Der Kreml-Krieg in der Ukraine

Die Sieger stehen fest: US-Regierung, US-Konzerne, fossile Wirtschaft

Es bedurfte keiner zwei Wochen des Kriegs und die strahlenden Sieger standen fest. Es sind die US-Regierung, die US-Militärs, die US-Rüstungsindustrie und die fossilistischen US-Konzerne. Dem Kreml-Chef sei´s gedankt.

Doch der Reihe nach. Am 24. Februar 2022 begann die russische Führung den Krieg gegen die Ukraine. Eine Invasion in einen souveränen Staat. Völkerrechtswidrig. Zehntausende Getötete und eine gewaltige Zerstörung von Infrastruktur und kulturellen Werten in Kauf nehmend. All das ein zu verurteilender Bruch von internationalem Recht, von selbst eingegangenen, verpflichtenden Verträgen. Nicht zuletzt auch moralisch abstoßend.

Der Krieg war von der US-Regierung so angekündigt worden. Sagt man, Putin sei in eine aufgestellte Falle gelaufen, riskiert man den Einwand, man verurteile die Invasion nicht eindeutig. Nun, ich verurteile sie unzweideutig. So wie jeder Angriffskrieg zu verurteilen ist. Und ergänze dennoch: Es war auch eine Falle.

Die Kriegsziele des Kreml liegen noch im Dunkeln. Wahrscheinlich sollen eine Aufspaltung des Landes und von einer „freien“ Rest-Westukraine Neutralität, der Ausschluss einer Nato-Mitgliedschaft, erreicht werden. Doch selbst wenn sich eine russische Besatzung nur auf einen deutlich erweiterten Bereich der Ostukraine erstreckt, dürfte es auch in diesem Gebiet zu massivem Widerstand, möglicherweise zu einem langandauernden Stadtguerillakrieg kommen. Moskau hat mit Vergleichbarem eigentlich reichliche, fatale Erfahrung gesammelt – 1979 bis 1989 im Afghanistan-Krieg.

So unklar die russischen Ziele sein mögen, bereits nach zwei Wochen Krieg steht fest: Die USA haben fünf entscheidende Ziele ihrer Langzeitstrategie erreicht.

Erstens. Mit dem Kreml-Krieg wurden die EU und Deutschland fest ins transatlantische Lager gepresst. Robert Habeck hat Anfang März, in Washington zu Besuch, die neue Rolle Deutschlands auf den Punkt gebracht. Devot sprach er davon, Deutschland werde nunmehr eine „dienenden Führungsrolle“ einnehmen.1

Zweitens. Mit der russischen Invasion in die Ukraine wird in den Nato-Mitgliedsstaaten und insbesondere in Deutschland ein bislang nicht vorstellbarer Rüstungsboom ausgelöst. Das 2-Prozent-Ziel wird plötzlich spielend erreicht und überschritten. Die ökonomischen Folgen – hinsichtlich Inflation und Crash-Gefahr – sind zwar kaum absehbar. Das sollte jedoch auf der Linken kein Grund zum Jubeln sein. Auch ein weltweiter Finanzcrash kann bei den bestehenden gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen zu einem zusätzlichen Rechtsruck und zu einer weiteren Brutalisierung der Lebensumstände führen. Siehe Naomi Kleins Analyse der „Schock-Therapie“.

Drittens. Russland wird durch Krieg und Sanktionen wirtschaftlich und militärisch massiv geschwächt. Explizit fordern westliche Politiker, Russland „in den Ruin“ zu treiben. Kommt es nicht zu einer innerrussischen Revolte oder einem Oligarchen-Putsch, so wird das Land komplett ins Lager der VR China getrieben. Inwieweit dies aus Sicht der US-Eliten klug ist, sei dahingestellt. Die Gefahr einer weltweiten – auch militärischen – Konfrontation von USA/EU/Nato einerseits und VR China/Russland andererseits wird auf diese Weise enorm erhöht.

Viertens. In der Ukraine hat sich durch den russischen Angriff der Prozess des Nationbuildings beschleunigt. Das Vorgehen der Kreml-Führung stößt auch im russisch-sprachigen Teil des Landes auf deutliche Kritik. Der ukrainische Präsident Selenskyj steht als Held da. Vergessen ist, dass seine Partei „Diener des Volkes“ bei den letzten Kommunalwahlen im Herbst 2021 landesweit weniger als 20 Prozent der Stimmen erhielt. Vergessen die abstoßende Zusammenarbeit von staatlichen Institutionen, so der ukrainischen Armee, mit offen faschistischen Kräften. Keine Rede ist mehr davon, dass die russisch-sprachige Bevölkerung kulturell ausgegrenzt wird. Aus der Tatsache, dass die Ukraine dasjenige Land ist, in dem die Leihmutterschaft zu einem Unternehmenszweig mit mehr als 10.000 Billig-Leihmüttern wurde, wird unter Kriegszeiten noch eine ausschlachtbare Story: Wohin sollen die schwangeren Frauen jetzt bloß flüchten? Ist doch das Geschäft mit Leihmüttern in allen Staaten, die an die Ukraine angrenzen, illegal?2

Fünftens. Die westlichen Unternehmen in den fossilistischen Bereichen Öl, Gas, Kohle und Bergbau – und nicht zuletzt die US-Fracking-Industrie – werden massiv gestärkt. Dabei galten diese noch vor wenigen Wochen als die großen Verlierer in den Zeiten des Klimanotstands. Die hohen Energiepreise3) machen Fracking auch in extremer Tiefe und bei hohem technischen Aufwand lukrativ. Was zugleich heißt: Die Umweltschäden und Klimabelastungen werden damit nochmals größer. Das „Klima-Gedöns“ ist für Jahre vom Tisch. Und dies ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da es im neuen Bericht des Weltklimarats heißt: „Gefährliche und weitreichende Zerstörungen in den Lebenswelten von Milliarden Menschen“ seien bereits heute vom „menschengemachten Klimawandel verursacht“ und nicht mehr zu verhindern.

Wo bleiben die nüchternen Stimmen? Helmut Schmidt (der 2014 das russische Vorgehen auf der Krim für „nachvollziehbar und verständlich“ hielt) ist längst tot. Gerhard Schröder ist politisch tot. Klaus von Dohnanyi, Rolf Mützenich und Günter Verheugen („Wir sollten uns davor hüten, eine Aufrüstungsspirale in Gang zu setzen!“4) werden als Russlandversteher abgewatscht. Die Partei DIE LINKE zerlegt sich selbst. Es etabliert sich im gesamten Westen ein rassistisches Feindbild, das in den USA an die McCarthy-Ära, in Westeuropa an die Zeit des Kalten Kriegs und in Deutschland an den Nazi-Rassismus anknüpft. Wobei nicht vergessen werden darf: All das wird befördert durch das abstoßende Bild, das der Präsident der Russischen Föderation mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine bietet.

Die Hoffnung stirbt zuletzt. Zu hoffen ist, dass die alte Friedensbewegung sich belebt und ein Bündnis mit der Klimabewegung eingeht, dass die Zivilgesellschaft in der Ukraine und in Russland neue Zeichen setzt, dass die in Peking Regierenden Putin irgendwann (und aus Eigennutz) den Stecker ziehen.

Nachtrag: Ich verfasste drei Tage nach Beginn der Invasion russischer Truppen in die Ukraine ein ausführliches Thesenpapier zu diesem Vorgang. Wir konnten uns dann in der Lunapark21-Redaktion nicht darauf verständigen, als Zeitschrift eine Stellungnahme zu veröffentlichen bzw. meinen Text in LP21 abzudrucken. Nicht verhohlen sei, dass die entsprechende Debatte im engen LP21-Team heftige Reaktionen auslöste und dass im Übrigen der weitreichende Umbau des Heftes (geplant war eigentlich ein LP21-Spezial zum Thema Tempolimit) eine enorme Kraftanstrengung darstellte.

Mein Thesen-Papier ist abrufbar auf meiner Webweite und auf der LP21-Website .

Anmerkungen:

1 Habeck: „Je stärker Deutschland dient, desto größer ist seine Rolle“. In: „Focus“ vom 2. März 2022. Damit befindet sich Habeck in einer guter Tradition mit Josef Fischer, der – damals zusammen mit Gerhard Schröder – im Oktober 1998 in Washington sein Ja zum Kosovo-Krieg hinterlegte.

2 Die Leihmutterschaft ist in der Ukraine seit einem Jahrzehnt offiziell erlaubt, auch als Geschäftsmodell. 30 private Unternehmen sind hier als Babyfabriken aktiv. Bislang wurden mehr als 10.000 Babys an finanzkräftige Familien in Westeuropa, Nordamerika oder China ausgeliefert. Die Kosten je Baby wurden beim führenden Unternehmen VittoriaVita jüngst von 53.000 Euro auf 50.000 Euro gesenkt. Bezahlt wird in vier Raten: 19.000 Euro bei der Vertragsunterzeichnung, 10.000 Euro im dritten Schwangerschaftsmonat, weitere 7.000 Euro im siebten Schwangerschaftsmonat und schließlich 14.000 Euro bei Ausstellung der Geburtsurkunde. Die Leihmutter erhält rund 15.000 Euro. Hier nach: https://vittoriavita.com/de/guarantee-programms-der-leihmutterschaft/ Aus einem Bericht: „Nicht immer geht alles glatt. So wie etwa bei einer Leihmutter, deren Kind zu früh geboren wurde, für sie bestand Lebensgefahr. Die chinesischen Wunscheltern wollen das Kind nicht. […] ´Das ist k ein Kind, das ist Gemüse´, so der Chef der Vermittlungsagentur. Das Kind kommt in ein Heim.“ Nach: „Standard“, Wien, vom 4. Dezember 2021.

3 Der Preis für das Barrel Öl (WTI) liegt am 9. März mit 124 US-Dollar auf Rekordniveau und um rund 50 Prozent höher als in den Jahren 2018 bis 2020. Um die Dimensionen zu verdeutlichen: Der Rohölpreis lag 2018 im Durchschnitt bei 73 Dollar, 2019 bei 70, 2020 unter 50 Dollar und 2021 bei 75 Dollar.

4 „Ich vermisse die Vorschläge zur Deeskalation“, Interview mit dem ehemaligen Vizepräsident der EU-Kommission Günter Verheugen (SPD) in der „Frankenpost“ vom 8. März 2022.

Dieser Beitrag erscheint in der Printausgabe von Lunapark21, die ab 17.3.22 vertrieben wird .