Was Sie über Charles III. wissen sollten, aber nie erfahren haben

Medien hinterfragen den Pomp von London kaum. Dabei wird der Monarch die reaktionäre Politik seiner Mutter fortsetzen. Eine königskritische Übersicht.

Ich finde es immer befremdlich, wenn Wladimir Putin durch eine gefühlt sechs Meter hohe Tür schreitet, irgendwelche Kadetten ihm die Türflügel öffnen und er die Reihen seiner Getreuen durchschreitet, dabei oft einen Knopf am Anzug öffnend, schließend oder diesen auch nur berührend. Und natürlich erinnern die Aufnahmen von Putin mit irgendwelchen Gremien, deren Mitglieder beispielsweise im direkten Vorfeld des aktuellen Krieges in der Ukraine von ihm aufgerufen und gegebenenfalls abgekanzelt werden, wie Szenerien aus der Zarenzeit.

Doch was ist das alles im Vergleich zu dem feudalen Pomp und das Schmierentheater, was in diesen Tagen in London stattfindet und was uns unsere elektronischen Medien – seien es die mit Steuergeld finanzierten, seien es die privatem – stundenlang zumuten? Das übertrifft all die Perversitäten, mit denen wir uns im Zusammenhang mit dem Tod  von Elisabeth II im September 2022 konfrontiert sahen.

Ohne Zweifel kann man sich über all diese Szenen belustigen – wie Charles dem Dritten die schwere Krone wie ein umgestülpter Nachttopf auf den Ohren  sitzt. Wie er und Camilla – die gleich in einem Aufwasch zur Königin mutierte – „gesalbt“ werden – wo? wie? mit was bloß?

Doch die Belustigung wird einem vergällt, wenn man hinter die royalen Kulissen blickt.

Tradition, die konkrete Unterstützung für die Regierenden verdeckt // Es geht in Wirklichkeit nicht um eine unpolitische Zeremonie, um das Aufrechterhalten von „alten Traditionen“. Warum bloß traf sich die Queen sieben Jahrzehnte lang in jeder Woche mit der politischen Führung des Landes zu hochpolitischen Gesprächen, wofür es den speziellen Ausschuss mit der Bezeichnung „Königliche Besuche des Kabinetts des Premiers“ gibt? Warum wird Charles III das ebenso tun und sich bereits in den nächsten Tagen erneut mit Top-Vertretern der erzkonservativen, extrem neoliberalen und offen antisozialen Regierung unter Rishi Sunak treffen?

Eine Regierung, die die Militärausgaben massiv erhöht, und die im Januar 2023 als Vorbereitung auf einen großen westlichen Krieg gegen China ein „Verteidigungsabkommen“ mit Japan (!) über „vertiefte militärische Zusammenarbeit“ schloss. Danach dürfen jetzt Soldaten des einen Landes im jeweils anderen Staat eingesetzt werden. Eine Regierung, die Sozialausgaben deutlich senkt und eine Vereinbarung mit der Regierung in Kigali und ein ergänzendes Gesetz im Unterhaus beschließen ließ, wonach „illegal“ ins Land gekommenen Flüchtlinge in großer Zahl abgeschoben werden. Die Betroffenen sollen ohne richterliche Überprüfung in Gewahrsam genommen und dann ausgeflogen werden – entweder in ihr Heimatland oder in ein Drittland wie Ruanda, mit dem Großbritannien ein entsprechendes Abkommen hat.

Verdeckt bis offen rassistisch // Und war da nicht etwas mit der Kritik des aus dem offiziellen Kreis der Königsfamilie ausgeschiedenen Prinz Harry und seiner Frau Meghan? Meghan gab an, während ihrer Schwangerschaft sei im Palast darüber gesprochen worden, wie dunkel die Haut ihres Sohnes Archie werden würde. Wenn Prinz Harry die Vorwürfe, wonach das britische Königshaus „rassistisch“ sei, dann relativierte – geschenkt. Der Herr will weiter teilhaben am königlichen Schmierentheater und dabei weiter gut Kasse machen. So ist er am 6. und 7. Mai am Herdauftrieb zur Krönung von Charles III  beteiligt – ohne die Ehefrau Meghan, die sich diesen Kotau verweigerte.

Wobei der Rassismus in der Royal Family Tradition hat. 1968 verbot das britische Königshaus die Anstellung von „farbigem“ Personal. Bis 1978 tobte in Neuseeland ein langjähriger Konflikt über ein Stück Land, welches von den Ngati Whatua, einer indigenen Bevölkerungsgruppe, beansprucht wird. Die britische Krone intervenierte direkt im Commonwealth-Staat und enteignete die Ngati Whatua – begleitet von brutalen Polizeieinsätzen. Als im März 2022 Charles Sohn und Thronfolger Prinz William in Jamaika auf Besuch war, wurde ihm von den dort Regierenden vorgeworfen, vom „Blut, den Tränen und dem Schweiß“ der Sklaven zu profitieren. Der Premierminister Andrew Holness verkündete im vergangenen Jahr, Jamaika wolle eine Republik werden – damit wäre in Zukunft nicht Charles als britischer König formell das Staatsoberhaupt der Karibikinsel. Am 30.11.2021 hatte bereits Barbados den Austritt aus dem britischen Commonwealth vollzogen. Begründung: Beendigung des kolonialen Erbes. Auf Barbados leben überwiegend Nachkommen ehemaliger Sklaven.

Direkt und reaktionär Politik betreibend // Das britische Königshaus intervenierte auch mehrmals direkt politisch. In Australien stürzte im Jahr 1975 der dortige Repräsentant des britischen Throns auf Anweisung der Queen und per royalem Dekret die linke sozialdemokratische Regierung unter Premier Gough Whitlam, der damals als „der Willy Brandt Australiens“ bezeichnet wurde. Damit wurde ganz legal eine missliebige Regierung zu Fall gebracht.

Als Jeremy Corbyn in den Jahren 2015 bis 2019 Labour-Chef war und in Großbritannien ernsthaft die Möglichkeit bestand, dass er auf Basis eines dezidiert linken Programm in demokratischen Wahlen zum Premier gewählt werden könnte, wurde in der  Führung des britischen Militärs ernsthaft darüber diskutiert, dass das Militär in einem solchen Fall sich nicht der Regierung, sondern allein der Queen verpflichtet fühlen würde. Was einem stillen Putsch gleichgekommen wäre. Das Problem wurde dann auf andere Weise aus dem Weg geräumt – mit einer Schmutzkampagne und der Behauptung, Corbyn und seine Leute seien „Antisemiten“. Sein Nachfolger, Keir Starmer, überschlug sich nach dem Tod der Queen in Ergebenheitserklärungen gegenüber der Krone.

Die Royals als Konterrevolutionäre // Den mit Abstand engsten Kontakt zu ausländischen Regierungen hielt die königliche Familie zu den absolutistischen Herrschern im Nahen Osten und in Nordafrika. Und dies wiederum in den Jahren nach Beginn des „Arabischen Frühlings“, den massenhaften demokratischen Protesten in Katar, in den Vereinigten Arabischen Emiraten, in Bahrein, in Saudi Arabien und in Marokko, Länder, in denen in diesen Jahren die dort herrschenden Despoten in Frage gestellt wurden. Dieser Einfluss zur Stabilisierung dieser Regime wurde im Interesse des gesamten Westens ausgeübt, geht es doch um die fortgesetzt billige Zufuhr von Öl und Gas. Im Zeitraum 2001 bis 2021 dokumentieren diese Politik mehr als 200 Besuche der Royals – konkret von Elizabeth II UND von Prinz Charles – in diesen despotische regierten Ländern bzw. Empfänge von Despoten aus dieser Region bei den britischen Royals. Auf eine entsprechende Anfrage der Plattform Declassified UK antwortete ein Sprecher der Queen, alle diese Besuche erfolgten immer „in enger Koordination mit dem Ausschuss ´Königliche Besuche` des Kabinetts des Premiers“ – siehe oben Diese Reisen wurden von den Steuerzahlenden bezahlt. Die Geschenke im Wert von Dutzenden britischen Pfund, die die Queen bei diesen Gelegenheiten erhielt, gingen in ihren Privatbesitz über. Nicht zuletzt ging es bei diesen Treffen um Rüstung und Krieg.

Die Royals als Waffenhändler // Die im Detail bei Declassified UK aufgeführten Besuche und Empfänge der britischen Royals mit den erwähnten Despoten waren in der Regel verbunden mit Aufträgen für neue Rüstungslieferungen des britischen Konzerns BAe, mit Vereinbarungen über militärische Ausbildungen und britische Unterstützung für Kriege, so im Fall des Kriegs, den u.a. Saudi Arabien und die VAE jahrelang im Jemen führten. Die erwähnte Plattform listet allein im Zeitraum 2011 bis 2020 neue Rüstungsaufträge für BAe aus den genannten Staaten im Wert von 12,5 Milliarden britischen Pfund auf.

Annette Dittert, Leiterin des ARD-Studios in London, berichtete am 6. Mai über die Krönungsfeierlichkeiten. Sie sprach auch über die verbreitete Kritik am Königshaus, das im Jahr die Steuerzahlenden rund 400 Millionen britische Pfund kosten würde, wobei selbst die aktuellen Feierlichkeiten mit Kosten in Höhe von 150 bis 200 Millionen Euro von den Steuerzahlenden aufzubringen sei. Sie erwähnte auch, dass die Polizei auf der Basis eine neuen Polizeigesetzes am Morgen des 6. Mai eine größere Zahl von Gegnern und Gegnerinnen der Monarchie rüde festnehmen ließ – und dies bereits im Vorfeld möglicher Demonstrationen. Sie sagte dabei in der Live-Sendung: „So was kennen wir eigentlich nur aus Moskau“. In der Video-Sendung (tagesschau24, 06.05.11 Uhr) ist dann dieser Satz nicht mehr enthalten.

Winfried Wolf ist Chefredakteur von Lunapark21 (siehe lunapark21.net).

Zuerst veröffentlicht in Telepolis vom 7.5.23