100 Jahre Erster Weltkrieg und Novemberrevolution

Behauptungen und Antworten

Wenn sich in diesen Wochen das Ende des Ersten Weltkriegs und der Beginn der Novemberrevolution jähren, begegnen wir erneut einer Reihe von Behauptungen, die die Kriegsursachen leugnen und die Ziele der Novemberrevolution verfälschen.

Behauptung 1: Es waren die deutschen Militärs und die „Alldeutschen“, die expansive Kriegsziele vertraten. Die Politik jedoch steuerte dagegen.

Antwort: Richtig ist, dass es in Deutschland einige Gruppierungen und Kapitalfraktionen gab, die bereits vor 1914 besonders aggressive Kriegsziele verfolgten. Doch auch der immer wieder als „gemäßigt“ bezeichnete Reichskanzler Bethmann Hollweg orientierte bereits wenige Wochen nach Kriegsbeginn auf den schnellen militärischen Sieg. Als Zielsetzungen eines „Präliminarfriedens“ nannte er u.a. das Folgende: „Frankreich: [….]In jedem Fall abzutreten, weil für die Erzgewinnung unserer Industrie nötig, das Erzbecken von Briey. […] Luxemburg wird deutscher Bundesstaat und erhält einen Streifen aus der jetzt belgischen Provinz Luxemburg […] Holland äußerlich unabhängig belassen, innerlich aber in Abhängigkeit von uns zu bringen.“

Das waren wohlgemerkt keine Tagebucheintragungen. So beschrieb der deutsche Reichskanzler, ganz offensichtlich gedeckt vom Kaiser, die deutschen Kriegsziele in seinem „Septemberprogramm“. Das Kriegsziel war ein Diktatfrieden mit massiven Annexionen.

Behauptung 2: Die Konzerne und Banken spielten im Ersten Weltkrieg keine Rolle.

Antwort: Tatsächlich spielten die großen Unternehmen eine maßgebliche Rolle beim Weg in den Krieg. Sie formulierten immer wieder ihre expansiven Kriegsziele. Zwei Beispiele: (1) Im September überreichte der Abgeordnete Erzberger eine „Denkschrift“ von August Thyssen. Dort wird beschrieben, was alles „dem Deutschen Reiche als Reichsland einverleibt werden“ müsse, beispielsweise im Osten: „Russland muss uns die Ostprovinzen […] das Don-Gebiet mit Odessa, die Krim, sowie […] den Kaukasus abtreten, um auf dem Landwege Kleinasien und Persien zu erreichen.“ (2) Am 10. März 1915 wurde gar hochoffiziell eine „Kriegszieleingabe“ eingereicht, die u.a. vom „Centralverband deutscher Industrieller“ und dem „Bund der Industriellen“ unterzeichnet war. In ihr wurden massive Annexionen im Westen und Osten verlangt. Und so ging das weiter bis Jahr 1918 hinein.

Behauptung 3: Es gab in Deutschland auch Unternehmer, die expansionistischen Tendenzen auszubremsen versuchten.

Antwort: Den Hintergrund für eine gewisse Zurückhaltung bei dieser Kapitalgruppe bildete in der Regel eine realistischere Sicht auf die militärischen Möglichkeiten. Das entscheidende Ziel dieser Unternehmer, die u.a. von Rathenau (AEG) und Robert Bosch personifiziert wurde, bestand in der Schaffung eines „Mitteleuropas unter deutscher Führung“, wobei die drei Kernelemente lauteten: erstens Sonderfrieden mit Frankreich, zweitens eine enge Zusammenarbeit Berlin – Paris und drittens eine „mitteleuropäische Zollunion“. (Siehe Artikel U. Sander S. 4). Rathenau im September 1914: „Der Zeitpunkt ist günstig. Nach der beispiellosen Niederwerfung Frankreichs durch unsere Armee würde eine Aufrichtung des Landes [durch einen Sonderfrieden; ZgK] […] als Akt der imposanten Fernsicht erscheinen.“ Im Februar 1918, also wenige Monate vor dem Zusammenbruch, meldete sich dieselbe Fraktion, nunmehr prominent vertreten durch Robert Bosch, nochmals mahnend zu Wort. Wenn der Krieg fortgesetzt würde, so die unterzeichnenden Herren, würde „die Widerstandskraft unseres Volkes gegen die revolutionäre Unruhe […] schließlich zusammenbrechen.“ Gefordert wurde ein schnelles Kriegsende. Nur damit könnten „wir einen Frieden schließen, der einmal unsere koloniale Zukunft sichert, sodann es uns ermöglicht, ein unter unserer Führung stehendes Mitteleuropa in den Frieden hineinzuretten.“

Behauptung 4: Deutschland und Österreich verloren den Krieg, weil es ein Mehrfrontenkrieg war und weil 1917 die USA in den Krieg eintraten.

Antwort: Tatsächlich gab es durch die Oktoberrevolution 1917 und den Diktatfrieden am 3. März 1918 in Brest-Litowsk mit Russland eine massive Entlastung für die von Berlin und Wien kommandierten Heere. Den wesentlichen Beitrag dazu, dass der Krieg beendet werden musste, leisteten in Deutschland und Österreich (wie zuvor bereits in Russland) die arbeitenden Menschen und die revoltierenden Soldaten: Ab 1917 kam es zu größeren Streiks in vielen deutschen Betrieben. Im Januar 1918 streikten dann im Bereich der Mittelmächte Millionen – vor allem in den Rüstungsbetrieben. Am 31. Oktober 1918 kam es bei Metz, Frankreich, zur Befehlsverweigerung einer ganzen deutschen Division. Am 3. und 4. November meuterten in den deutschen Küstenstädten die Matrosen. Es kam zur November-Revolution.

Das Ziel der Revolution war die Entmachtung derjenigen, die in den Krieg geführt hatten und die Errichtung einer sozialistischen Republik, weil der Kapitalismus als eine wesentliche Ursache für den Krieg erkannt worden war. Die Revolution scheiterte. Ihre führenden Köpfe – u.a. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht – wurden ermordet. Die Eigner von Konzernen und Banken blieben in ihren Positionen. Das kapitalistische System wurde restauriert. Damit waren die Grundlagen für einen neuen Weltkrieg gelegt.

Zur November-Revolution siehe die Ankündigung des neuen Buchs von K. Gietinger auf dieser Seite // zum Ersten Weltkrieg siehe Klaus Gietinger und Winfried Wolf, Der Seelentröster. Wie Christopher Clark die Deutschen von der Schuld am Ersten Weltkrieg erlöst. Stuttgart 2017, Schmetterling, 345 Seiten, 19,80 Euro. Siehe: http://www.schmetterling-verlag.de

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitung gegen den Krieg, Nr. 43, August 2018.