Afghanistan war nicht nur ein US-Krieg

Die Verantwortung von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen

Seit Wochen herrscht in Deutschland Einigkeit: Der Afghanistan-Krieg war eine „Katastrophe“. Betont wird, dass es sich um einen US-Krieg handelte. Über die deutsche Verantwortung wird nicht diskutiert. Dabei war dies in starkem Maß auch ein deutscher Krieg. Zu diesem Thema Fragen und Antworten.

Frage: Ist Deutschland in diesen Krieg nicht hineingerutscht? Stand Deutschland damals nicht unter massivem Druck der USA, wie das der damalige Kanzler Gerhard Schröder jüngst erneut betonte?1

Antwort: Der Deutsche Bundestag hat am 16. November und am 22. Dezember 2001 auf Antrag der SPD-Grünen-Regierung mit überwältigender Mehrheit für eine Beteiligung der Bundeswehr am Kriegseinsatz in Afghanistan gestimmt. Natürlich hätte der Bundestag auch mit „Nein“ stimmen können. Beziehungsweise die rot-grüne Regierung hätte erst gar keinen Antrag dieser Art stellen müssen. Siehe das entsprechende Nein ein Jahr später zu einer Beteiligung am Irak-Krieg. Es gab keinen „besonderen Druck aus den USA“. Vielmehr wollten die deutsche Regierung und die Bundeswehr-Militärs bei einem „richtigen Krieg dabei sein“. Nicht nur in der Luft, wie im Kosovo-Krieg 1999, sondern vor allem auch am Boden. Das äußert sich auch darin, dass seit gut einem Jahrzehnt im Verteidigungsministerium von der „Generation Einsatz“ schwadroniert wird. Gemeint sind die „wichtigen Erfahrungen“ der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im Kriegsein satz in Afghanistan.

Frage: SPD und Grüne gelten eher als kritisch beim Thema Krieg; CDU/CSU und FDP eher als Kriegseinsätze bejahend. Spiegelte sich das bei Afghanistan wider?

Antwort In keiner Weise. Wie erwähnt hat Rot-Grün den Afghanistan-Einsatz im Bundestag beantragt. Peter Struck, SPD-Verteidigungsminister 2002 bis 2005, hat mit dem Satz „Unsere Sicherheit wird (auch) am Hindukusch verteidigt“ für die Bundeswehrbeteiligung getrommelt. Bei den Grünen gab es bei der entscheidenden Abstimmung am 22. Dezember 2001 keine einzige Nein-Stimme und nur vier Enthaltungen. Alle anderen Grünen-MdBs – also gut 90 Prozent – stimmten für den Kriegseinsatz – auch Christian Ströbele. Dabei waren zuvor die vier Enthaltungen zynisch noch so ausgeknobelt worden, dass die „Kanzler-Mehrheit“ von Schröder nicht gefährdet wurde.

Frage: Je länger dieser 20jährige Krieg dauerte, desto deutlicher wurde dessen Sinnlosigkeit. Spiegelte sich das im Bundestag wider?

Antwort Kaum. Es gab mehr als ein Dutzend Afghanistan-Abstimmungen, meist zur Verlängerung des jeweiligen Bundeswehr-Einsatzes. Und es gab immer Mehrheiten von mehr als 75 Prozent für die Fortsetzung der Einsätze. Eine letzte Abstimmung fand am 13. März 2020 statt, als die Bundeswehr-Präsenz um ein weiteres Jahr verlängert wurde. Es stimmten 358 MdBs mit Ja und 160 mit Nein. Bei den Ja-Stimmen waren 17 Grünen-MdBs. Was in allen Afghanistan-Abstimmungen gleich blieb: Die PDS bzw. die LINKE stimmte geschlossen gegen alle diese Anträge.

Richtig ist, dass es in der Bevölkerung seit langem eine deutliche Mehrheit für einen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan gibt. Grob lässt sich sagen: In den letzten 15 Jahren stimmten immer gut zwei Drittel im Parlament für die fortgesetzte deutsche Beteiligung am Afghanistankrieg, während in der Bevölkerung rund zwei Drittel für einen sofortigen Abzug der deutschen Soldaten eintrat. Eine aufschlussreiche Kluft.

Frage War die deutsche Beteiligung nicht eher symbolisch?

Antwort Nein! Deutschland stellte mit zeitweilig 5400 Soldaten in der Regel das zweit- oder drittwichtigste Kontingent in diesem westlichen Krieg. Zeitweilig hatte die Bundeswehr sogar das militärische Kommando – so 2003 zusammen mit den Niederlanden. Selbst bei den Kriegsverbrechen spielte Deutschland eine unrühmliche, maßgebliche Rolle; Stichwort Tanklastwagen-Massaker bei Kundus 2009 (siehe Seite 8).

Frage War es nicht gerechtfertigt, sich in Afghanistan für die Verteidigung von Menschenrechten und für Frauenrechte einzusetzen?

Antwort Dies ist eine Schutzbehauptung. Wenn es wirklich um einen Kampf zur Verteidigung der Menschenrechte gegangen wäre, dann müsste die Bundeswehr in Dutzenden Ländern eingesetzt werden. Beispiel Türkei: Dort werden die Menschenrechte flächendeckend verletzt; u.a. wird die große kurdische Bevölkerungsgruppe blutig unterdrückt. Beispiel Saudi Arabien: Dort gilt die Scharia. Elementare Rechte von Frauen werden verletzt; laut Amnesty werden in dem Land „Dutzende Menschen jedes Jahr hingerichtet, viele durch grausame öffentliche Enthauptungen.“2 Auf diese Doppelmoral machte in jüngerer Zeit sogar die Frankfurter Allgemeine Zeitung aufmerksam.3 Dabei gibt es einen bezeichnenden Unterschied zwischen Afghanistan einerseits und der Türkei und Saudi Arabien andererseits. Nach Afghanistan entsandte Deutschland 20 Jahre lang Soldaten und investierte Milliarden, angeblich im Kampf für Menschenrechte. In die Türkei und nach Saudi Arabien versende t Deutschland Rüstungsgüter in Milliardenhöhe – und unterstützt damit die Unterdrückung der Menschenrechte. Im Übrigen wird in Deutschland an jedem dritten Tag eine Frau von einem Mann ermordet. Wir sollten vor der eigenen Tür kehren.

Anmerkungen

1 G. Schröder; Interview in: Der Spiegel vom 30. Juli 2021.

2 Amnesty-Bericht 2019.

3 Aus einem Interview mit Reinhard Erös, der seit 2002 vor Ort das Projekt „Kinderhilfe Afghanistan“ betreibt: „Dieses Recht [Scharia; d. Red.] hat […] auch die Todesstrafe und die körperliche Verstümmelung. Wie übrigens identisch bei unseren ´Freunden´ in Saudi Arabien, wo nahezu jede Woche nach dem Freitagsgebet ein staatlicher Henker vor den Augen der Gottesdienstbesucher dem ´Straftäter der Woche´ mit einem Schwert den Kopf abhackt.“ (FAZ vom 18. August 2021).

Am 25.8.21 erschienen in der Printausgabe der „Zeitung gegen den Krieg“ Nr. 49