Mensch vor Profit

Das Desaster des Jojo-Lockdown und der notwendige solidarische Shutdown

von Redaktion ZeroCovid-Zeitung

Am 27. Januar 2020 wurde in Deutschland die erste Corona-Infektion registriert – beim Autozulieferer Webasto in Bayern. Das Virus kam per Business-Class-Flug Schanghai- München. Seither gab es 65.000 Corona-Tote. Warum? Weil die Bundesregierung Anfang 2020 nicht ZeroCovid praktizierte. Tatsächlich hatte das RKI bereits 2013 diese Pandemie vorhergesagt und Empfehlungen gegeben, um sich darauf vorzubereiten. Nach den ersten Berichten über Covid-19 in Wuhan entschieden sich mehr als ein Dutzend Länder für einen strikten Zero-Covid-Kurs. Diese Länder – u.a. Taiwan, Südkorea, Vietnam, Japan, Neuseeland, Kuba – reagierten schnell und ließen nicht zu, dass sich das Virus in der Bevölkerung ausbreitet. Bis heute haben sie Infektionszahlen nahe zero.

Bisher starben weltweit mehr als 2,5 Millionen Menschen an Corona. Die Dynamik der Pandemie hat sich beschleunigt. In den ersten sechs Wochen des neuen Jahres gab es in Deutschland 32.000 Corona-Tote. Das sind fast so viele wie im gesamten Jahr 2020. Das Virus mutiert und wird gefährlicher. Die »Flatten the Curve«-Strategie der Regierungen in Europa ist gescheitert. Sie halten ihre Länder im Lockdown-JoJo. Die Leittragenden sind vor allem die Frauen, weil sie den Hauptteil der Care-Arbeit schultern; Lohnabhängige und prekär Beschäftigte ohne Chance auf Home-Office, Menschen in beengten Wohnverhältnissen oder ohne Obdach; Selbstständige, Kunstschaffende, Kinder aus ärmeren Verhältnissen – sie alle sind in besonderer Weise sozial und mental durch den Lockdown belastet.

Wir meinen: So kann es nicht weitergehen. Wir brauchen einen Zero-Covid Strategiewechsel – nachhaltig und solidarisch!

Es kann nicht sein, dass der Bundeswehr-Etat 2020/21 um sieben Milliarden Euro erhöht wird, aber ein paar hundert Millionen Euro für Laptops in den Schulen fehlen. Dass Lufthansa und Tui mit 170.000 Beschäftigten zwölf Milliarden Euro Steuergeld erhalten und dann Jobs abbauen, das Gastgewerbe mit zwei Millionen Beschäftigten jedoch auf die viel zu niedrigen Novembergelder wartet und nun Hunderttausende Kleinexistenzen vor dem Ruin stehen. In den Altenheimen fehlen FFP2-Masken. In den Gesundheitsämtern bleibt die notwendige massive Personalaufstockung aus. Das Krankenhauspersonal arbeitet am Limit. 2020 wurden weitere 20 Kliniken geschlossen.

Wir wollen, dass die Pandemie bekämpft und keiner zurückgelassen wird. Dagegen gibt es Widerstand. Michael Hüther vom Unternehmerinstitut IW sagte als Antwort auf #zerocovid: „So richtig der Hinweis ist, dass jeder Todesfall menschliches Leid begründet, so gilt ebenso, dass jedes Leben nur ein Leben zum Tode ist.“

Diese zynische, ehrliche Haltung der Bosse und Banker bildet den Hintergrund für die neue Lockerungsdebatte. Obgleich die Inzidenzwerte überall noch viel zu hoch liegen und die gefährlicheren Virus-Mutationen sich schnell verbreiten, findet ein neuer Wettlauf der Öffnungen statt: Im Zentrum stehen der Einzelhandel, Schulen und Kitas. Sie werden nun ohne nachhaltiges Schutzkonzept geöffnet. Eine dritte Welle droht.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) knüpft zu Recht die Frage der Schulöffnungen an ausreichenden Infektionsschutz für Schülerschaft und Lehrkräfte. Schulen sind dann für alle sicher, wenn die Infektionszahlen wesentlich niedriger sind. Im letzten Herbst waren die Schulen ein Ort massiver Ausbreitung der Infektionen. Dies droht sich zu wiederholen. Eltern, Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte müssen ihre Interessen nach Bildungsgerechtigkeit und gesundheitlichem Schutz gemeinsam durchzusetzen: Schule braucht #Zero-Covid.

Gelegentlich hört man: Das, was in Asien bei der Covid-19-Bekämpfung gemacht wird, kann es „bei uns im Westen“ nicht geben. „Wir haben einen anderen Freiheitsbegriff“. Wir meinen: Die Pandemie kann ohne autoritären Polizeistaat erfolgreich bekämpft werden. Demokratie und Gemeinsinn sind dabei sogar entscheidend. Das 1×1 der Epidemiologie ist Schnelligkeit. Dazu gehört: testen, nachverfolgen, schützen und schließlich impfen. An diesen simplen Grundvoraussetzungen scheitert die Bundesregierung. Das Impfchaos ist nur ein weiterer Fehlschlag. Die Impfungen sind bis zum Herbst kein „Gamechanger“ – erstens weil die Impfstoffe knapp sind und zweitens weil unklar ist, ob diese die Mutanten in Schach halten können. Genau darum müssen wir die Infektionszahlen massiv senken.

Das geht! Im Frühjahr 2020 wurden durch die Disziplin der Bevölkerung die Neuinfektionen auf wenige hundert Fälle gedrückt. Der Sieben-Tage-Mittelwert lag im Juni bei 286 Fällen – bundesweit; heute sind es mehrere Tausend! Hätte sich die »Lockerungsmafia« damals nicht durchgesetzt, wäre nahe Null eine Sache von ein paar Wochen gewesen.

Die Corona-Politik in Europa ist gescheitert. Die Politik in Brüssel, Berlin, Wien und Bern ist von Kapitalinteressen geprägt. In Kauf genommen werden hohe Infektionszahlen bis kurz vor dem Kollaps des Gesundheitssystems, um dann oft widersprüchliche Restriktionen zu verhängen: Amateursport nein – Profisport ja, Kreuzfahrtschiffsfahrten ja – Theaterbesuch nein. Damit wird Politikverdrossenheit gefördert; der gute Wille von mehr als zwei Drittel der Bevölkerung wird aufs Spiel gesetzt. Wenn die Infektionsdynamik gestoppt werden soll, braucht es einen Strategiewechsel: Wir benötigen eine solidarische Pause bis die Infektionszahlen nahe Null liegen. Dabei müssen auch alle Arbeitsbereiche, die nicht dringend notwendig sind, heruntergefahren werden. Dafür benötigen wir einen umfassenden Schutzschild von oben und eine breite Solidarität von unten – von Gewerkschaften, Beschäftigten und Zivilgesellschaft. ZeroCovid ist machbar – und rettet Tausende n Menschen das Leben.

Redaktion ZeroCovid-Zeitung

Erschienen in „ZeroCovid-Solidarität in Zeit der Pandemie“ Nr. 1 vom Februar 2021