade in letzter Zeit hat sich in Deutschland auf vielen Sektoren gezeigt, dass Bürgerwille und Aktivitäten von Gesetzgebungskörperschaften nicht kongruent sind. Vom ´Wutbürger´ war da die Rede. Dabei handelt es sich hauptsächlich um MUTbürger, […] also um Bürger, die den Mut aufbringen, zu protestieren gegen Projekte, die ihre elementaren Rechte und Interessen berühren. Es ist schon eigentümlich, dass der Widerstand solcher Mutbürger in der DDR des Jahres 1989 auch heute noch mit großem Respekt und vollem Recht gerade jetzt wieder gefeiert wird. Dass aber ähnliche Widerstandsaktionen […] gegen die Atompolitik, gegen Stuttgart 21, gegen eine CO-2-Pipleline der Fa. BAYER bei Düsseldorf in den Medien missachtet und verhöhnt werden.“

Jürgen Rochlitz war engagierter Freund der Schiene und Beförderer einer umweltfreundlichen Bahn. Er war 2001 Gründungsmitglied unserer Bahnfachleute-Gruppe Bürgerbahn statt Börsenbahn. Er nahm an vielen Dutzend Aktivitäten unserer Gruppe teil. Er war vielfach in Stuttgart vor Ort; unter anderem als Redner auf Montagsdemonstrationen. Er betonte die Notwendigkeit, vor allem den Güterverkehr auf Schienen zu fördern, und war Gründer des Vereins „Güterzüge statt Laster“. 1999 schrieb er in einem Grundlagentext „Güterverkehr auf der Schiene – Chance statt Risiko für die Deutsche Bahn AG“: „Die Transportleistung von 318 Milliarden Tonnenkilometern im Jahr 1998 (Bahn: 75,5 Mrd. tkm) auf den Straßen wird erkauft mit zahllosen Staus auf den Autobahnen, mit einer Zerstörung von Straßen ohnegleichen, mit beinahe achtmal höheren Schadstoffemissionen im Vergleich mit der Bahn […] Doch spätestens mit der Privatisierung der Bahn ist deren Interesse an einer Bedienung der Fläche gesunken: Infrastrukturen wie Gütergleise, kleinere und mittlere Güterbahnhöfe und Lagerhallen werden entfernt, stillgelegt und verkauft. […] Ja schlimmer: Die Tochter DB Cargo ist nur noch interessiert an den großen Linien mit Ganzzügen […] Die Fehlentwicklung des Güterverkehrs muss gestoppt werden – auch dies wäre die Aufgabe einer Bürgerbahn.“

All das, wofür sich Jürgen engagierte, ist auch heute ein derart leidenschaftliches Engagement wert, wie es Jürgen Rochlitz aufbrachte. Ja, ein solches Engagement gegen Atomkraft (schon fordert der VW-Boss Herbert Diess den Weiterbetrieb der AKW, um „Elektromobilität zu ermöglichen“), gegen Stuttgart 21 (das Projekt blockiert inzwischen den „Deutschlandtakt“ im Südwesten), gegen Krieg (ein solcher droht aktuell am Persischen Golf), für direkte Demokratie (welche die Fridays for Future so begeisternd fordern und die sie am weltweiten Klimastreiktag, dem 20. September, mit in Deutschland mehr als einer Million Beteiligter auf den Straßen einklagten) und nicht zuletzt für eine Bürgerbahn anstelle einer Börsenbahn (was mit der akuten Krise der Bahn immer wichtiger wird) – all diese Engagements sind notwendiger denn je.

Wir werden das Engagement und die Arbeit von Jürgen fortsetzen. Das sind wir ihm schuldig.

Bahnexpertengruppe Bürgerbahn statt Börsenbahn (BsB): Prof. Dr. Karl-Dieter Bodack (Gröbenzell), Michael Bienick (Lübeck), Thilo Böhmer (Rodgau), Dr. Christoph Engelhardt (Garching), Klaus Gietinger (Saarbrücken), Dipl. Ing. Eberhard Happe (Celle), Johannes Hauber (Mannheim), Prof. Dr. Wolfgang Hesse (München), Joachim Holstein (Hamburg), Andreas Kegreiß (Herrenberg), Andreas Kleber (Schorndorf), Dr. Bernhard Knierim (Werder), Karl-Heinz Ludewig (Berlin), Thomas Kraft (Lahnau), Prof. Dr. Heiner Monheim (Malente), Gangolf Stocker (Stuttgart), Dr. Winfried Wolf (Wilhelmshorst).

Dieser Nachruf von WW auf den Freund J.R. – verfasst für die Bahnexpertengruppe BsB – erschien exklusiv auf dieser Website.