Antworten auf User-Kommentare zum Text „Der Krieg rückt auf Berlin zu“
Warum eine Invasion aggressiv ist, wer Gasverträge gebrochen hat, wer den Konflikt anheizt.
Mein Artikel „Teilblockade von Kaliningrad – Der Krieg rückt auf Berlin zu“ hat mit rund 1.100 Reaktionen binnen 32 Stunden doch einiges an Diskussionsstoff geliefert – und das eine und andere, das geklärt werden sollte.
Wer ist der Aggressor?
So verorten mehrere mich im russischen Lager. In der letztgenannten Zuschrift heißt es gar: „Der russische Überfall auf ein Nachbarland wird nicht einmal erwähnt.“
Das ist unzutreffend, beziehungsweise ein Missverständnis. Im Beitrag schreibe ich, dass es in diesem Krieg um Geopolitik gehen würde; dass er spätestens inzwischen ein Stellvertreterkrieg USA gegen Russland ist.
Wobei natürlich Russland diesen Krieg begonnen hat, natürlich das ein Bruch des Völkerrechts war und bleibt und natürlich Russland der ursprüngliche Aggressor ist.
Ich schreibe im Artikel bewusst, dass Russland am 24. Februar eine „Invasion“ startete – und eine Invasion ist immer rechtswidrig. (Weswegen das NS-Regime und rechte Kreise in der BRD die Landung der Alliierten in der Normandie 1944 als „Invasion“ etikettierten, um sie in dieses falsche Licht zu rücken.)
Drei Tage nach Beginn der russischen Invasion verfasste ich einen Text mit Titel „15 Thesen zum Krieg des Kreml gegen die Ukraine„. Er erschien außer in deutscher auch in englischer und russischer Sprache. Darin kritisiere ich die russische Führung unzweideutig.
Bei all dieser berechtigten Kritik am russischen Krieg gibt es Gründe für die Entwicklung hin zum Angriffskrieg, die das Vorgehen des Kremls nicht rechtfertigen, die jedoch das eine und andere erklären. Dazu gehört das De-facto-Verbot der russischen Sprache als zweite Amtssprache in der Ukraine 2014, das Anfang 2022 nochmals verschärft wurde.
Also, ja zu „Ignoramus-et-Ignorabimus“ (Zuschrift 23.6./14.32h): Russland ist die entscheidende Eskalationsmacht.
In diesem Zusammenhang meint User „Bedenkentraeger“: „Das Wort ‚Falle‘ impliziert die Unschuld der Handelnden“.
Das kann ich nicht nachvollziehen. Man kann doch in eine Falle laufen und dennoch gleichzeitig Unrecht tun. Die Sowjetunion marschierte im Dezember 1979 in Afghanistan ein. Das war ein Bruch des Völkerrechts. Und falsch. Und Falle.
Es war der Ex-Sicherheitsberater der US-Regierung, Zbigniew Brzezinski, der erklärte, damit sei die UdSSR in „eine Falle gelaufen“ und erhoffte sich damit „ein russisches Vietnam“. Die CIA hatte einen solchen Einmarsch erhofft – und dann die „Gotteskrieger“ aufgebaut und mit modernen Waffen ausgerüstet. Die Sowjetunion erlitt dann ihr „Vietnam“.
Russlands Krieg und das „Spielchen mit Gas“
In mehreren Beiträgen (so im zuletzt erwähnten von „Ignoramus-et-Ignorabimus“, aber auch bei User „i-n-t-el“ und wörtlich bei „BythMuster“ heißt es: „Russland hat die Gaslieferverträge gebrochen.“
Das sollte man differenzierter sehen. Der Westen hat in drei Stufen den regionalen Krieg zum Wirtschaftskrieg im Energiesektor ausgebaut:
1. Zuerst wurde Nord Stream II gekippt (eine Gasleitung, die eindeutig vertraglich geregelt war).
2. Dann wurden russische Vermögen und Devisen der Russischen Föderation, die im Westen lagerten, in großer Menge beschlagnahmt oder blockiert. Als Antwort darauf Russland forderte, dass die Gasrechnungen damit in Rubel zu bezahlen sind, lehnte der Westen dies mehrheitlich ab.
3. Der Westen erklärte, sich perspektivisch nicht an die langfristigen Verträge für den Bezug von russischem Gas halten zu wollen. Gerade auch Berlin erklärte, spätestens 2023 sich von russischem Gasbezug abkoppeln zu wollen (setzte aber darauf, dass Russland vorher noch brav die Gasspeicher so auffüllt, dass es im Winter 2022/23 nicht allzu kalt in deutschen Stuben wird).
Dass Russland vor diesem Hintergrund sich nicht an Verträge gebunden sieht, ist nachvollziehbar.
Russland schließt Bündnisse mit Bösewichten
In dem bereits erwähnten Beitrag von „I-N-T-E-L“ heißt es: „Putin versucht, Allianzen mit den Schurkenstaaten der Welt zu schmieden“.
China, Indien und den Iran pauschal als „Schurkenstaaten“ zu bezeichnen, finde ich kühn. Und wenn in Saudi-Arabien oder in anderen Golf-Staaten Monarchien diktatorisch herrschen, wenn dort die Hälfte der Bevölkerung, Frauen, so gut wie gar keine Menschenrechte genießen und bei „Ehebruch“ Frauen gesteinigt werden, wenn unsere Politiker diesen Regimes seit Jahrzehnten Rüstungsgüter aller Art (leichte und vor allem schwere Waffen) liefern und jetzt dort aufschlagen und um Gas (und Öl) betteln – was ist das denn anderes als ein „Schmieden von Allianzen mit Schurkenstaaten“?
Getreide kann man nur per Schiff außer Landes bringen
User „Tichy Ion“ rechnet mir vor, dass die bisherigen Waffenlieferungen nach Gewicht so „leicht“ beschaffen seien, dass man nie und nimmer auf vergleichbarem Weg das Getreide außer Landes schaffen könnte. Dafür sei der Schiffstransport erforderlich.
Nun hat der deutsche Landwirtschaftsminister Cem Özdemir am Freitag dieser Woche im Detail erklärt, dass das sehr wohl gehen würde, dass man hier bereits erhebliche Erfolge erzielt habe und dass man auch in Zukunft auf dem Landweg (und dann wohl zu baltischen Ostseehäfen) das Getreide aus der Ukraine verbringen wolle. Er sagte im Interview mit dem in Berlin erscheinenden Tagesspiegel:
Vor dem Krieg wurden rund fünf Millionen Tonnen Getreide pro Monat über das Schwarze Meer exportiert… Dieses Niveau werden wir zwar nicht so schnell erreichen; doch wir sind auf einem guten Weg. Im März ist der Export auf rund 350.000 Tonnen eingebrochen. Im Mai haben wir es (…) auf immerhin 1,7 Millionen Tonnen gebracht.
Landwirtschaftsminister Cem Özdemir
Seine Behauptung, dass „der Neubau einer Breitspur-Bahnverbindung zu den baltischen Häfen Sinn“ ergeben könnte, zeugt nicht von Fachkenntnis – oder sie zielt auf einen hübschen Großauftrag für Siemens & Co.
Die Umspursysteme von Normalspur (1.435 mm) auf ukrainische (und russische) Breitspur sind weit entwickelt und werden längst – zum Beispiel im Fall des deutsch-chinesischen Zugs entlang der Seidenstraße – erfolgreich eingesetzt.
Wer stimmt dem Krieg zu, wer hat dazugelernt?
User „Captain Data“ verweist darauf, dass Siemens über 150 Jahre hinweg in Russland präsent war und erwähnt die „Scherben“, die die westliche Politik gegenüber Russland hinterlassen würden. Just so sehe ich es auch.
In dem „Gruß aus Rom“ (User „Chrysophylax“) wird erwähnt, dass man in Italien nicht so „kriegsgeil“ sei wie in Deutschland. Stimmt! Doch spannend ist halt auch die Reaktion, die es gab, als Cinque Stelle, die Fünf-Sterne-Bewegung, – die gegen Waffenlieferungen aus Italien ist und die „eigentlich“ die größte Partei in der Koalitionsregierung unter Mario Draghi stell(t)e – hart bleiben wollte.
Flugs wurde die Partei gespalten; der Außenminister di Maio gründete prompt eine neue Partei, die bereits über mehr als 50 Abgeordnete verfügt. Wobei letztere natürlich nur ihrem Gewissen und nicht etwa Geld und schon gar nicht Wünschen aus Washington folgen.
Deutlich wurde das auch in dem von User „Goerlitzer“ beigebrachten Zitat des litauischen Sicherheitsbeauftragten: „Ich will beteuern, dass es (die Teilblockade von Kaliningrad; W.w.] keine litauische Entscheidung ist, sondern eine der EU.“ Genau so sehe ich es auch – es gibt in diesem Zusammenhang Akteure in Brüssel und Berlin – und letzten Endes immer in Washington.
Und schließlich finde ich absolut zutreffend, wenn User „Fätty“ schreibt: „Das Finanzsystem im Wertewesten ist ausgepresst. In der Historie immer ein guter Ausgangspunkt für einen großen Krieg.“
Diese Erkenntnis drängt sich auf, angesichts labiler Börsen, des Bitcoin-Crashs, der Staatspleite in El Salvador, Sri Lanka, Libanon und Laos, der massiven Wirtschaftskrise in der Türkei, dem Anstieg der Leitzinsen auf internationaler Ebene und der weltweit vom Trab in den Galopp verfallenden Inflation.