Der Kollege Reiner Hoffmann [DGB] und der Arbeitskampf der GDL

Die unqualifizierten Angriffe des führenden DGB-Gewerkschafters gegen die GDL und unsere Antworten

Im 14-Tages-Rhythmus hat sich der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, zum Arbeitskampf der GDL geäußert. Entsprechende Interviews erschienen im Tagesspiegel am 12. August 2021, im Spiegel am 21. August und in der Rheinischen Post am 4. September. Da die entsprechenden Aussagen des DGB-Chefs von heftiger Aggression gegen die GDL und von erkennbarer Demagogie geprägt sind, fanden sie breite Resonanz, u.a. in der ARD-Tagesschau (am 4.9.) und im Handelsblatt (am 6.9.).

Konfrontieren wir die Angriffe und Polemiken des Kollegen Hoffmann [DGB] mit der Realität. Quellen im Folgenden sind: [A] = Tagesspiegel; [B] = Rheinische Post und [C] = Spiegel.

Aussage 1 von Hoffmann [DGB]: „Lösungen werden am Verhandlungstisch erstritten. An den sollte GDL-Chef Weselsky zurückkehren.“[C]

Antwort: Die GDL saß im ersten Halbjahr in mehreren Runden an diesem Verhandlungstisch. Die Deutsche Bahn AG war dabei nur zu einem Angebot bereit, das einem massiven Reallohnabbau gleichkommt (und das deckungsgleich mit dem EVG-Tarifabschluss von Ende 2020 ist). Erst auf dieser Grundlage entschied sich die GDL zur Urabstimmung und dann, auf Basis von 95-Prozent-Ja-Stimmen bei der Urabstimmung, zu den Streiks. Die Deutsche Bahn AG hat seither zwar ihr Angebot verbessert, doch nicht qualitativ. Im Übrigen ist es – wie Kollege Hoffmann [DGB] weiß – Teil der Tarifautonomie, dass eine im Arbeitskampf stehende Gewerkschaft allein darüber befindet, wie sie Angebote der Arbeitgeberseite bewertet und welche Schlüsse sie daraus zieht.

Aussage 2 von Hoffmann [DGB] „In der aktuellen Auseinandersetzung geht es der GDL […] weniger um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen. […] Der Arbeitskampf wird durch die GDL instrumentalisiert.“[A]

Antwort: Die Forderungen der GDL im Arbeitskampf sind eins zu eins diejenigen, die die DGB-Gewerkschaft Verdi im Frühjahr 2021 für die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst durchgesetzt hat. Das Arbeitsgericht in Frankfurt/M. und das Landesarbeitsgericht Hessen werteten die GDL-Forderungen als rein tarifpolitisch orientiert und grundsätzlich gerechtfertigt (siehe Artikel Rolf Geffken auf dieser Seite). Die Behauptung, der Arbeitskampf werde „instrumentalisiert“, entspricht eher dem Vokabular der Neoliberalen. Ein Arbeitskampf ist immer ein „Instrument“, um etwas zu erreichen. Im Grunde appelliert der Kollege Hoffmann mit dieser Formulierung an die in der gewerkschaftsfeindlichen Öffentlichkeit vertretene Auffassung, dass ein Streik eher etwas Ungutes sei. Er lieferte im Vorfeld der juristischen Auseinandersetzung Argumente für die Gegenseite bzw. für Richter an Arbeitsgerichten, mit denen ein Verbot der GDL-Streiks hätte begründet werden können.

Aussage 3 von Reiner Hoffmann [DGB]: „Der Bundesvorsitzende des Beamtenbundes dbb, zu dem die GDL gehört, verunglimpft die EVG als ´Schoßhündchen des Bahnvorstandes´. Das ist unerträglich.“ [A] Und: „Die Polemik von Ulrich Silberbach [dbb-Bundesvorsitzender; d.Red.] gegen eine Mitgliedsgewerkschaft des DGB ist unerträglich.“[C]

Antwort: Die EVG, damals mit Namen Transnet, hat in den Jahren 2006 bis 2008 den Kurs des Bahnvorstands unter Hartmut Mehdorn zum Bahnbörsengang mitgetragen. Als Belohnung wurde der Transnet-Vorsitzende Norbert Hansen im Mai 2008 Mitglied im Vorstand des Bahnkonzerns. Die beiden Nachfolger im Amt des EVG-Chefs, Alexander Kirchner und Dieter Hommel (letzterer ist der aktuelle EVG-Chef), trugen in den Jahren 2005 bis 2008 in führenden Positionen ihrer Gewerkschaft den Kurs zur Bahnprivatisierung mit.[1] Dass ausgerechnet der DGB-Chef sich beim Thema „Schoßhündchen“ aus dem Fenster lehnt, ist pikant. Beschloss doch der DGB im März 2007 mehrheitlich, die Bahn-Privatisierung abzulehnen – wobei Transnet damals im DGB für den Bahnbörsengang optierte und überstimmt wurde. Das veranlasste damals die FAZ zu der Schlagzeile „Eklat im Bundesvorstand des DGB“ (8.3.2007).

Ach ja, das sei lange her? Doch wie war das im letzten Jahr? Im Mai 2020 stimmte die EVG einem „Bündnis für unsere Bahn“ zu, das vom Arbeitgeber Deutsche Bahn AG und dem Bundesverkehrsminister aufs (abschüssige) Gleis gesetzt wurde. In dem von der EVG mitunterzeichneten Text heißt es: „Einsparpotenziale werden durch kostensenkende Maßnahmen bei dem Personal- und Sachaufwand gehoben.“ Damit unterzeichnete der EVG-Vorstand ohne Zwang einen Text, der explizit Einschnitte bei den Einkommen der Bahnbeschäftigten vorsah – was eine Vorwegnahme des späteren EVG-Tarifabschlusses mit Reallohnabbau war – dann noch ergänzt um Einschnitte bei der Betriebsrente. Natürlich sind nicht alle EVG-Mitglieder Schoßhündchen-Gewerkschafter. Doch ihre Führer agieren wie Arbeitgeber-Schoßhündchen.

Aussage 4 von Reiner Hoffmann [DGB] Auf die Frage „Ist die Forderung der GDL nach einer Erhöhung der Einkommen nach dem Vorbild des Öffentlichen Dienstes nicht nachvollziehbar und berechtigt?“ antwortete der DGB-Chef: „Durchaus.“ Es handle sich hier um „keine utopische Forderung“ [A]. Weiter: „Was wir kritisch sehen, ist, dass hier eine Berufsgruppe wie die Lokführer ihre partikularen Interessen gegen das Gesamtinteresse aller anderen Bahn-Beschäftigten durchsetzt […) Die Beschäftigungsgruppen in einem Unternehmen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden“[B].

Antwort: Da der Kollege Hoffmann die von der GDL erhobenen Forderungen selbst als „berechtigt“ und als „nicht utopisch“ anerkennt, kehrt sich der Vorwurf „Verfolgung partikularer Interessen“ gegen die EVG. Denn warum schließt diese in einem Sektor, der nahe dran ist am öffentlichen Dienst, ohne Zwang einen Tarifvertrag ab, der einen erheblichen Reallohnverlust und Einschnitte bei der späteren Rente darstellt, obgleich kurz darauf die DGB-Gewerkschaft Verdi einen Abschluss mit rund doppelt so hohen Tariflohnerhöhungen zustande bringt? Apropos „partikulare Interessen“: Grundsätzlich kämpfen Gewerkschaften immer für ihre jeweilige Klientel – und die ist immer „partikular“. Dass damit „Beschäftigungsgruppen gegeneinander ausgespielt“ werden, ist im gegebenen Fall doppelt falsch. Zum einen, weil der DGB-Chef hier so tut, als würden allein die Lokführer streiken. Tatsächlich vertritt die GDL längst auch das übrige Personal in den Zügen und hat darüber hinaus Mitglieder in anderen Bereichen des Bahnkonzerns. Es ist zum anderen falsch, weil die EVG in ihrem Ende 2020 abgeschlossenen Tarifvertrag eine pfiffige Öffnungsklausel eingebaut hat. Danach kann die EVG dann, wenn der Bahnkonzern mit einer anderen Gewerkschaft, sprich mit der GDL, einen Tarifvertrag mit höheren Entgelten abschließt, nachverhandeln. Diese Rückversicherung oder Huckepack-Klausel heißt: Schließt die GDL einen deutlich besseren Vertrag als die EVG ab, wird die EVG de facto nachziehen. Womit das „Auseinanderspielen von Berufsgruppen“ sich erübrigt haben sollte.

Aussage 5 von Reiner Hoffmann [DGB]: „Im Kern geht es GDL-Chef Weselsky darum, seine Gewerkschaft zu erhalten und ihren Einflussbereich zu vergrößern, um auf diese Weise neue Mitglieder zu gewinnen.“[A]

Antwort So what? Was der DGB-Vorsitzende hier beschreibt, ist der wohlverstandene Job eines Gewerkschaftsführers respektive einer Gewerkschaft.

Anmerkung:

[1] Alexander Kirchner war ab Mai 2000 Mitglied im erweiterten Vorstand von Transnet, ab Mai 2008 stellv. Vorsitzender, ab November 2008 Vorsitzender von Transnet und ab 2010 Vorsitzender der EVG. Dieter Hommel war ab 2003 Vorsitzender der Bahnbeamten-Gewerkschaft GDBA. Die GDBA war ab 2005 mit Transnet eng verbunden (Tarifgemeinschaft) und fusionierte im November 2010 mit Transnet zur EVG. Hansen-Hommel und später Kirchner-Hommel bildeten ein Führungs-Duo von Transnet respektive EVG.

Der Artikel erscheint auch in der Printausgabe der Streikzeitung Nr. 2 am 15.9.21