Diskussion zum ZgK-Artikel „Putin, Erdogan und ihre Kriege“

– Leserbrief zum Artikel „Putin, Erdogan und ihre Kriege“, Nr. 52, Seite 1 –

Liebe HerausgeberInnen der „zeitung gegen den krieg“,

gerade halte ich die 52. Ausgabe der „zeitung gegen den krieg“ vom Herbst 2022 in der Hand und bin beeindruckt vom langen Atem und dem Engagement der HerausgeberInnen, als mein Blick an dem einspaltigen Artikel auf der ersten Seite hängenbleibt. Die Überschrift „Putin, Erdogan und ihre Kriege“ läßt mich stutzen. Es ist nicht das erste Mal, daß ich in den letzten Monaten auf der ersten Seite einer Veröffentlichung der Friedensbewegung den Namen Erdogan  lese. Ich bin kein Fan des türkischen Präsidenten und an seiner Politik gibt es vieles zu kritisieren. Was mich irritiert ist die Prioritätensetzung. Ich lebe in Deutschland, Deutschland ist einer der größten Kriegstreiber in der Ukraine. Deutsche PolitikerInnen tun alles, damit der Krieg kein Ende findet, durch Waffenlieferungen aus Deutschland sterben täglich unschuldige Menschen. Die deutsche Politik richtet sich auch gegen die eigene Bevölkerung, der die Meinungsfreiheit genommen wurde, deren Wohlstand geraubt wird und die durch eine verantwortungslose und größenwahnsinnige Politik der Gefahr einer atomaren Eskalation ausgesetzt wird.

Davon lese ich in diesem Artikel aber nichts. Ich lese von Erdogan und Putin, die die Opposition ihrer Länder unterdrücken, aber nichts von einer Bundesregierung, die die freie Meinungsäußerung aller, die nicht auf der Seite der Selenskys stehen und die nicht gegen Putin frieren wollen, einschränkt und die Konten von Menschen, die für die falsche Seite jubeln, einfriert.

Ankara verfolgt die kurdische Freiheitsbewegung, das tut Berlin auch, obwohl diese nicht ihr Problem ist, da die KurdInnen keine Autonomie in Deutschland fordern. Darüber hinaus verfolgt Berlin aber auch noch die libanesische Hizbollah, die palästinensische Hamas und viele andere Freiheitsbewegungen. Rußland unterstützt in Syrien die legitime syrische Regierung, Deutschland islamistische Terroristen, die einen Kampf gegen Freiheit und Menschenrechte führen und dabei in den letzten Jahren zehntausende Menschen töteten und weiter töten.

Was die Redaktion der „zeitung gegen den krieg“ – da der Text nicht namentlich gekennzeichnet ist, muß ich davon ausgehen, daß es sich um einen Artikel der Redaktion handelt – stört, ist, daß die beiden namentlich genannten Staatsoberhäupter trotz teilweise konträrer Interessen, wie zum Beispiel in Syrien, gute diplomatische Beziehungen pflegen. Ich denke, daran könnte sich unsere Außenministerin ein Beispiel nehmen, sie hat nicht verstanden, worum es in der Außenpolitik geht, nämlich um Interessen und darum, diese auf diplomatischem Wege auszuhandeln. In Istanbul wurde gerade ein Abkommen zur Ausfuhr von Getreide getroffen, das hilft, den durch die Sanktionen verursachten Hunger in der Welt zu lindern. Berlin will Rußland in die Knie zwingen, egal wieviel Menschen dabei sterben. Frau Baerbock wird nur dafür kritisiert, daß sie, die Wächterin über die europäischen Werte, Erdogan nicht dafür kritisiert, daß er sein Land nicht vom Gashandel mit Rußland abschneidet und somit der schon stark gebeutelten türkischen Wirtschaft den Todesstoß versetzt. Obwohl die Türkei ein wichtiger NATO-Partner ist, hat sie ihre eigenen Interessen nicht vergessen, Deutschland seine schon, darum darf unsere Wirtschaft jetzt für US-amerikanische Interessen den Bach runtergehen.

Verlogene Werte hat der Westen viele, wir machen weiterhin Geschäfte mit den USA, dem schlimmsten Kriegstreiber und Menschenrechtsverletzer, aber davon steht hier kein Wort. Menschen, die schon so lange in der Friedensbewegung aktiv sind, sollten wissen, daß es in der Außenpolitik nie um Werte geht, sondern immer nur um Interessen.

Was den Artikel darüber hinaus unerträglich macht, ist seine propagandistische Sprache. Gewählte Staatsoberhäuper wie Bashir Assad, der im letzten Jahr in, wie international bestätigt wurde, freien und demokratischen Wahlen mit überwältigender Mehrheit wiedergewählt wurde, werden als Autokraten tituliert. Staaten, die sich dem US-amerikanischen Hegemonialdenken widersetzen, heißen ‚Regimes‘, so viel blinde Staatstreue der VerfasserInnen enttäuscht mich maßlos!

Mein Ansinnen ist nicht das Wegsehen und Verschweigen, aber wir sollten auch nicht von dem ablenken, was die hiesige Politik tut. Es muß unser gemeinsames Anliegen sein, dafür zu kämpfen, daß dieser Krieg sofort beendet wird, dafür müssen wir die verbrecherische Kriegstreiberei Deutschlands einschließlich der wahnsinnigen Sanktionen gegen Rußland thematisieren.

Mit freundlichen Grüßen

Petra Scharrelmann

Bremen, den 21. August 2022

Antwort von Winfried Wolf für die ZgK-Redaktion

Liebe Petra,

den anderen, die in unterschiedlichen E-Mails an dieser Debatte beteiligt sind – und die oben im cc stehen (offen, da diese E-Mail auch offen versandt wurden) zur Kenntnis.

Ich erhielt von Dir, teilweise über Umwegen, einen an die „Zeitung gegen den Krieg“-Redaktion gerichteten „Offenen Brief“. Er ist sachlich geschrieben; und ich will darauf gerne im Namen der ZgK-Redaktion eingehen.

Auf ergänzende, an den offenen Brief anknüpfende Äußerungen wie diejenige von R. Bauer („Winfrieds „Zeitung gegen den Krieg“ hat sich zur Zeitung für die Kriegstreiber gemausert.“) Äußerungen will ich hier nicht eingehen.

Wenn das ernst gemeint sein sollte, dann müssen diejenigen, die das ernsthaft vertreten, sachlich zu argumentieren und zu belegen versuchen, dass wir „Kriegstreiber“ – welche denn bloss? Baerbock? Scholz? Habeck? Biden? von der Leyen? – unterstützen würden. All diese Personen – und viele andere – bezeichnen wir als Kriegstreiber.

Jetzt also zum Offenen Brief.

Es geht dabei um den Artikel auf Seite 1, rechte Spalte. Diesen Artikel zu Putin und Erdogan habe ich verfasst. Vielleicht wäre es richtig gewesen, diesen namentlich zu zeichnen – als eine individuelle Position im Rahmen der „Zeitung gegen den Krieg“. Das unterließ ich, um die Mehrfachnennung meines Namens als Autor von Artikeln in dieser ZgK zu vermeiden. Ich wiederhole: wohl ein Fehler.

Jetzt zu fünf Passagen in Deinem „Offenen Brief“. Du schreibst:

Deutschland ist einer der größten Kriegstreiber in der Ukraine. Deutsche PolitikerInnen tun alles, damit der Krieg kein Ende findet, durch Waffenlieferungen aus Deutschland sterben täglich unschuldige Menschen. Die deutsche Politik richtet sich auch gegen die eigene Bevölkerung, der die Meinungsfreiheit genommen wurde, deren Wohlstand geraubt wird und die durch eine verantwortungslose und größenwahnsinnige Politik der Gefahr einer atomaren Eskalation ausgesetzt wird. Davon lese ich in diesem Artikel aber nichts.

Dass in einem 2200-Zeichen-Artikel alles abgehandelt wird, was zu diesem Krieg gesagt werden muss, ist ein hoher, zu hoher, Anspruch. Es geht um einen recht kurzen Kommentar, in dem ich die beiden Autokraten Putin und Erdogan vergleiche – mit einer deutlichen „Schlagseite“ hin zu Erdogan, den ich für den „schlimmeren“ Autokraten halte – ich will da deutlich machen, dass die westliche Sicht auf Putin heuchlerisch ist; dass es in unserem Lager eben Autokraten und verbrecherische Präsidenten wie Erdogan gibt („this is our son of a bitch“).

Ansonsten taucht das, was Du vermisst, doch an vielen Stellen in diesem Heft auf: auf den Seiten 5,6 und vor allem auf der Seite 8.

Desweiteren schreibst Du: „In Istanbul wurde gerade ein Abkommen zur Ausfuhr von Getreide getroffen, daß hilft, den durch die Sanktionen verursachten Hunger in der Welt zu lindern.“

Zustimmung.Das ist eine gute Sache – sie wird auch mit keinem Wort kritisiert. Aber es ist doch ein zugleich ein Deal. Allein die Tatsache, dass die Türkei die Ukraine mit hochwirksamen Drohnen, die gegen die russische Armee wirksam eingesetzt werden, ausstattet und dass es vorstellbar ist, dass sie nun auch an Russland solche Drohnen liefert, zeigt den Zynismus. Zumal die Türkei auch hochwirksame Rüstungsgüter in Russland bestellt hat – zum Ärger der US-Regierung.

Und dass die Türkei dann wieder Aserbeidschan hochrüstete, sodass dieses Land vor 1,5 Jahren erfolgreich den Krieg gegen Armenien führen und gewinnen konnte, wobei Armenien wiederum latent mit Russland verbunden ist. All das muss doch AUCH gesehen werden. Okay, das ist komplex – aber es ist alles Teil der Wahrheit.

Weiter heißt es in dem „Offenen Brief“: „Frau Baerbock wird nur dafür kritisiert, daß sie […] Erdogan nicht dafür kritisiert, daß er sein Land nicht vom Gashandel mit Rußland abschneidet und somit der schon stark gebeutelten türkischen Wirtschaft den Todesstoß versetzt.“

Das ist aber eine falsche Wahrnehmung. Wo steht Vergleichbares in meinem Kommentar oder irgendwo in dieser ZgK-Ausgabe?

Auch steht da in Deinem Offenen Brief: „Verlogene Werte hat der Westen viele, wir machen weiterhin Geschäfte mit den USA, dem schlimmsten Kriegstreiber und Menschenrechtsverletzer, aber davon steht hier kein Wort. Menschen, die schon so lange in der Friedensbewegung aktiv sind, sollten wissen, daß es in der Außenpolitik nie um Werte geht, sondern immer nur um Interessen.“

Einverstanden. Auch hier gilt das Obige – das kann doch nicht alles in dem kurzem Kommentar stehen. Auch das steht anderswo in dieser ZgK-Ausgabe.

Und schließlich steht in Deinem Offenen Brief: „Was den Artikel darüber hinaus unerträglich macht, ist seine propagandistische Sprache. Gewählte Staatsoberhäuper wie Bashir Assad, der im letzten Jahr in, wie international bestätigt wurde, freien und demokratischen Wahlen mit überwältigender Mehrheit wiedergewählt wurde, werden als Autokraten tituliert. Staaten, die sich dem US-amerikanischen Hegemonialdenken widersetzen, heißen ‚Regimes‘, so viel blinde Staatstreue der VerfasserInnen enttäuscht mich maßlos!“

Über Syrien wäre sicherlich eine getrennte Debatte sinnvoll – die kann ich hier nicht in der gebotenen Ausführlichkeit führen. Die Haltung der ZgK zu Assad bislang war und ist: Es gab – als Teil des „Arabischen Frühlings“ – eine demokratische Opposition, die berechtigte Forderungen gegen die in Damaskus Regierenden erhob. Auch die kurdische Bewegung war Teil dieser Proteste; sie wurde von der Assad-Regierung keineswegs unterstützt, sondern bestenfalls geduldet.

Als diese demokratische Potestbewegung umschlug in einen bewaffneten Aufstand, und als dieser u.a. von den USA und den fundamentalistisch-islamistischen Kräften gekapert wurde, konnte diese Bewegung, der Aufstand, nicht mehr unterstützt werden. Wir waren auch in der Zeit, als es die Giftgas-Angriffs-Behauptungen gegen die Assad-Regierung gab, zurückhaltend-kritisch. Nie unterstützten wir Positionen wie diejenige von „adopt a revolution“.

Insoweit halten wir die Assad-Regierung für die derzeit einzige legitimierte Regierung Syriens. Hinter die Aussage, dass sie demokratisch legitimiert würde, würde ich allerdings Fragezeichen setzen. Die vielen Vorwürfe von Folter sind nicht von der Hand zu weisen.

Ich erinnere auch daran, dass die frühere deutsche Bundesregierung und hier damals der aktuelle deutsche Bundespräsident Steinmeier, mit dem Assad-Regime kooperierten und deutsche Geheimdienstleute bei Gefolterten in Damaskus „zu Besuch“ waren…

Siehe: https://www.stern.de/panorama/investigativ/projekte/geheimdienste/kooperation-mit-einem-folterstaat-die-syrien-connection-3525940.html

Absolut zustimmen kann ich Deinen Schlussfolgerungen: „Mein Ansinnen ist nicht das Wegsehen und Verschweigen, aber wir sollten auch nicht von dem ablenken, was die hiesige Politik tut. Es muß unser gemeinsames Anliegen sein, dafür zu kämpfen, daß dieser Krieg sofort beendet wird, dafür müssen wir die verbrecherische Kriegstreiberei Deutschlands einschließlich der wahnsinnigen Sanktionen gegen Rußland thematisieren.“

Genau so – mit vergleichbaren Worten – lasse ich den Artikel auf Seite 8 enden. In eben dieser Ausgabe der „Zeitung gegen den Krieg“.

Lass uns in diesem Sinne weiter zusammenarbeiten. Wir machen die „Zeitung gegen den Krieg“ seit Beginn des Kosovo-Kriegs 1999. Wir bleiben dabei konsequent auf der Linie gegen alle Kriege und für einen weltweiten Frieden. Und wir versuchen, die Wirklichkeit in all ihrer Komplexität darzustellen (das nannte man wohl früher „Dialektik“).

Sei herzlich und solidarisch gegrüßt – auch im Namen des ZgK-Teams:

Winfried Wolf