Dreifachkrise, die fatale Grundsanierung des Schienennetzes und ein Ex-Bahnchef, der gesteht:
Es ging bei Stuttgart 21 „immer nur ums Gelände“
[Anrede]
Aktuell erleben wir eine Dreifach-Krise, wie die Menschheit eine solche noch nie erlebt hat: Erstens Krieg und neue weltweite Rüstung, zweitens soziale und neue Wirtschaftskrise und drittens eine Klimakrise, die bereits als Klimakatastrophe zu bezeichnen ist.
Der unsägliche russische Krieg in der Ukraine soll hier nur am Rande Thema sein. Zu betonen ist, dass das Militär weltweit der größte Emittent von Klimagasen ist. Und dass die Bundesregierung auf den Krieg mit einer Energiepolitik reagiert, die die Klimakatastrophe beschleunigen muss: Steinkohle, Braunkohle, Flüssiggas, Fracking-Gas – all das wird reaktiviert und verstärkt; und dann noch mit dem Segen der Grünen.
Dass wir ab Jahresende eine heftige Wirtschaftskrise erleben, ist sicher; die soziale Krise ist bereits da. 2022 und 2023 wird es wegen Inflation und Energiepreis-Explosion einen Abbau der Realeinkommen von rund 10 Prozent geben. Vergleichbares gab es seit Ende des Zweiten Weltkriegs noch nie.
Doch nun zur Klimakrise. Drei Beispiele.
Beispiel 1: Vor drei Tagen war in der „Stuttgarter Zeitung“ zu lesen: „Die bis zu vier Kilometer dicken Eismassen in der Antarktika galten bisher als weitgehend stabil.“ Inzwischen würden „veränderte Strömungen im Südpolarmeer wärmeres Wasser“ unter die Antarktis schieben: „Sie drohen den größten Eismantel der Welt zu unterspülen, der sich über eine Fläche von der Größe der Vereinigten Staaten ausdehnt.“ Die Eismassen beginnen zu schmelzen. Es drohe ein erheblicher Anstieg des Meeresspiegels.
Wie reagiert auf diese Bedrohung die „große Politik“? Es sei – so ein anderer Bericht derselben „Stuttgarter Zeitung“ – ein „Schatz im ewigen Eis entdeckt worden“. Danach lagerten unter dem eben nicht mehr „ewigen Eis“ „Erdöl- und -gasfelder in einem Gesamtumfang von bis zu 500 Milliarden Barrel Hydrogenkarbonaten“, was „fast das Doppelte der in Saudi-Arabien nachgewiesenen Reserven“ sei. Je mehr das Eis abgebaut wird, desto schneller sollen diese Öl- und Gasquellen von westlichen und von russischen Öl- und Gas-Konzernen erschlossen werden.
Beispiel 2: Im Sommer 2022 erlebten wir europaweit, dass Wasser knapp wird. Der Po in Italien, ein Rinnsal. Trinkwassernotstand in vielen Teilen Spanien. Eine bezeichnende Schlagzeile im „Münchner Merkur“ lautete: „Avocados tranken spanische Stauseen leer“. Im Rhein wurde die Binnenschifffahrt erstmals in weiten Teilen eingeschränkt, da Schiffe nur noch 50 cm Wasser unterm Kiel hatten. Der Wasserspiegel des Bodensee sank auf ein rekordverdächtig niedriges Niveau; Badegäste auf der Höri mussten oft hundert Meter waten, bis das Wasser hoch genug für ein paar Schwimmzüge war. Im bayerischen Bad Königshofen erreichten die Zuckerrüben nur noch Tennisballgröße.
Wie reagiert die offizielle Politik darauf? Erneut ein Bericht aus der „Stuttgarter Zeitung“: „Der bayerische Umweltminister hat jetzt den Bodensee entdeckt. Mit einem „neuen Leitungssystem“ werde zukünftig Bodenseewasser auf von Dörre betroffene landwirtschaftliche Gebiete in Bayern umgeleitet.
Beispiel 3: Neben einem verstörenden Foto hieß es am 23. August in den „Stuttgarter Nachrichten“: „Egal, wo man hinschaut, ob am Rosensteinpark, vor dem Killesbergturm oder rund um den Egelsee: (…) Wiesen (…) haben eine gelbbraune Farbe angenommen.“ Die „Stuttgarter Zeitung“ vom 7. September berichtete von einem „Stuttgarter Hitzesommer“ mit „sterbenden Buchen und mit Mais, der aussieht wie Yuccapalmen.“
Wie reagiert die Politik darauf? Die Stadtverwaltung der Landeshauptstadt organisiert eine „Mobilitätswoche“, mit der „alle Mobilitätsformen gefördert werden“ sollen, also explizit auch der Pkw-Verkehr. Der Ministerpräsident macht eine Rundreise durch „the Länd“, die explizit als „ROADshow“ bezeichnet wird. Kretschmann stellt dabei ein Programm der grün-christlichen Landesregierung mit der Bezeichnung „Cleverländ“ vor. Dort wird uns erklärt, man möge doch „gering verschmutzte Wäsche nur bei 30 Grad waschen“, den „Dachgepäckständer vom Auto abmontieren“ und „ab 30 in den dritten Gang hochschalten“.
Apropos „Tempo 30“: Das wäre doch eine Steilvorlage für Kretsch gewesen, zu sagen: „bei Tempo 30 verharren – in allen Wohngebieten“. Doch nein, es geht ums „hochschalten“.
All das…
[Anrede]
… ist Ausdruck von Politikversagen und trägt zur Beschleunigung der Klimakatastrophe bei. Oder, in den Worten der Klimaaktivistin Aktivistin Nisha Toussaint-Teachout vom Klimacamp Kesselbambule: Hier, in Stuttgart gebe es mit den „Klimawochen“ ein „Bankett der Scheinlösungen und des Greenwashings.“ Gleichzeitig würden „Autoinfrastrukturprojekte wie der Ausbau der B27 und das verkehrstechnisch sinnlose Betonprojekt S21 weiter vorangetrieben.“
[Anrede]
Jetzt könnte man sagen: Aber es gab im Sommer doch drei Monate lang das Neun-Euro-Ticket. Damit sind rund 15 Millionen Menschen zusätzlich Bahn gefahren; viele Hunderttausend sahen wohl zum ersten Mal ein öffentliches Verkehrsmittel von innen.
Ja, es gibt Positives beim Thema 9-Euro-Ticket. So im Bereich des Sozialen: Da gab es viele Fahrten für Leute, die sich „sowas“ nicht hätten leisten können. Doch es gibt auch deutlich kritische Aspekte. Das war ein Schnellschuss mit Null Vorbereitung. Da wurden zu knappe Kapazitäten von Material und Beschäftigten enorm belastet. Es gab und gibt keine Planung für das „danach“; weswegen jetzt ein Dutzend MÖGLICHE Nachfolgemodelle monatelang diskutiert werden. Vor allem gab es keinerlei Maßnahmen zur gleichzeitigen Begrenzung des Pkw-Verkehrs. Im Gegenteil: Es gab parallel den „Tankrabatt“. Es gab und gibt nicht einmal das seit Jahrzehnten überfällig Tempolimit.
Aber, so lautet ein anderer Einwand: Am vergangenen Freitag haben doch der Bahnvorstand und Verkehrsminister Wissmann verkündet, jetzt komme es zur „radikalen Modernisierung und Sanierung der Bahn.“ Am 15. Juni 2024 – also in zwei Jahren! – werde man damit beginnen. Dann werde man die Sanierung von Strecken „nicht mehr unterm rollenden Rad“ durchführen. Stattdessen würden jetzt immer „ganze Strecken komplett gesperrt“ und zwar meist „für fünf bis sechs Monate“. Den Beginn mache dabei die „Riedbahn“ zwischen Frankfurt und Mannheim. Und ausdrücklich heißt es bei Verkehrsminister Wissmann, die bisherige Form der Streckensanierung – also mit weiter laufendem Betrieb – sei falsch gewesen.
Alle Zeitungen plapperten diese Aussagen nach. Und alle lobten, dass nun doch „endlich“ eine „Generalsanierung“ des Netzes stattfinden werde.
Einmal abgesehen davon, dass es in den letzten 15 Jahren mehrere vergleichbare Ankündigungen gab, bleibt festzuhalten: Der Ansatz für ein solches Sanierungsprogramm ist fragwürdig, falsch und fatal. Dies aus drei Gründen:
Erstens. Es gibt diesen fürwahr großen Sanierungsbedarf aus einem einzigen Grund: Weil man mehr als zwei Jahrzehnte lang klassische Instandhaltungsarbeiten nicht vornahm. Das heißt unter den Bahnchefs Mehdorn, Grube und Lutz, unter den rot-grün, schwarz-gelben und den schwarz-roten Regierungen beging man die Todsünde „systematisches Fahren auf Verschleiß“. Elementare Instandhaltungsmaßnahmen blieben aus. Ein konkretes Beispiel: Auf der besagten Riedbahn gibt es zwischen Bensheim und Laudenbach seit 25 Jahren eine Langsamfahrstelle. Diese Strecke war mal mit Tempo 160 befahrbar; seit einem Vierteljahrhundert sind maximal 120 Stundenkilometer erlaubt. Doch die Bahn war unfähig, diese 4,5 Kilometer lange Langsamfahrstelle durch eine eher preiswerte Baumaßnahme zu beheben. Und das ist jetzt nur ein Beispiel von mehreren möglichen.
Zweitens. Komplette Streckensperrungen sind problematisch. Streckensperrungen gar über 5 Monate sind Gift für einen funktionierenden Schienenverkehr. Natürlich sind Instandhaltungs- und Sanierungsmaßnahmen bei laufendem Betrieb machbar und sinnvoll. Das gilt insbesondere für zweigleisige Strecken, bei denen man zeitweilig im eingleisigen Betrieb verkehren kann. Selbst die Elektrifizierung ganzer Strecken wurde früher oft bei laufendem Betrieb vorgenommen. Es ist doch absurd zu behaupten, die Eisenbahnen in der Welt hätten mehr als ein Jahrhundert lang fälschlich bei „laufendem Betrieb“ Instandhaltungen vorgenommen. Es ist absurd zu behaupten, was die SBB in der Schweiz macht, Instandhaltung bei laufendem Betrieb, sei Quatsch. Es ist lächerlich anzunehmen, es bedürfte jetzt eines FDP-Ministers aus der Pfalz, der über keinerlei Bahnfachwissen verfügt, um jetzt auf den Trichter „Streckensperrungen“ zu kommen. Hier wird schlicht ein gigantisches Programm zum Sponsoring der Bauindustrie, zur Verschleuderung von Ressourcen und zur massiven Störung des Bahnverkehrs ab 2024 verkündet.
Drittens. Die in Aussicht gestellt Grundsanierung soll es für „sieben Korridore im Stammnetz“ geben. Damit orientiert man in starkem Maß auf den Fernverkehr und auf Verkehre im Umfeld der Metropolen. Das ist auch nötig. Doch das ist zu wenig. Was wir benötigen ist eine Sanierung des Gesamtnetzes, auch und gerade eine solche von regionalen und sog. „Nebenstrecken“. Notwendig ist der Ausbau des Netzes. Erforderlich ist die Elektrifizierung von 100 Prozent des Netzes. Beseitigt werden müssen hunderte Nadelöhre. Auf der Tagesordnung steht bei vielen Strecken der Ausbau zu Zweigleisigkeit.
Doch all das wird von den für den Schienenverkehr Verantwortlichen nicht einmal angedacht.
Und all das wiederum heißt: Alle Kräfte und alle Finanzen im Bereich Schiene müssen sich auf diese umfassende Grundsanierung konzentrieren. Diese kann weitgehend bei laufendem Betrieb stattfinden.
Dafür müssen alle zerstörerische Großprojekte auf den Prüfstand und meist eingestellt werden.
Allen voran Stuttgart 21.
Wobei es von Montagsdemo zu Montagsdemo immer neue verstörende Infos zum bestgeplanten Bauprojekt in Deutschland gibt. Enthüllt wurde JETZT: Mappus hat von seinem MP-Büro aus die Geissler-Schlichtung mit-gesteuert. Erstmals öffentlich bekannt ist seit zwei Wochen: Dem Denkmalsschutz wurde in der Hochphase der Bewegung gegen S21 untersagt, die schriftlich vorliegenden Einwände gegen Stuttgart 21 zu publizieren. Seit letzte Woche gilt: Der Wagenburgtunnel ist „bis auf Weiteres gesperrt“ – wegen herabstürzender Betonteile. Das Aktionsbündnis fragt, ob Anhydrit und S21-Tunnelbauten im Spiel sind. Und am 12. September konnte Hans Heydemann auf einer Veranstaltung im Rathaus belegen, dass bei S21 im Fall eines Brandes die Evakuierung die Fahrgäste dem Tod durch Erstickung ausgesetzt werden.
Und eines verrate ich hier noch: In sechs Wochen veröffentlichen wir die Aussage eines Ex-Bahnchefs, wonach es bei S21 nie wirklich um einen Bahnhof ging. Der Mann sagt jetzt: Es ging „immer um das Gelände“.
[Anrede]
Stuttgart 21 muss gestoppt werden.
Stuttgart 21 wird nie in Betrieb gehen.
Stuttgart 21 ist und bleibt der größte Immobilien-Skandal und die größte Maßnahme zur Zerstörung von Bahnverkehr in Deutschland.
Oben bleiben!