Freiheit und Covid-19

Debatten auf der Linken und in Gewerkschaften

ZeroCovid-Redaktion

In der Linken und in den Ge-werkschaften gibt es verstörende Behauptungen zur Pandemie, die beantwortet sein wollen. Siehe die nachfolgenden Beispiele mit dem Versuch solcher Antworten.

Behauptung 1: Es geht um die Verteidigung von Freiheitsrechten

„Freiheit ist nicht verhandelbar – Corona-Maßnahmen beenden – JETZT“ – So der Text auf einem Transparent bei einem Spiel der zweiten Bundesliga in Aue, Sachsen, im November. „Holt Euch Eure Freiheit zurück.“ So die Sängerin Nena im Juli 2021 vor Fans.1

Antwort Der Freiheitsbegriff des Individuums macht nur Sinn, wenn der Mensch als Teil der Gesellschaft gesehen wird. Die Freiheit Einzelner endet dort, wo damit die Rechte anderer verletzt werden. Die Freiheit einer Minderheit, Covid-19-Maßnahmen nicht einzuhalten, hat die logische Folge, dass das Recht vieler (z.B. auf körperliche Unverletztheit) verletzt wird. Nach der NSDAP-Machtergreifung 1933 wurden Geschwindigkeitsbeschränkungen im Kfz-Verkehr aufgehoben; damit wurden einer Minderheit neue „Freiheitsrechte“ gewährt; die Zahl der Verkehrstoten verdreifachte sich. Seit 15 Jahren wurden in Europa das Rauchen (von Zigaretten usw.) – und damit individuelle Freiheitsrechte – stark eingeschränkt. Die durch Rauch bedingten Todesfälle haben sich dadurch massiv reduziert. Die Freiheitsrechte einer deutlich größeren Zahl Menschen wurden erweitert.

Behauptung 2: Impfstoffe wirken wenig

Es stelle sich „immer mehr heraus, dass die Impfung nicht das hält, was man sich von ihr versprochen hat. Nicht nur, dass die Wirksamkeit der Impfstoffe schneller nachlässt, als man das zu Beginn der Impfkampagne erwartet hatte.“ So Sahra Wagenknecht im November 2021.2

Antwort Zunächst ist klarzustellen: Der Impfschutz ist weniger gut, weil es zu Mutationen kam. Zu diesen wiederum kommt es, weil das Virus breit zirkulieren kann, weil Eindämmungsmaßnahmen unzureichend waren und weil die Impfquoten zu niedrig sind. Sodann stellen die sogenannten Impfdurchbrüche die Effektivität der Impfung nicht generell infrage. Das RKI dazu: „Im Vergleich zu den Ungeimpften mussten deutlich weniger [geimpfte] Menschen beatmet werden – und das, obwohl die Personen älter waren und Risikofaktoren aufwiesen. Und: Die Sterblichkeitsrate sank bei den Geimpften im Vergleich zu den Ungeimpften deutlich.“

Behauptung 3: Besserer Schutz durch überstandene Infektion

„Ich habe am Beispiel des Bayern-Stars Joshua Kimmich dargelegt, dass er nach überstandener Infektion eine bessere Immunreaktion haben wird als seine geimpften Mannschaftskameraden…“ So Oskar Lafontaine am 7. Dezember 2021.

Antwort Das ist unlogisch und unsolidarisch. Mangelnde Logik: Nur wenn eine Corona-Infektion überstanden ist, gäbe es – möglicherweise – diese „bessere Immunreaktion“. Zunächst einmal wird hier empfohlen, eine Infektion eben mal zu riskieren – mit dem Risiko, schwer zu erkranken. Unsolidarisch: Würden alle so handeln und es auf eine Infektion ankommen lassen, um möglicherweise eine „bessere Immunreaktion“ zu erhalten, dann wäre die Pandemie außer Kontrolle und wir hätten ein Vielfaches an Corona-Toten. Doch geben wir Joshua Kimmich das Wort. Nach seiner Corona-Erkrankung sagte er: „Vielleicht musste ich auch erst das durchleben, was ich jetzt durchlebt habe. Natürlich, rückblickend gesehen, würde ich gerne die Entscheidung des Impfens früher treffen.“

Behauptung 4: Kein Zusammenhang zwischen Impfquote und Corona-Tod

„Das Argument, eine höhere Impfquote hätte Deutschland vor einer vierten Welle geschützt, ist durch die Entwicklung in Ländern mit höherer Impfquote wie […] Dänemark und Irland, oder Schweden […] mehr als in Frage gestellt.“ Oskar Lafontaine, Erklärung vom 22. November 2021.

Antwort Die Impfquote ist ein Faktor unter vielen, die Corona entgegenwirken. Dennoch lässt sich daran bereits einiges erkennen. Dänemark z.B. hat eine höhere Impfquote als Schweden (78% gegenüber 71%). Die Zahl der Corona-Toten je 100.000 Einwohner liegt in Dänemark bei 50, in Schweden bei 149 – drei Mal höher. Irland hat die hohe Impfquote von 77% und zählte 114 Corona-Tote je 100.000 Menschen. Länder vergleichbarer Größe in Europa mit niedrigen Impfquoten müssen wesentlich mehr Corona-Tote beklagen. Beispiele: Ungarn – Impfquote 60% ; 363 Corona-Tote/100.000 Menschen; Slowakei – Impfquote 44%, 267 Corona-Tote/100.000 Menschen, Bulgarien – Impfquote 27%, 417 Corona-Tote je 100.000 Menschen. (Angaben jeweils für den 30.11.2021).

Behauptung 5: Wirtschaft muss laufen

„Wir Sozialpartner haben […] mit Pandemieplänen und tariflichen Vereinbarungen zur Abmilderung der Auswirkungen der Corona-Krise das wirtschaftliche Leben trotz der schwierigen Bedingungen in zahlreichen Bereichen aufrechterhalten.“ So der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann und der Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger in einer gemeinsamen Erklärung vom 7. November 2021

Antwort Es trifft zu, dass der DGB sich auch in Pandemie-Zeiten in das Arbeitgeber-Boot setzte. Die Arbeitgeber hatten dabei das nachvollziehbare Arbeitgeberziel, „das wirtschaftliche Leben aufrechtzuerhalten“, also hohe Umsätze und hohe Gewinne zu erzielen, gegebenenfalls auf Kosten der Gesundheit der Beschäftigten. Notwendig seitens der Gewerkschaften wäre jedoch eine Politik, die der Gesundheit der Beschäftigten die absolute Priorität zuordnet. Schließlich veröffentlichte der DGB nur drei Wochen später, am 30. November 2021, eine Presseerklärung, in der es heißt: „Ein Viertel der Beschäftigten sieht sich am Arbeitsplatz nur schlecht vor einer Ansteckung geschützt.“

Behauptung 6: Ungeimpfte sind Opfer

„Dieses eine Drittel [Ungeimpfte; d. Red.] erfährt eine Aufmerksamkeit, wie sie früher nur Ketzer, Hexen, Deserteure, Volksschädlinge, Friedensfeinden und asozialen Elementen zuteil wurde.“ Hendrik M. Broder, in: Die Welt vom 25. November 2021

Antwort Damit wird unterstellt, es gäbe heute Verhältnisse, die u.a. an die Zeiten der NS-Diktatur erinnern. Das ist eine Verharmlosung der NS-Diktatur. Damit werden in zweifacher Weise die Verhältnisse auf den Kopf gestellt. Zum einen ist es offensichtlich eine Minderheit – die der Impfgegner – die auf sich mit Demos usw. aufmerksam macht, die dabei tausendfach Corona-Schutzmaßnahmen missachtet und darauf (meist mit Erfolg) setzt, dass das für sie keine größeren negativen Folgen hat. Zweitens ist diese Gruppe nicht Opfer einer rechten Obrigkeit. Vielmehr wünschen sich viele Ungeimpfte genau solche diktatorischen Verhältnisse eines rechten Regimes herbei. Einer Forsa-Umfrage zufolge stimmten bei der Bundestagswahl im September ganze 50 Prozent der ungeimpften Wählerinnen und Wähler für die AfD.3

Anmerkungen:

1 Mit Foto wiedergegeben in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 28.11.2021. Zitat Nena vom Open Air-Konzert in Brandenburg, Juli 2021 (FAZ vom 27.7.2021)

2 Newsletter 168 vom 11. November 2021.

3 Spiegel vom 20.11.2021

Zuerst am 17.1.21 veröffentlicht in der ZeroCovid-Zeitung Nr. 3