blog 18: Im 1990er Jahre Duden gibt es zwar das Wort „Starkbier“, nicht jedoch den Begriff „Starkregen“

Oder: Das menschengemachte Hochwasser, die Heuchelei der Herren Laschet, Steinmeier & Söder und die unzureichende Klimapolitik der Grünen

Vier Tage – Donnerstag bis Sonntag: Dutzende Stunden mit Berichterstattung über das Hochwasser und seine Folgen – fünf Tote, fünfzig Tote, hundertfünfzig Tote… Sondersendungen am laufenden Band. Interviews mit Betroffenen. Äußerungen von Betroffenheit. Immer wieder die gleichen Bemühungen, durch spezifische Wortschöpfungen die Exklusivität der Ereignisse hervorzuheben: Die Rede ist von einem „Jahrhunderthochwasser“, von einer „Extremwetterlage“. Am stärksten vertreten der Begriff „Starkregen“. Im Duden der 1990er Jahre gibt es zwar das Wort „Starkbier“, nicht jedoch den Begriff „Starkregen“. Dabei kam es natürlich auch in den 1990er Jahren und davor zu Hochwasser in Folge von starken Regenfällen; die deutsche Sprache erfasste auch die Realität. Doch zur Flankierung der in diesem Beitrag beschriebenen Heuchelei sind Begriffe wie die Genannten hilfreich.[1]

Und dann gibt es in der aktuellen Berichterstattung hundertfach Formulierungen der Art: Mit so etwas habe man „wirklich nicht rechnen“ können. Was besonders deutlich mit dem Begriff „Jahrhundertkatastrophe“ unterstrichen wird. Im Übrigen, so Söder, Laschet, Scholz und Steinmeier, werde man jetzt forciert Klimaschutzpolitik machen. Der bayerische Ministerpräsident fordert, „jetzt einen vorausschauenden Klimaschutz zu betreiben.“ Womit er indirekt einräumt, dass Klimaschutz im Deutschland bestenfalls Nachtrabpolitik war. Besonders offensiv argumentiert hier NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, der „mehr Tempo beim Klimaschutz“ fordert und unterstreicht: „NRW ist das Land, das hier am meisten tut.“ Kein anderes Land habe ein solch vorbildliches „Klimaanpassungsgesetz“ wie dieses Bundesland.[2]

Einiges von dem in diesen Tagen Geäußerten ist schlicht unwahr. Das meiste ist billiges Wortgeklingel. Und alle Erklärungen seitens der führenden Politiker von CDU, CSU, FDP und SPD sind durchdrungen von einer unsäglichen Heuchelei.

Wirklich „nicht vorhersehbar“?

Beginnen wir mit den Behauptungen, das Hochwasser sei „nicht vorhersehbar“ gewesen. Was ja insofern wichtig ist, als mit dieser Aussage die enorm hohe Zahl von Toten und Verletzten als nicht vermeidbar dargestellt wird. Tatsächlich sagten Meteorologen die massiven Regenfälle seit Tagen, spätestens seit Dienstag, dem 13. Juli voraus. Und dies auch weitgehend bezogen auf die Regionen, in denen es dann zu diesen starken Regenfällen kam. Die Menge an Niederschlag war zwar enorm – doch sie war nicht völlig außergewöhnlich; es gab in jüngerer Zeit bereits massivere Regengüsse in anderen Regionen Deutschlands.

Letztlich lassen sich Wetterlagen wie diejenige der letzten Woche recht gut berechnen. So hatte ein Wettervorhersagemodell die Unwetterkatastrophe in der Nacht zum vergangenen Donnerstag seit Tagen angedeutet, wie Julian Quinting, Experte für Meteorologie und Klimaforschung am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), bestätigte. Entsprechend, so ein Zeitungsbericht, „gab es frühzeitig Warnungen vor extremen Niederschlag und Hochwasser.“[3] Vergleichbar äußerte sich auch der NRW-Ministerpräsident Laschet am ersten Tag der Hochwasserkatastrophe, als es erst wenige Todesopfer gab. Am Donnerstag, dem 15. Juli, bezog sich Armin Laschet ausdrücklich auf die „guten Prognosen des Deutschen Wetterdienstes“, der, zu einem Zeitpunkt „als noch die Sonne schien“, die Regengüsse vorhergesagt habe – weswegen man zumindest in Hagen, wo Laschet dies vor Ort äußerte, „gut vorbereitet“ gewesen sei.[4]

Das „Jahrhunderthochwasser“ war auch auf längere Sicht vorhersehbar gewesen. Vor genau einem Jahr legten österreichische Wissenschaftler eine Studie über „die europäischen Flusshochwasser der letzten 500 Jahre“ vor. Danach, so eine damals von Wolfgang Pomrehn auf Telepolis veröffentlicht Zusammenfassung der Studie, „gehörten die letzten Jahrzehnte zu den schlimmsten“. Wobei sich die jüngste Periode mit massiven Hochwässern „von den vorhergehenden insofern unterscheiden, als diese in den Phasen kälteren Klimas auftraten“, wo oft Schmelzwasser eine Rolle spielten. Weiter in der Zusammenfassung: „Die jüngste Häufung von Überschwemmungen an den Flüssen ereignete sich hingegen in einem deutlich wärmeren Klima.[…] Die Hochwasser treten inzwischen häufiger im Sommer auf.“[5]

So gut wie alle Bundesländer haben in jüngerer Zeit Studien erarbeitet, in denen Hochwassergefahren im jeweiligen Bundeland dargestellt sind. Diese beziehen sich zwar meist primär auf die großen Ströme und Flüsse wie Donau, Rhein, Elbe, Weser und Oder. In einer offiziellen Zusammenstellung dieser Hochwassergefahren in Nordrhein-Westfalen, herausgegeben vom Landesumweltministerium, wird jedoch auch ausdrücklich auf die Gefahren bei „kleineren Flüssen und Bächen“ hingewiesen – und dies wie folgt: „Heftige Sommergewitter können lokal auch kleinere Flüsse und Bäche sturzflutartig anschwellen lassen und so erhebliche Überschwemmungen verursachen. Deshalb muss auch an den kleineren Gewässern Hochwasserschutz betrieben werden.“ Betont wird, dass auf Basis dieser grundlegenden Überlegungen „Überschwemmungsgebiete“ ausgewiesen würden, dass auf diese Weise die Bevölkerung vor Ort gewarnt sei – oder jeweils zu warnen sei. Wobei en passant auch der Begriff „Jahrhundertkatastrophe“ abgeräumt wird. In dem Dokument der NRW-Landesregierung heißt es dazu: „Die Festlegung von Überschwemmungsgebieten dient dazu, die Betroffenen zu informieren, wohin das Wasser bei sehr hohen – den sogenannten hundertjährlichen – Hochwasserabflüssen gelangen kann.[…] Nur wenn die Menschen, die von einem derartigen Hochwasser betroffen wären, den Gefahrenbereich genau kennen, können sie sich darauf einstellen, vorsorgend handeln und sich im Katastrophenfall besser schützen.“[6]

Wie exakt die Hochwassergefahren seitens einzelner Landesregierungen bereits berechnet wurden, zeigt Baden-Württemberg. In einem aktuellen Bericht der Stuttgarter Zeitung heißt es „In Baden-Württemberg gibt es Flüsse, Bäche und andere Gewässer von zusammen 12 000 Kilometer Länge, die Hochwasserrisiken bergen. 967 der insgesamt 1101 Städte und Gemeinden im Land sind deswegen potenziell hochwassergefährdet. […] Landesweit beziffert das Umweltministerium das Schadensrisiko im Falle eines Extremhochwassers auf 30 Milliarden Euro. Das Risiko wächst mit der klimawandelbedingten Wahrscheinlichkeit von Starkregen.“[7] Danach sind 88 Prozent aller „Städte und Gemeinden“ im Südwest-Bundesland (967 von 1101) hochwassergefährdet.

Bilanz: Das Hochwasser war absehbar. Es gab entsprechende Warnungen. Offensichtlich wurden die Warnungen nicht ausreichend ernst genommen. Viel spricht dafür, dass entscheidende Behörden insofern versagt haben, dass an einigen Orten nicht rechtzeitig evakuiert wurde.

Was sind wesentliche Ursachen für das Hochwasser?

Der Zusammenhang zwischen den starken Regenfällen und der Klimaerhitzung wird inzwischen meist eingestanden. Doch mit den entsprechenden Hinweisen wird erneut suggeriert, dass es sich kaum um eine auch im unmittelbaren Sinn menschengemachte Entwicklung handeln würde. Wenn auf den Zusammenhang mit der Klimaerhitzung verwiesen wird, dann erweckt dies den Eindruck, dass es sich da einerseits um einen langfristigen Prozess handle, auf den man aktuell wenig Einfluss habe, und dass man ja andererseits auch langfristig bereits eine entsprechende „forcierte Klimaschutzpolitik“ verfolge. Zum letzteren siehe weiter unten.

Nachfolgend zum Thema „wenig Einfluss“: Bei all diesen Betrachtungen fehlt fast völlig der Aspekt der fortschreitenden Versiegelung der Böden im Allgemeinen und dabei die Rolle des Straßenverkehrs im Besonderen. Laut Umweltbundesamt sind in Deutschland aktuell 11,5 Prozent der gesamten Staatsgebietsfläche oder 38.669 Quadratkilometer durch Wohnungen, andere Bauten und vor allem durch „Verkehrsflächen“ versiegelt. Diese Zahlen sagen dem Publikum eher wenig. Entscheidend ist dabei die Dynamik: Seit mehr als 100 Jahren wächst der Anteil der versiegelten Flächen. Berücksichtigen wir nur die Zeit der letzten drei Jahrzehnte, dann lautet die Bilanz wie folgt: Im Zeitraum 1992 bis 2018 hat die Bodenversiegelung im Land um insgesamt 4.622 Quadratkilometer zugenommen – das waren zusätzliche 178 Quadratkilometer pro Jahr. Zwar hat das Tempo der Bodenversiegelung in den vergangenen Jahren abgenommen – es waren aber im vergangenen Jahrzehnt (2010 bis 2019) immer noch pro Jahr 65 Quadratkilometer neu versiegelte Flächen – was 22.400 Fußballfeldern entspricht.

Der größte Teil des Zuwachses an versiegelten Böden entfällt auf die „Verkehrsflächen“. Wobei dieser Begriff verschleiernd ist.[8] Tatsächlich geht es dabei zu 95 Prozent um Straßenbau und beim Rest um den Ausbau von Flughäfen. Nimmt man alle versiegelten Wege und Straßen (Waldwege, Landwege, Gemeindestraßen, Landstraßen, Bundesstraßen und Bundesautobahnen) zusammen, dann entstehen hierzulande rund 1000 Kilometer zusätzliche Straßen pro Jahr. Demgegenüber sind die Eisenbahnen-Verkehrswege deutlich rückläufig.[9]

Diese Bodenversiegelung beeinträchtigt die natürliche Bodenfruchtbarkeit. Das Umwelt-Bundesamt: „Wenn der Boden dauerhaft von Luft und Wasser abgeschlossen ist, geht die Bodenfauna zugrunde.“ Vor allem aber, so der Deutsche Wetterdienst, „kann bei Starkregen das Wasser nicht in den Boden abfließen. Kanalisationen sind schnell mit der großen Menge an Niederschlag überfordert. So kann es lokal zu Überflutungen kommen – und mit Menschen und deren Hab und Gut in Gefahr bringen.“[10] Wobei es eine Reihe zusätzlicher Faktoren gibt, die die Negativeffekte der Bodenversiegelung verstärken, so die immer schwerer werdenden Kraftfahrzeuge, die immer schwerer werdenden landwirtschaftlichen Maschinen und die extrem schweren Fahrzeuge, die zur „Baumernte“ in den Wäldern – zum Fällen und Zerlegen von Bäumen, eingesetzt werden. Der mit diesen Fahrzeugen erzeugte Druck verdichtet die Böden noch stärker und bewirkt eine besonders starke Zerstörung der Bodenqualität.

Natürlich werden diese zusätzlichen Straßen und die neue Landebahnen bei Flughäfen nicht aus Jux und Tollerei gebaut. Sie nehmen Jahr für Jahr mehr Straßenverkehr und mehr Flugverkehr auf. Allein im Zeitraum 1994 bis Januar 2021 wuchs die Zahl der Pkw in Deutschland von 35 Millionen auf 48,2 Millionen oder um 37,7 Prozent. Das Gewicht eines durchschnittlichen Pkw hat sich im gleichen Zeitraum um 35 Prozent erhöht; deutlich stieg auch die Inanspruchnahme von Flächen. Insgesamt wuchs die Fläche, die diese Pkw-Flotte in Anspruch nimmt, in diesem 26-Jahreszeitraum um mehr als 50 Prozent.[11]

Welche Bahnpolitik wird verfolgt?

Die Entwicklung im Bereich Schiene ergänzt die katastrophale Konzentration auf den Straßenverkehr. Das Schienennetz (Betriebslänge) wurde in Deutschland seit 1991 um 19 Prozent oder um 7700 Kilometer abgebaut. Dabei wurden zusätzlich rund 50 Prozent aller Neben- und Ausweichgleise abgebaut. Dieser Infrastrukturverlust wirkt sich vor allem dahingehend aus, dass die Bahn sich aus der Fläche immer mehr zurückzieht. Und dass die Effizienz des Schienennetzes leidet, was an den verschlechterten Pünktlichkeitsquoten und an der hohen Zahl von Zugausfällen deutlich wird.[12] Die Konzentration auf Hoch- und Höchstgeschwindigkeit ist bereits aus Fahrgastsicht problematisch.[13] Hinsichtlich einer nachhaltigen Klimapolitik ist diese Politik absolut kontraproduktiv: ICE-Züge mit Tempo 300 kommen auf einen Energieverbrauch (und damit Treibhausgase) je Personenkilometer, der nicht allzu weit entfernt ist von dem Energieverbrauch eines mit zwei Personen besetzten Pkw. Wobei die enormen CO2-Emissionen zu berücksichtigen sind, die beim aufwendigen Bau von Hochgeschwindigkeitsstrecken mit vielen Einschnitten, Brücken und Tunnelbauten anfallen.

Apropos Tunnelbauten: 1991 gab es im gesamten Schienennetz auf deutschem Boden Tunnelbauten mit einer Gesamtlänge von 222 Kilometern. 2020 waren es Tunnel mit einer Gesamtlänge von 592,9 Kilometern – eine Steigerung um das 2,7fache. Bis 2030 plant die Deutsche Bahn AG weitere Tunnelbauten mit mehr als 150 Kilometern Länge. Im gleichen Zeitraum wurde, siehe oben, das Schienennetz um fast 20 Prozent in der Länge reduziert. Was ist passiert? Gibt es eine Wanderung der Mittelgebirge; eine veränderte Endmoränenlandschaft, was mehr Tunnelbauten erforderlich machen würde? Nein, die Deutsche Bahn AG verlegt immer größere Teile des (schrumpfenden!) Schienennetzes in den Untergrund. Teilweise wird dies mit Bürgerprotesten gegen Schienenlärm begründet, was auch mit der schlechten Infrastruktur, mit dem unzureichenden Zustand der Waggons und mit den hohen Geschwindigkeiten zusammenhängt, was aber vor allem auch mit Milliarden-aufträgen verbunden ist, an denen die Tunnelbauindustrie und die Banken satt verdienen.

Allein unter Stuttgart entstehen derzeit 100 Kilometer Schienenstrecken in Tunnelbauweise – als Teil von „Stuttgart 21“.[14] Das ist natürlich mit gewaltigen Mengen von Treibhausgasen verbunden – beim Bau und auch im Betrieb: der Energieaufwand bei Tunnelfahrten liegt wesentlich höher als der Energieaufwand bei Fahrten in freier Umgebung. Wobei Tunnelbauten ebenfalls zur Versiegelung von Böden zählen; sie wirken sich im Untergrund zerstörerisch auf die Bodenqualität aus.

Sehr konkret lässt sich der Rückzug der Schiene an den meisten von dem aktuellen Hochwasser betroffenen Orten und Tälern illustrieren. Nehmen wir den besonders betroffenen Ort Schuld. Hier wurde im Jahr 1912 die Bahnstrecke Dümpelfeld – Lissendorf mit Halt in Schuld eröffnet. Im Zweiten Weltkrieg zerstörte die Wehrmacht einen größeren Teil der Eisenbahninfrastruktur (um der vorrückenden US-Army Einhalt zu gebieten). Erst 1948 konnte der Eisenbahnverkehr wieder aufgenommen werden. Doch 1973 wurde der Schienenverkehr eingestellt. 1982 wurde die Strecke komplett stillgelegt und abgebaut. Heute verläuft auf dem Bahndamm ein „Bahntrassenweg“, der „Ahr-Radweg“. Wobei die Bevölkerung sich eher nicht per Rad in die nächsten Orte begibt, sondern überwiegend auf den Pkw angewiesen ist.

Die Klimaplitik-Heuchelei von CDU/CSU

„Nur weil jetzt so ein Tag ist, ändert man nicht die Politik“. Mit diesen Worten brachte Armin Laschet am 15. Juli 2021, dem Tag 1 der Hochwasser-Katastrophe – seine Grundhaltung auf den Punkt. Der Mann präsentiert sich mit gefälligem Gerede über „mehr Klimaschutz“. Faktisch wird die seit Jahrzehnten betriebene Politik, mit der die Klimaerhitzung beschleunigt wird, beibehalten.[15] Dabei zeigte die NRW-Landesregierung 2019 und 2020 im Konflikt um den Hambacher Wald, dass sie fest an der Seite der Kohlelobby steht; Laschet setzte sich für die Rodung zugunsten des Braunkohletagebaus ein. Noch Anfang Juli 2021 bremste die NRW-Landesregierung mit einem Gesetz den Ausbau der Windkraft in NRW aus – eine Maßnahme, die die Politik auf Bundesebene flankiert.

Markus Söder werkelt in Bayern nach denselben Grundsätzen. Im Mai kündigte der bayerische Umweltminister Torsten Glaubers vom CSU-Koalitionspartner Freie Wähler die Abschaffung der „10-H-Regel“ bei Windkraftanlagen an.[16] Entsprechend verringerte Abstandsregeln von Windkraftanlagen zu Wohngebäuden hätten die Stagnation beim Ausbau von Windkraft in Bayern beenden können. Doch Söder ließ die Entscheidung seines Koalitionspartners umgehend kassieren. Der Energie- und Klimaschutz-Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, Martin Stümpfig, bezeichnete darauf die Haltung Söders in Klimaschutzfragen als „absolut heuchlerisch“. Auf diese Weise könne Bayern seine Klimaschutz-ziele nie erreichen.[17]

Die Union stellt seit 16 Jahren die Kanzlerin; Merkel und CDU/CSU haben eine traurige Klimapolitik vorzuweisen. Die Klimaziele für 2020 wurden nur wegen der Deindustrialisierung in Ostdeutschland und der Corona-Pandemie erreicht; bereits 2021 dürfte es einen Rückschlag geben. Ein Kohleausstieg im Jahr 2038, wie von der deutschen Regierung beschlossen, ist völlig kontraproduktiv. Die erneuerbaren Energien werden aktuell nur noch deutlich reduziert ausgebaut; vor allem der Windkraftausbau stagniert. In Bereich Windkraftindustrie wurden allein seit 2017 mehr als 40.000 Arbeitsplätze vernichtet.

Die Grünen könnten vom Hochwasser deutlich profitieren – und dann die in sie gesetzten Hoffnungen enttäuschen

Es könnte durchaus sein, dass – ähnlich wie 2011 nach der Fukushima-AKW-Katastrophe – das Hochwasser die Grünen, nach den peinlichen Fehltritten ihrer Kanzlerkandidatin und dem Absturz der Grünen-Partei in der Wählergunst um fast 10 Prozentpunkte – wieder stärkt. Zweimal in der Geschichte der Bundesrepublik veränderten hohe Pegelstände auch die politische Landschaft. Während der Sturmflut, die im Februar 1962 große Teile Hamburgs unter Wasser setzte, agierte der damals amtierende Innensenator Helmut Schmidt (SPD) zupackend und auf eine Art und Weise, dass ihn sein neues Macherimage zwölf Jahre später ins Kanzleramt trug. Sein Nachnachfolger, Parteifreund Gerhard Schröder, entschied 2002 den sogenannten Gummistiefel-Wahlkampf für sich. Schröder packte vor Ort mit an; während sein Kontrahent, Unionskanzlerkandidat Edmund Stoiber, im Urlaub auf einer Nordseeinsel weilte.

2021 gibt Laschet den Schröder – und leistet sich allerdings einige heftige Pannen, so sein mit Kameras festgehaltenes kumpelhaftes Feixen während eines Steinmeier-Statements. Annalena Baerbock verhält sich bislang eher klug und zurückhaltend und lehnt bei ihren Besuchen vor Ort jede mediale Präsenz ab.

Durchaus also möglich, dass die Stimmung ein weiteres Mal hin zu den Grünen kippt. Doch für den Klimaschutz wird eine Regierung mit starker Grünen-Präsenz kaum etwas bringen. Das lässt sich allein auf Grundlage der vorliegenden Erfahrungen mit grünen Regierungsbeteiligungen feststellen. Drei Beispiele:

Verkehrspolitik in Baden-Württemberg und Hessen. In Baden-Württemberg wuchs in den zehn Jahren mit einem grünen Ministerpräsidenten die Pkw-Dichte überproportional im Vergleich zum Rest der Republik. Die Straßenbaulobby und Autokonzerne wie Daimler und Porsche, die in den ersten Jahren mit einem grünen Verkehrsminister Winfried Hermann noch ausgesprochen kritisch waren, loben inzwischen unisono die grüne Verkehrspolitik, einschließlich des deutlich vorangetriebenen Straßenbaus. Im neuen grün-schwarzen Koalitionsvertrag vom Mai 2021 wird nicht nur das Festhalten an Stuttgart 21 dokumentiert. Dort werden ein zweites Stuttgart 21 in Form eines unterirdischen Kopfbahnhofs, der ergänzend zum unterirdischen S21-Tiefbahnhof zu bauen sei, und ein weiterer zehn Kilometer langer Tunnelbau festgehalten. Angesichts der jüngsten Hochwasser-Ereignisse sind Verkehrsplanungen, bei denen die Landeshauptstadt Stuttgart, die sich in einer besonderen Kessellage befindet, mit rund 100 Kilometern neuen Tunnelbauten unterfahren wird, schlichtweg kriminell: Man riskiert auf diese Weise im Fall von Hochwasser den Tod von Hunderten Menschen.

In Hessen stellen die Grünen zwar nur den Minderheitspartner in der schwarz-grünen Regierung – doch sie stellen mit Tarek al-Wazir auch hier den (Wirtschafts- und) Verkehrsminister. Im Dannenröder Forst ging dann die hessische Polizei mit äußerster Härte gegen Klimaaktivisten vor. Der einzige Zweck der militanten Praxis: den Wald zu roden … für den Bau einer Autobahn.

Flugverkehr in Hessen. Mit dem Rhein-Main Airport befindet sich in Hessen der größte Flughafen der Republik. Dass Flugverkehr das Klima am stärksten unter allen motorisierten Verkehrsarten schädigt, ist allgemein bekannt. Die „Verwaltung“ eines derart großen Flughafens durch einen grünen Verkehrsminister ist bereits problematisch genug. Und wie charakterisiert man dann den weiteren Ausbau? Im April 2019 war es so weit. Es gab die Grundsteinlegung für ein neues, ein drittes Terminal. Als Oppositionspolitiker hatte Tarek al-Wazir versprochen, Terminal 3 zu verhindern. Um es dann als Minister doch durchzuwinken. Und als im Corona-Jahr 2020 der Flugverkehr in Rhein-Main – wie auch an allen anderen Flughäfen – kollabierte, erklärte Tarek Al-Wazir: „Wir federn die Folgen der Corona-Pandemie ab und setzen gemeinsam mit Fraport auf mehr Nachhaltigkeit.“[18] Man hoffe, bald wieder das Niveau von 2019 erreichen zu können. Warum sagt man nicht: Es gilt aus Klimaschutzgründen zu prüfen, den Flugverkehr auf dem niedrigen Niveau von 2020 zu halten – um auf einen großen Teil des Flugverkehrs zu verzichten und einen anderen Teil auf den Schienenverkehr, insbesondere auf Nachtzüge, zu verlagern. Konkret: Im Jahr 2019 wurden auf allen deutschen Flughäfen 251 Millionen Fluggäste gezählt. 2020 waren es 135 Millionen. Doch 135 Millionen Fluggäste – das entspricht dem Niveau von … 2002. Hatten wir vor 18 Jahren ein Jahr der Immobilität? Gab es damals Stark-Tränen-Flüsse wegen verwehrter Flugreisen?[19]

Elektroautos und steigender Strombedarf. Die Regierungsparteien und die Grünen gehen davon aus, dass eine möglichst große Zahl von Elektroautos möglichst bald erreicht werden soll – und dass dies einen Beitrag zum Klimaschutz darstellt. Wörtlich heißt es auf der Website der Grünen: „Wir wollen klimafreundliche Autos […] Deutschland ist ein Land der Innovationen und Exporte. Darum wollen wir Vorreiter bei klimafreundlichen Fahrzeugen werden, denn ihnen gehört die Zukunft.“[20] Bislang lautet dabei die anspruchsvolle Zielmarke: 10 Millionen Batterieautos bis 2030. Die Tatsache, dass allein die Herstellung von 10 Millionen E-Pkw mit 50 Millionen Tonnen Treibhausgasen verbunden ist – was, auf den Herstellungsprozess bezogen, drei bis viermal mehr ist als im Fall der Herstellung von Verbrenner-Pkw – wird nirgendwo thematisiert. Dass ein Pkw-Park mit 10 Millionen Batterie-Autos im Jahr 2030 selbst dann, wenn der Gesamtbestand nicht größer als derjenige des Jahres 2021 ist, nicht wesentlich weniger Treibhausgase emittiert als der aktuelle Pkw-Bestand – auch dies ist kein Thema in einer grünen Verkehrspolitik.[21] Dass ein derart wachsender Bestand an E-Pkw einen massive zusätzliche Stromnachfrage mit sich bringt – wie dies vor einer Woche auch vom deutschen Wirtschaftsminister eingestanden wurde – auch dies wird nicht seriös diskutiert. Wobei damit ja auch alle Ziele hinsichtlich des Anteils erneuerbarer Energien im Jahr 2030 in Frage gestellt werden.

Insbesondere schweigen die Grünen zu der Tatsache, dass der Pkw-Bestand Jahr für Jahr weiter anwächst; selbst im Corona-Jahr waren es am 31. Dezember 2020 mehr als 500.000 Pkw mehr als am 11. Januar 2020. Bis 2030 gibt es damit mindestens fünf Millionen Pkw mehr – 53 Millionen anstelle von 48 Millionen. Wobei jeder Pkw – gleich welchen Antriebstrang er hat, dieselbe versiegelte Fläche benötigt. Das absehbare weitere Wachstum der Pkw-Flotte wird also für den weiteren Bau von Straßen verantwortlich sein.

Das einzige, was immer neue Hochwasser-Gefahren mindern und eine zunehmend beschleunigte Klimaerhitzung abbremsen könnte, ist eine Politik der „gesteuerten Sparsamkeit“, wie dies jüngst die Politologin Birgit Mahnkopf formulierte: ein drastischer Abbau von motorisiertem Verkehrs allgemein, vor allem massiv weniger Autoverkehr und noch deutlich weniger Flugverkehr. Eine Reduktion des Energieverbrauchs (anstelle des nun gefeierten Ausbaus des Stromverbrauchs). Weniger Internet – das gewaltige Mengen Energie verschlingt – als dessen fortgesetzter Ausbau. Dabei wird, so Mahnkopf, „der erste Schritt darin bestehen, möglichst viele Menschen davon zu überzeugen, dass wir der Krise ins Auge schauen müssen […] Die Kraft für eine radikale Umwälzung der Verhältnisse können wir heute nicht aus dem tröstlichen Versprechen einer wunderbaren […] Zukunft beziehen. Nein, wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es git, das Schlimmste zu verhindern, und das muss als Antriebskraft genügen.“[22]

Anmerkungen:

[1] Siehe die entsprechende Leerstelle im Duden, Mannheim, 1996. Das sechsbändige Wahrig Deutsches Wörterbuch von 1983 geht von „Starkleibigkeit“ umstandslos zu „Starkstrom“ über. Der Grosse Brockhaus von dem Jahr 1957 kennt ebenfalls keinen Starkregen.

[2] Söder nach Stern https://www.stern.de/politik/deutschland/hochwasser-in-deutschland-soeder-sieht-bedarf-fuer-vorausschauenden-klimaschutz-30617502.html. Laschet auf Videoclip: Die Welt vom 15. Juli 2021. https://www.welt.de/politik/deutschland/article232511505/Hochwasser-in-NRW-Armin-Laschet-fordert-mehr-Tempo-beim-Klimaschutz.htmlHochwasser.

[3] Regine Warth und Werner Ludwig, Starkregen und Hitzewellen nehmen weiter zu, in: Stuttgarter Zeitung vom 17. Juli 2021.

[4] Armin Laschet wie [2]

[5] Wolfgang Pomrehn, Die letzten Jahrzehnte gehörten zu den schlimmsten, Telepolis, 2. Juli 2020. https://www.heise.de/tp/news/Hochwasser-Die-letzten-Jahrzehnte-gehoerten-zu-den-schlimmsten-4850390.html?view=print

[6] Nach: Website des Ministeriums für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen, aufgerufen am 18. Juli 2021 (der zitierte Text wurde vor dem aktuellen Hochwasser auf der Website eingestellt, wohl im Jahr 2019 (ein Datum ist nicht angegeben). Hervorhebung im Text vom Autor.

https://www.umwelt.nrw.de/umwelt/umwelt-und-wasser/gewaesser/hochwasser

[7] Stuttgarter Zeitung vom 17. Juli 2021.

[8] Angaben nach: Umwelt-Bundesamt vom 28. Dezember 2020. https://www.umweltbundesamt.de/daten/flaeche-boden-land-oekosysteme/boden/bodenversiegelung Und: Deutscher Wetterdienst vom 27. September 2020; https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2020/9/27.html

[9] Siehe unten.

[10] Quellen wie in Fußnote [8]

[11] Angaben nach: Verkehr in Zahlen, herausgegeben vom Bundesministerium für Verkehr, Ausgaben 2000, Seite 142f, und Ausgabe 2020/21, Seite 132. Die exakten Zahlen lauten für das Jahr 19994 etwas anders und wie folgt: Pkw-Bestand 1994 = 39,765 Millionen; 2020 = 47,716 Millionen (ergänzend am 1.1.2021 laut Kraftfahrzeugbundesamt: 48,2 Millionen). Danach scheint der Anstieg ein geringerer zu sein als oben im Text genannt. Doch die Statistik ist – dieser Begriff erscheint mir gerechtfertigt – hinsichtlich der Entwicklung des Pkw-Bestands „frisiert“. So gibt es zwischen 2007 und 2008 einen erstaunlichen Rückgang im Fahrzeugbestand (Kfz und Pkw). 2007 nennt „Verkehr in Zahlen“ 46,570 Millionen Pkw und 2008 dann nur noch 41,184 Millionen. Eine Fußnote klärt wie folgt auf: „Bis 2007 einschließlich der vorübergehend abgemeldeten Fahrzeuge“. Grundsätzlich spricht viel dafür, auch die „vorübergehend abgemeldeten Fahrzeuge“ weiter zu berücksichtigen – schließlich benötigen die Autos in aller Regel ebenfalls Flächen. Doch wenn man sich dafür entscheidet, diese Fahrzeuge ab 2008 aus der Statistik herauszurechnen, dann müssten in der gesamten Statistik rückwirkend auch alle „vorübergehend abgemeldeten Fahrzeuge“ herausgerechnet werden. Das erfolgte in der Berechnung oben, indem für 1994 35 Millionen Pkw genannt werden.

[12] Siehe Carl Waßmuth und Winfried Wolf, Verkehrswende – ein Manifest, Köln (PapyRossa) 2020, S. 86; Bernhard Knierim und Winfried Wolf, Abgefahren. Warum wir eine neue Bahnpolitik brauchen, Köln (PapyRossa) 2019, S.41ff.

[13] 90 Prozent aller Fahrten mit der Eisenbahn finden im Bereich des Nahverkehrs (bis zu 50 Kilometer Entfernung) statt. Nimmt man die gesamte Verkehrsleistung (die auf Schienen zurückgelegten Personenkilometer), dann entfällt immer noch die Hälfte auf den so definierten Nahverkehr (mit S-Bahnen, Regionalexpress und Regionalbahnen). Wenn wir nur den Fernverkehr herauspicken (weniger als 10% der Bahnfahrten), dann liegt hier die durchschnittliche Reiseweite (die je Fahrt im Schnitt zurückgelegte Entfernung) bei 260 Kilometern. Selbst in diesem Segment bringen also Hochgeschwindigkeitsfahrten nur Zeitgewinne von wenigen (10 bis 15) Minuten. Das lockt keinen vom Auto auf die Schiene. Die entscheidenden Parameter, mit denen man eine Verkehrswende hin zu Schiene erreichen kann, sind der Preis (teurere Autofahrten oder teurere Flüge und/oder preiswerteren Bahntickets), ist der Komfort, ist die Pünktlichkeit und sind möglichst viele direkte Verbindungen oder ein problemloses Umsteigen an Knotenpunkten.

[14] Zum zerstörerischen Tunnelbau bei der Deutschen Bahn AG und den Ursachen für diese Orientierung siehe: Alternativer Geschäftsbericht Deutsche Bahn AG, erstellt u.a. von Bernhard Knierim, Carl Waßmuth und Winfried Wolf für das Bündnis Bahn für Alle, Frühjahr 2021, https://bahn-fuer-alle.de/alternativer-geschaeftsbericht-der-deutschen-bahn-ag/

[15] Laschet nach: Der Tagesspiegel vom 16. Juli 2021. https://www.tagesspiegel.de/politik/laschet-laviert-in-der-klimafrage-weil-jetzt-so-ein-tag-ist-aendert-man-nicht-die-politik/27427218.html

[16] Die seit 2014 in Bayern geltende Regel besagt, dass ein Windrad mindestens das Zehnfache seiner Höhe von Wohnbebauung entfernt sein muss. Um davon abweichen zu können, muss ein Gemeinderat einen ausdrücklichen Beschluss fassen. Kritiker beklagen, seither sei der Windkraftausbau in Bayern praktisch zum Erliegen gekommen.

[17] Münchner Merkur vom 6. Mai 2021; https://www.merkur.de/politik/soeder-klima-csu-gruene-gesetz-windkraft-regel-stuempfig-freie-waehler-bayern-muenchen-umwelt-90495858.html

[18] Nach: Tageszeitung/taz vom 30. April 2019. https://taz.de/Kommentar-Frankfurter-Flughafen/!5591697/

[19] Verkehr in Zahlen 2020/21, a.a.O., S. 88f.

[20] https://www.gruene.de/themen/verkehrspolitik

[21] Siehe Helmut Zell, Elektroautos konterkarieren die deutschen Klimaziele für 2030, in: Lunapark21 – Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie, Heft 54, Seite 62ff.

[22] „Wir brauchen eine gesteuerte Sparsamkeit“, Interview mit Birgit Mahnkopf in: WOZ, Zürich, Nr. 28 vom 15. Juli 2021.

Zuerst veröffentlicht am 19.7. auf www.telepolis.de