Solidarität STATT Heimat – wirklich?

Der Aufruf „Solidarität statt Heimat“ fand viele „Unterstützerinnen und Unterstützer“. Ich zähle zu ihnen. Die Grundaussage, die von vielen getragene Stellungnahme gegen Fremdenhass und Rassismus, die vehemente Forderung „ausgehetzt!“, wie dies in München am vergangenen Sonntag, dem 22. Juli, Zehntausende forderten, ist jede Unterstützung wert.

Inzwischen hat sich eine engagierte Debatte um diesen Aufruf entwickelt. Im Mittelpunkt steht dabei offensichtlich die Debatte innerhalb der Partei DIE LINKE. Gefragt, was er von dem Aufruf halte, antwortete das IG Metall-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban: „Großartig! Wenn Menschen ihre Stimme gegen einen Rassismus erheben, der bis weit in die Mitte der Gesellschaft hineinragt, dann können es nicht genug sein.“ Auf die Nachfrage von Johannes Schulten im „Freitag“, warum er selbst den Aufruf nicht unterzeichnet habe, antwortete dieser: „Weil dieser Aufruf neben den offenkundigen antirassistischen Botschaften, denen ich mich anschließe, auch eine versteckte Agenda enthält […] Die Subbotschaft des Aufrufs zielt auf eine innerlinke Kontroverse. Sein Anlass war offenbar die Auseinandersetzung in der Partei Die Linke um Migration […] Der Aufruf stellt sich in diesem Konflikt auf eine Seite und bezichtigt […] einen Teil der Linken des Rassismus.“ (siehe: https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/anti-rassismus-und-eine-versteckte-agenda)

Nun dürfte diesen Teil der Debatte nur ein kleiner Teil der Öffentlichkeit, die diesen Appell zur Kenntnis nimmt, nachvollziehen können. Dies ist eine – berechtigte – innerlinke Debatte, die auch auf den Nachdenkseiten intensiv geführt wurde.

Aber wie kommt die Überschrift zu dem Appell zustande? Warum soll es diese Art Gegensatz zwischen „Solidarität“ und „Heimat“ geben? Das stieß mir sehr früh in Diskussionen über den Appell und nach der Frage eines Freundes, warum ich denselben denn unterzeichnet hätte, auf. In der Überschrift ist das Wort „Heimat“ nicht in Anführungszeichen gesetzt. Im Appell selbst taucht nur ganz kurz ein teilweise nachvollziehbarer Bezug auf: „Heimatministerium, Abschiebeoffensiven, Hetzkampagnen und institutioneller Rassismus gehören zum Alltag…“

Doch dann heißt es dort auch: „Der deutsche Pfad von Sparpolitik und einseitiger Exportorientierung […] schafft prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen und nährt Zukunftsängste. Seine Probleme lassen sich nicht durch […] nationalistische Wohlfahrtsstaatlichkeit lösen, die auf […] Abschottung setzt – und auf weltfremde Phantasien einer ´Steuerung´ von Migration und des wohligen Privatglücks in der ´Heimat´“.

Einmal abgesehen von der verqueren Sprachführung (auf den „Problemen des Pfads“ möchte man nicht ernstlich wandeln; der Genitiv am Satzende bezieht sich auf „Phantasien“; bei derlei „Phantasien […] des Privatglücks in der ´Heimat´“ wird einem ganz schwummerant) – die negative Konnotation von „Glück“ beziehungsweise „Privatglück“ einerseits und „Heimat“ – nun in Anführungszeichen – andererseits ist ungut. Dies stellt eine fatale Kapitulation vor den Söder, Seehofer & Salvini dar.

Fragte mich jemand, was denn meine „Heimat“ sei, würde ich vielleicht kurz zögern, aber dann doch antworten: „Oberschwaben“ und „Bodensee“. Zögern, weil das Substantiv inzwischen doch etwas fremd – weil CSU-belastet – erscheint. Wobei mir dann auch wieder die wunderbare TV-Serie von Edgar Reitz einfällt, die just den Titel „Heimat“ trägt: Und die in keiner Weise mit rechten Positionen belastet, sondern voll von solidarischer – gemeinschaftlicher – Liebe zur Heimat Hunsrück erfüllt ist.

Spätestens bei einer abgewandelten Adjektiv-Frage, der Frage, wo ich mich „heimatlich“ oder „heimatlich verbunden“ fühlte, gäbe ich ohne jegliches Zögern die genannte Antwort. Und ich würde an den 1. Mai in diesem Jahr erinnern, als es in meiner HEIMATstadt Ravensburg einen alternativen Ersten Mai zu feiern gab, den die Leute vom „Politischen Wohnzimmer“ in Ravensburg um Micha und Frank Matschinski und viele andere phantasiereich, bunt und heimatverbunden gestalteten; unter den mehr als hundert Anwesenden waren gut zwei Drittel Geflüchtete. Der Clown, der die Flüchtlingskids bespaßte, sprach schwäbisch – doch, was wunder: Er ward von den afghanischen, palästinensischen und irakischen Kindern sehr wohl verstanden.

Und wie sah das am vergangenen Sonntag auf dem Königsplatz in München aus, als fünfzigtausend gegen Söder, Seehofer & Salvini demonstrierten? Da gab es – wiedergegeben in der „Süddeutschen Zeitung“ (23.7.) – ein Transparent mit der Aufschrift „Home is where the Seehofer not is“. Diese Zeitung berichtet von einer Stefanie Stohwasser, „die vom Chiemsee gekommen ist und ein traditionelles Dirndl trägt. […] Das Dirndl hat sie extra angezogen: um zu zeigen, dass sie ´Bayern sich nicht wegnehmen lässt´“. In der Demo wurde – ganz bewusst getragen – eine Bayern-Fahne mit geführt. Sein Träger wird zitiert mit: „Damit ich mich für Bayern nicht nur schämen muss“. Der von Josef Wirnshofer verfasste, verdienstvolle Seite-Drei-Artikel der SZ endet wie folgt: Die Kulturwissenschaftlerin Simone „Egger will gerade aufbrechen, da sammelt sich plötzlich eine Hochzeitsgruppe um die Bavaria. Männer in Dreadlocks und Trachtenjacken. Üppig tätowierte Frauen, deren Dirndlschürzen flattern, wenn sie lachen. Egger zückt ihr Smartphone, das muss sie fotografieren, genau das meint sie: Die Leute wollen sich nicht vorschreiben lassen, wie Heimat aussieht.“

Ach ja. Und dann las ich gestern zu Bette in meiner derzeitigen nächtlichen Lust- und Pflichtlektüre Sätze, die mich förmlich elektrisierten und eine gute Stunde Schlafs kosteten: „Nun wollen wir auch einmal Ja sagen. Ja -: zu der Landschaft und zu dem Land Deutschland. […] Dem einen geht das Herz auf in den Bergen, wo Feld und Wiese in die kleinen Straßen sehen, am Rande der Gebirgsseen, wo es nach Wasser und Holz und Felsen riecht und wo man einsam sein kann; wenn da einer seine Heimat hat, dann hört er dort ihr Herz klopfen. […] So widerwärtig mir jene sind, die – umgekehrte Nationalisten – nun überhaupt nichts mehr Gutes an diesem Land lassen, kein gutes Haar, keinen Wald, keinen Himmel, keine Welle – so scharf verwahren wir uns dagegen, nun etwa ins Vaterländische umzufallen. Wir pfeifen auf die Fahnen – aber wir lieben dieses Land. Und so wie die nationalen Verbände über die Wege trommeln – mit dem gleichen Recht […] nehmen wir, die wir hier geboren sind, wir, die wir besser deutsch schreiben und sprechen als die Mehrzahl der nationalen Esel – mit genau demselben Recht nehmen wir Fluss und Wald in Beschlag, Strand und Haus, Lichtung und Wiese: es ist unser Land. Wir haben das Recht, Deutschland zu hassen – weil wir es lieben.“

Kurt Tucholsky schrieb diese Sätze in einem Beitrag mit Titel „Heimat“ im Jahr 1929, angesichts eines damals aufziehenden Nationalismus. Man lese die zwei Seiten in Band 7, Gesammelte Werke (Rowohlt 1981), Seite 312 oder HIER https://www.textlog.de/tucholsky-heimat.html

Erstmals erschienen auf: NachDenkSeiten im Juli 2018