Relativierung des Holocaust und Übung für den Krieg gegen Teheran

Fragen und Antworten zur deutsch-israelischen Militärshow über dem KZ Dachau vom 18. August 2020

Am 18. August 2020 donnerten zwei israelische Kampfflugzeuge vom Typ F-16 und drei deutsche Eurofighter über das ehemalige KZ Dachau. Demonstriert werden sollte das gute deutsch-israelische Verhältnis. In der Folge gibt es zweiwöchige gemeinsame Übungen.

Frage: Macht eine solche Zusammenarbeit – mit Anflügen der Jets über mehr als 3000 Kilometer hinweg – militärisch Sinn?

Antwort: Deutsche Beobachter behaupten dies. Ein Berichterstatter von Bild behauptete, „beide Seiten können viel voneinander profitieren“. Die israelischen Militärs würden „das deutsche Terrain, den deutschen Wald“ so nicht kennen. Darüber hinaus verfüge die Bundeswehr „mit dem Eurofighter über ein modernes Flugzeug, was die Israelis so nicht haben“. Das ist Unsinn. Die israelische Armee ist kriegserprobt. Sie fliegt mehrmals im Monat Kampfangriffe – inm Gaza-Streifen und in Syrien. Die US-F-16-Kampfjets sind dem Eurofighter ebenbürtig. Es geht bei den Israelis ganz sicher nicht darum, von der Bundeswehr militärisch zu lernen.

Frage: Wenn es keine militärischen Argumente für die Übungen gibt, gibt es dann politische?

Antwort: Ja. Die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer betonte: „Heute stehen hier israelische und deutsche Soldaten Seite an Seite. Lasst uns an die schmerzhafte Geschichte erinnern – für eine bessere Zukunft.“

Frage: Ist das nicht gut? Haben wir vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte nicht allen Grund, mit Israel zusammenzuarbeiten, auch militärisch?

Antwort: Die Bundeswehr ist nicht irgendeine Armee. Die deutsche Armee steht mit ihrer Traditionspflege, mit ihren Symbolen und ihrem ehemaligen Gründungspersonal in einer nur wenig gebrochenen Linie mit dem deutschen Militarismus und der NS-Wehrmacht. Wobei die Wehrmacht an der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung aktiv beteiligt war. Die Bundeswehr wurde Anfang der 1950er Jahre von Nazi-Generälen gegründet. Nazi-Militärs haben diese Armee eineinhalb Jahrzehnte lang geprägt. Als drei Beispiele seien genannt: die Generäle Adolf Heusinger, Hans Speidel und Johann Adolf Graf von Kielmannsegg. Alle drei ranghohe Nazi-Generäle und Hitler-Fans. Alle drei waren ab Mitte der 1950er Jahre führende Köpfe in der Bundeswehr – und dies bis weit in die 1960er Jahre hinein.[1]

Frage: Aber kann man von einer doch zeitlich begrenzten personellen Kontinuität auf eine politische schließen?

Antwort: Es gab in der Bundeswehr jahrzehntelang einen positiven Bezug auf die Wehrmacht. Erst in dem Maß, wie die Verbrechen der Wehrmacht auch in Westdeutschland einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht wurden, wurden diese Bezüge teilweise eliminiert. Doch verschwunden sind sie nicht. So ist Karl Theodor Molinari bis heute der Namenspatron des Deutschen Bundeswehrverbandes (DBwV). Der Mann war hochdekorierter Wehrmachtsoffizier. Er wurde in Belgien wegen Kriegsverbrechen verurteilt. In der Bundeswehr hatte er zuletzt den Rang eines Generalmajors.[2] Bis heute gibt es die „Generalfeldmarschall Erwin Rommel-Kaserne“ in Augustdorf in Nordrhein-Westfalen und die „Rommel-Kaserne“ in Dornstadt, Baden-Württemberg. Erwin Rommel war führender NS-Militär („Wüstenfuchs“). Noch im November 1997 wurde die Eichelberg-Kaserne in Bruchsal umbenannt in „General-Dr. Speidel-Kaserne“. Speidelwar an Judendeportationen beteiligt. Die „Gebirgsjäger“-Traditionalisten der Bundeswehr stellen sich bis heute in die NS-Gebirgsjäger-Tradition. Jahr für Jahr organisiert die Bundeswehr mit den Gebirgsjägern in Mittenwald Gedenkfeiern für Kriegsverbrecher. Diese Einheit war in Griechenland an der Vernichtung hunderter Dörfer und deren Bevölkerung beteiligt.

Frage: Es geht bei den Auftritten in Dachau erklärtermaßen um Versöhnung. Es waren auch Nachfahren von Holocaust-Opfern vor Ort. Sie begrüßten die gemeinsamen Manöver.

Antwort: Die israelische Seite mag dafür spezifische Gründe haben. Doch wir als Deutsche müssen klar sagen: Deutsche Kampfflugzeuge über einem KZ – das geht gar nicht. Dann noch gemeinsam mit israelischen Jets: das ist pervers. Dies stellt eine Verhöhnung der im Holocaust Getöteten dar. Es werden Täter reingewaschen, indem man die Opfer instrumentalisiert. Es geht bis hinein in die Symbolik. Die deutschen und die israelischen Soldaten, die an der Übung teilnehmen, tragen Abzeichen, auf denen der Davidstern und das Eiserne Kreuz ineinander verwoben sind. Das ist zynisch. Alle oben genannten Nazi-Militärs und Bundeswehr-Mitbegründer waren Träger des Eisernen Kreuzes. Das Eiserne Kreuz der Bundeswehr unterscheidet sich nur unwesentlich vom Eisernen Kreuz der Wehrmacht. Das Eiserne Kreuz ist ein Symbol für den deutschen Militarismus, für das Vom-Zaum-Brechen der zwei Weltkriege. Das Eiserne Kreuz kann nicht losgelöst werden von den Kriegsverbrechen der Wehrmacht. Dieses Symbol der Täter in Verbindung zu bringen mit dem Davidstern, dem Symbol der Opfer, das ist durch und durch zynisch. Auf diese Weise werden die NS-Verbrechen.

Frage: Welche spezifischen Interessen soll die israelische Seite an diesen gemeinsamen Manövern haben?

Antwort: Eindeutig politische. Die Regierung in Israel befindet sich aktuell unter massivem Druck. Ministerpräsident Netanjahu ist wegen Betrug, Bestechlichkeit und Untreue angeklagt. Die Regierung hat in den Augen eines großen Teils der Bevölkerung bei der Bekämpfung der Corona-Epidemie versagt. Die Arbeitslosenquote ist auf mehr als 20 Prozent angestiegen. Es gibt fast täglich große Demonstrationen gegen Netanjahu. Ein erneutes Platzen der Koalition ist denkbar – was heißen würde: Neuwahlen. Das wären dann die vierten Wahlen binnen eineinhalb Jahren. Da kommt das Dachau-Event wie gerufen. Die deutsche Regierung und die Bundeswehr dienen hier der Unterstützung Netanjahus – Unterstützung für dessen Politik des Machterhalts nach innen und der Aggression nach außen.

Frage: Was hat die Außenpolitik Israels mit Deutschland oder gar der Bundeswehr zu tun?

Antwort: Sehr viel. Und hier wird es dann praktisch und durchaus militärisch. Die Regierung Netanjahu hat soeben mit dem Regime der Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) die wechselseitige diplomatische Anerkennung vereinbart. Das richtet sich einerseits gegen die Palästinenser. Andererseits dient es der weiteren Einkreisung des Iran und der Vorbereitung eines Kriegs von Israel und USA gegen Teheran.

Das wird exakt so in Bundeswehr-Kreisen betont. Carlo Masala ist Professor an der Bundeswehr-Universität in München. Er sagt zum Israel-VAE-Deal: „Zentral ist jetzt in der Region nicht mehr der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern, sondern der Konflikt mit dem Iran.“ Auch Saudi-Arabien sei heimlich Teil des neuen Bündnisses. Masala sieht „ein strategisches Dreieck Israel-VAE-Saudi-Arabien“.[3] Und da kommt dann Deutschland ins Spiel. Berlin rüstet seit Jahren die Golf-Staaten, vor allem Saudi Arabien, massiv auf. Deutsche Rüstungsexporte – insbesondere Lieferungen von Rheinmetall – haben seit Jahren Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate als Ziel, um von dort weitergeleitet im Krieg gegen den Jemen eingesetzt zu werden. Die Bundeswehr ist zunehmend in der Region aktiv. Und insofern haben die aktuellen deutsch-israelischen Manöver eine praktischen, militärischen Zweck. Nur anders herum, wie von Bild behauptet: Deutschland übt, um an der Seite Israels in dieser explosiven Region aktiv werden zu können.

Anmerkungen:

[1] Heusinger hatte in der nationalsozialistischen Diktatur eine exponierte Stellung. Er war von 1955 bis 1964 Generalinspekteur der Bundeswehr. Speidel war an Kriegsverbrechen in Frankreich beteiligt. Er war von 1957 bis 1963 General der Bundeswehr. Johann Adolf Graf von Kielmansegg war in der NS-Zeit zuletzt Oberst und enger Mitarbeiter von Heusinger. Er verfasste gemeinsam mit Heusinger „Geheime Kommandosachen“, in denen dokumentiert wurde, welche „Sühneerschießungen“ von Zivilpersonen die Wehrmacht an den verschiedenen Frontabschnitten vorgenommen hatte. In der Bundeswehr hatte von Kielmannsegg zuletzt den Rang eines Generals. Alle drei hatten in den 1960er Jahren auch hohe Positionen in der Nato.

[2] Der Bundeswehrverband zählt 200.000 Mitglieder. Er hat eine Karl-Theodor-Molinari-Stiftung. Auf der Website des Verbands heißt es: „Die Karl-Theodor-Molinari-Stiftung e.V. wurde bereits 1988 als Einrichtung zur politischen Erwachsenenbildung gegründet. Der Name geht zurück auf den ersten Bundesvorsitzenden des DBwV, Generalmajor a. D. Karl-Theodor Molinari.“ Zur NS-Vergangenheit dieses Militärs findet sich dort kein Wort. Siehe: https://www.dbwv.de/der-verband/stiftungen-engagement/karl-theodor-molinari-stiftung/

[3] Nach: (Berliner) Tagesspiegel vom 21.8.2020.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der Zeitung gegen den Krieg, Nr. 47, August/September 2020.