blog 25: Wohin die neue deutsche Hochrüstung führen muss

Ebene 1 Abbau sozialer Standards.

Konkret In den Hochzeiten der Friedensbewegung gab es die Losung „Bei der Rüstung sind sie fix – für die Bildung tun sie nix“. Das trifft in Bälde besonders zu – auf Bildung, Soziales, Kultur. Die gewaltigen Sonderausgaben für mehr Rüstung müssen finanziert werden. Bereits am 23. März kündigte Gesundheitsminister Lauterbach an, „im nächsten Jahr“ würden „rund 17 Milliarden Euro“ bei den Krankenkassen fehlen. Geplant sei „eine Erhöhung der Krankenkassenbeiträge“. Ideen wie eine allgemeine Krankenversicherung für alle – mit der Integration der Gutverdienenden – tauchen jetzt in der Öffentlichkeit nicht mehr auf. Die Notwendigkeit, das Personal in den Krankenhäusern um mindestens 100.000 Vollzeitstellen aufzustocken und das Personal dort besser zu bezahlen – kein Thema mehr. Die Notwendigkeit, die Zahl der Lehrkräfte deutlich anzuheben – in weite Ferne gerückt. Müsste es nicht einen „Sonde rfonds Klimanotstand“ geben? Da winken sogar die Grünen ab und argumentieren mit „Sicherheit vor Klima“.

Ebene 2 Inflation und Energiepreise

Konkret Die Inflationsrate lag Anfang 2022 bei gut fünf Prozent. Im März ist sie vor allem als Kriegsfolge auf 7,3 Prozent hochgeschnellt. Der massiv erhöhte Rüstungsetat wird vor allem durch neue öffentliche Kredite „finanziert“. Das muss die Inflation weiter antreiben. Hinzu kommt die Umschichtung der Energieimporte. Flüssiggas aus den USA oder Fernost kostet mindestens ein Drittel mehr als das bisher überwiegend aus Russland (und den Niederlanden) bezogene Naturgas. Erste Berechnungen lauten: Pro Kopf soll es in Deutschland im laufenden Jahr 2022 einen „Kaufkraftverlust von 1501 Euro“ geben. Oder deutlich mehr? Wirtschaftsexperten gehen davon aus, dass die Inflation im Herbst eine zweistellige Zahl sein wird. Die Energiepreise – und damit vor allem die Heizkosten – dürften im Winter 2022/23 doppelt so hoch sein wie im vorausgegangenen Winter.

Ebene 3 Billigarbeitskräfte. Das neue Subproletariat.

Konkret Seit der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 emigrierten rund drei Millionen Menschen aus dem Land wegen verbreiteter Armut. Bereits vor dem Krieg arbeiteten 1,5 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer im Ausland, überwiegend in Polen, als Billigarbeitskräfte in den Branche Landwirtschaft, IT und Sexarbeit. Das heißt, dass bereits vor dem Krieg rund 10 Prozent der Bevölkerung, die die Ukraine 1991 hatte, faktisch abgewandert war. Mit dem Krieg gibt es die neue Emigration. Sie zählte bis Anfang April rund 4 Millionen. Also weitere 10 Prozent der Gesamtbevölkerung. Auch wenn am Ende des Krieges die meisten von denen, die seit dem 24. Februar flüchteten, zurückkehren werden, wird es ein neues Millionen-Heer von Geflüchteten geben, die in der EU bleiben, davon einige hunderttausend in Deutschland. Diese Menschen sind weitgehend ohne Sprachkenntnisse, ohne Gewerkschaft, mit unzureichendem sozialen Schutz. Sehr viel spricht dafür, dass diese Menschen Teil des Potentials verarmter Billigarbeitskräfte sein werden – womit die allgemeine Tendenz zu Lohndumping verstärkt wird. Wer wurde jüngst an der polnisch-ukrainischen Grenze gesichtet? Wir zitieren: „Drei Mitarbeiter der deutschen Schlachterei Tönnies verteilten dort Handzettel, auf denen sie einen Arbeitsplatz, Wohnraum und Weiterfahrt nach Deutschland anboten.“1

Ebene 4 Rüstungsgüter sind dazu da, genutzt zu werden.

Konkret Vermittelt wird der Eindruck, Rüstungsgüter würden irgendwie eingemottet. Und dann irgendwann demontiert. Das ist falsch. Es handelt sich um teure Gebrauchswerte – die ihres Einsatzes harren. Fast immer wird ihr Gebrauchswert irgendwann realisiert. Die Lager müssen geleert werden. Und seien es alte Waffen der DDR-Armee, die mit einem Umweg über ein baltisches Land in die Ukraine geschickt wurden. Um dort zur Verlängerung des Krieges eingesetzt zu werden. Im Übrigen dienen den Händlern des Todes alle Kriege als Testgelände. Erinnert sich jemand an den Falkland (Malvinas-) Krieg 1982? Damals setzte die argentinische Armee gegen die angreifende britische Flotte die französische Exocet-Rakete ein. Gibt man die Begriff „Falkland“ und „Exocet“ bei Google ein, dann erhält man auch heute noch kriegsbegeisterte Jubel-Berichte über diesen – für viele Menschen tödlichen – Waffeneinsatz.2 Ähnlich war es bei den späteren Kriegen im Irak, im Kosovo, in Afghanistan und in Libyen. Alle diese Kriege waren Testgelände. Werbefilme mit Darstellung des konkreten Einsatzes dieser Waffen sind wortwörtlich Gold wert; sie lassen den Börsenwert der betreffenden „Waffenschmiede“ nach oben schnellen.

Nehmen wir das Kampfflugzeug F-35, das im Rahmen der neuen deutschen Hochrüstung für einen zweistelligen Milliarden-Euro-Betrag angeschafft werden soll, verharmlosend als „Ferrari der Luftwaffe“ bezeichnet. Das ist ein Tarnkappen-Bomber, mit dem Atombomben ins Ziel gebracht werden sollen. Vor wem soll der „getarnt“ werden? Das macht nur Sinn im Rahmen eines Kriegs der Bundeswehr außerhalb Deutschlands! Und wohin sollen die Atombomben befördert werden? Was wäre die logische Folge eines von deutschem Boden ausgehenden Atomschlags (und sei es „nur“ ein Zweitschlag)? Zu fragen, heißt bereits die Antwort zu geben.

Ebene 5 Stärkung des Militärisch-industriellen Komplexes

Konkret Die enorm ansteigenden Rüstungsausgaben werden die Macht der Rüstungsindustrie massiv steigern und das Geflecht Rüstung-Politik-Armee verdichten. Dieses Geflecht spielte in Deutschland eine enorme Rolle 1914 und trug mit zu dem Angriffskrieg bei, den damals das Deutsche Reich begann. Keine Spur von „Schlafwandlern“ – das war eine gezielt gesteuerte Politik in den Krieg. Dieses brandgefährliche, Weltbrände auslösende Geflecht – das seit Ende der 1940er Jahre zutreffend als „militärisch-industrieller Komplex“ bezeichnet wird – durchdringt das gesamte politische Denken. Es bestimmt die Medien. Und es formt die Öffentlichkeit.

Was im Übrigen auch erklärt, warum in Russlands auch heute noch Millionen Menschen der russischen Regierung glauben, die russische Armee führe in der Ukraine eine „Spezialoperation“ zur Befreiung der Ukraine von einer Nazi-Regierung durch. Von unseren Großeltern wissen wir: In Deutschland glaubte bis Anfang 1945 auch eine Mehrheit der Bevölkerung der NS-Führung und ihrem Lügengebäude vom Kampf gegen eine „jüdisch-bolschewistische Welt“.

Anmerkungen:

1 Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1. April 2022.

2 Beispielsweise hier: Martin Rosenkranz, Die letzte Exocet, in Magazin Airpower. http://www.airpower.at/news02/0410_falklands/exocet_4.htm


Der Krieg. Die Kriegsführung

Krieg ist immer menschenverachtend. Und der Versuch einer Regelung des kriegerischen Geschehens nach Recht und Gesetz (Völkerrecht) war schon immer fragwürdig. All das wird seit dem 24. Februar 2022 mit dem russischen Krieg in der Ukraine unterstrichen. Und dies für beide Seiten. Wobei es natürlich einen wesentlichen Unterschied zwischen Aggressor und Verteidiger gibt.

Die russische Armeeführung hat offensichtlich extrem junge Soldaten in den Krieg geschickt, die wenig ausgebildet und kaum informiert über ihren Einsatz waren. Auf diese Art werden Menschen wie Material verheizt; was gemeinhin als „Kanonenfutter“ bezeichnet wird. Russlands Streitkräfte beschießen offensichtlich auch zivile Ziele. Mit Mariupol wird eine Großstadt weitgehend in Schutt und Asche gelegt. Die Bilder erinnern an Coventry 1940/41 oder Hamburg 1943. Daran ändert sich im Grundsatz nichts, wenn belegt werden sollte, was die russische Seite behauptet: Dass es sich beim Beschuss einiger formell ziviler Objekte um militärische gehandelt habe, dass sich ukrainische Truppen und insbesondere das rechtsextreme Asow-Regiment in solchen Gebäuden verschanzt hätte.

Die russische Kriegsführung bezog Atomkraftwerke in die Kampfhandlungen ein. Man mag argumentieren, dass sich das bei einem Krieg in einem Land mit mehr als einem Dutzend Atomkraftwerken nicht vermeiden lässt. Was dann jedoch zusätzlich gegen einen Ukraine-Krieg spricht. Festzuhalten bleibt: Kriegerische Akte in der Nähe und/oder auf dem Gelände von Atomkraftwerken sind immer mit der Gefahr einer atomaren Katastrophe und der Gefährdung der menschlichen Gesundheit von Hunderttausenden verbunden. Ein solches Risiko darf keine verantwortungsbewusste Regierung eingehen.

Was Kiew betrifft, so ist im Westen weitgehend unbestritten das „Recht auf Selbstverteidigung“. Zu fragen ist jedoch: Kann man von einem solchen abstrakten „Recht“ sprechen, wenn dessen Wahrnehmung mit dem Tod Zehntausender Unschuldiger verbunden ist? Warum erwog die Regierung in Kiew nicht eine Politik des sozialen Widerstands bei Verzicht auf militärische Gegenwehr – nach Art, wie sie die Regierung der CSSR im Augst 1968 praktizierte? Kann die Regierung in Kiew für die ukrainische Bevölkerung sprechen – zumal unter Bedingungen, wo auch in diesem Land seit Mitte März alle linken und pazifistischen Gruppen und Medien (wie in Russland ohnehin) illegalisiert sind? Ist es vertretbar, dass die Regierung in Kiew erklärt, die Stadt Mariupol werde „nie und nimmer kapitulieren“, wenn damit der Tod weiterer Tausender unschuldiger Menschen besiegelt wird? Diese Fragen müssen gestellt werden.

Beide Beiträge sind zuerst in der „Zeitung gegen den Krieg“ erschienen, die seit dem 4.4. erhältlich ist