Die neue Weltwirtschaftskrise, das Corona-Virus und ein kaputt gesparter Gesundheitssektor. Oder: Die Solidarität in den Zeiten von Corona.

Die Ausweitung des Corona-Virus hat zur flächendeckenden Beseitigung von Grundrechten und Bewegungsfreiheit geführt. Vieles spricht dafür, dass dies in der gegebenen Situation angebracht, unvermeidlich, ist. Wobei es auch Mitte März noch ernst zu nehmende Stimmen – so vom Weltärztebund-Präsidenten Frank Ulrich Montgomery – gibt, die dies in Frage stellen. Unbestreitbar ist, dass die Zuspitzung der Corona-Pandemie dazu geführt hat, dass das Versagen der Behörden nicht thematisiert wird. Dass der aktive Beitrag, den die Bundesregierung und ausdrücklich auch CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn und der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach beim Kaputtsanieren der Krankenhäuser geleistet haben, kein Thema in der öffentlichen Debatte ist. Nicht zuletzt dienen die Corona-Epidemie und die panischen und widersprüchlichen Maßnahmen zu deren Eindämmung dazu, die im Hintergrund ablaufenden massiven weltwirtschaftlichen Verwerfungen – und die Gefahr einer neuen Weltwirtschaftskrise – als das von einem Virus ausgelöste Resultat zu präsentieren. Was grundfalsch ist.

Einiges spricht dafür, dass das Elend und die Zahl der Getöteten, die mit der Wirtschaftskrise geschaffen werden, nochmals deutlich das übersteigt, was vom Corona-Virus erzeugt werden kann.

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Es ist soweit. Nein – nicht die Corona-Krise ist gemeint. Zunächst zumindest nicht. Es ist vielmehr seit einem Vierteljahr – seit Ende 2019 – soweit: Wir stehen inmitten einer neuen weltweiten Krise. Die vorausgegangene hatte, so heißt es, ihren „Schwarzen Schwan“ in Gestalt der Pleite des Finanzinstituts Lehman Brothers am 15. September 2008. Die gegenwärtige hat, so heißt es, ihren „Schwarzen Schwan“ in Gestalt des neuen Corona-Virus (Covid-19), über dessen Existenz zum ersten Mal am 7. Januar 2020 informiert wurde.

Doch in beiden Fällen schwammen diese „Schwarzen Schwäne“ deutlich dem Ereignis Krise hinterher. Die letzte Weltwirtschaftskrise hatte im Sommer 2007 mit dem Platzen der Subprime-Kredite in den USA und dem Zusammenbruch der deutschen IKB-Bank am 29. Juli 2007 begonnen. Die aktuelle Krise begann 2019 in der Weltautoindustrie und in China. Die deutsche Industrie war im gesamten Jahr 2019 gegenüber dem Vorjahr um vier Prozent abgeschmiert. Und auch der industrielle Sektor der Weltwirtschaft hatte sich im Dezember 2019 der Null-Linie angenähert. Damit war die Krise Anfang 2020 bereits da. Und sie war vorhergesagt und damals bereits analysiert worden.[1] Die „Schwarzen Schwäne“ dienen nur im Nachhinein der falschen Etikettierung der jeweiligen Krise als „Lehman-Krise“ und als „Corona-Krise“.

Krise Anfang 2020

„Wirtschaft steht unter Corona-Schock“, so lautete bereits am 28. Februar die Überschrift über einem halbseitigen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Am 1. März hatte Bild die Schlagzeile: „Wirtschaft schon jetzt in der Corona-Krise“. Am 12. März veröffentlichte das Kieler Institut für Weltwirtschaft eine Analyse, wonach die Weltwirtschaft und die deutsche Wirtschaft 2020 „einen harten Konjunktureinbruch“ erleben würden. Natürlich als „Ergebnis des Corona-Schocks“.

Doch sehen wir uns zwei Grunddaten der Ökonomie mit verlässlichen Zahlen bis Ende 2019 an. Erstens diejenigen der industriellen Produktion auf Weltebene und in Deutschland. Zweitens diejenigen der Weltautoproduktion, untersetzt mit der Fertigung in den vier größten Autoproduktionsländern.

Die Industrieproduktion stellt den Kern der kapitalistischen Wirtschaft dar. Sie entspricht am ehesten dem produktiven Sektor. Unter anderem sind hier der Dienstleistungssektor und die Finanzwirtschaft – Sektoren, die die Gesamtentwicklung teilweise relativieren teilweise akzentuieren – nicht enthalten. Die US-Bank JP Morgan veröffentlicht regelmäßig einen Indikator mit der Bezeichnung Global Manufacturing PMI. Dazu schrieb das Finanzinstitut, der entsprechende Index sei im Dezember gegenüber dem Vormonat nochmals gefallen und zwar auf eine Linie, die „die Wasserscheide zwischen Expansion und Kontraktion“ darstellen würde.[2]

Für die deutsche Industrie liegen bis einschließlich Dezember 2019 die Zahlen des Statistischen Bundesamts für die Zeit vor dem Ausbruch des Corona-Virus vor. Sie sind in Tabelle 1 für den gesamten Zeitraum seit der vorausgegangenen Krise zusammengefasst.

Tabelle 1: Industrielle Produktion in Deutschland 2008-2019 (verarbeitendes Gewerbe einschl. Bergbau); Index 2015 = 100; Wachstum gegenüber dem Vorjahr in Prozent


08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19
Industrielle Produktion 2015=100 98,3 81,3 90,9 98,4 97,3 97,1 99 100 101,4 104,4 105,5 100,4
Wachstum In % 0,8 -17,3 11,8 8,3 -1,2 -0,2 1,9 1,0 1,4 3,0 1,0 -4,8

Deutlich ist der massive Einbruch, den es 2008/2009 gab. Ab 2010 bewegt sich das deutsche verarbeitende Gewerbe im Plus. Die Wachstumsraten nach der 2008/09er Krise waren – außer derjenigen 2011 – niedrig. 2012 gab es sogar einen leichten Einbruch. 2018 war ein Höhepunkt erreicht. Der Rückgang im gesamten Jahr 2019 mit knapp 5 Prozent ist erheblich.

Tabelle 2 dokumentiert die Autoproduktion im gleichen Zeitraum – und zwar auf Weltebene (unterste Zeile) und die Pkw-Fertigungen in China, in den USA, in Japan und in Deutschland. Auf Weltebene und bei der Autoherstellung in China und in Deutschland gibt es seit 2018 einen absoluten Rückgang. In den USA trifft dies auf 2019 zu.

Da die Autoindustrie weltweit die Funktion einer Leitbranche hat und da sie in den hier aufgeführten Ländern den jeweils wichtigsten Industriezweig darstellt, bestimmt dieser Rückgang auch in erheblichem Maß die jeweilige gesamte Industrie.

Tabelle 2: Pkw-Produktion weltweit und in China, USA, Japan und Deutschland 2008-2019 (Angaben in Millionen Einheiten) [3]


2007 08 09 2010 11 12 13 14 2015 16 17 18 2019
China 6,4 6,7 10,4 13,9 14,5 15,5 18,0 19,9 21,1 24,4 24,8 23,5 21,4
USA 10,8 8,7 5,7 7,7 8,7 10,3 11,1 11,7 12,1 12,2 11,2 11,3 10,9
Japan 9,9 9,2 6,8 8,3 7,2 8,6 8,2 8,3 7,8 7,9 8,4 8,4 8,2
BRD 5,7 5,5 5,0 5,5 5,9 5,4 5,4 5,6 5,7 5,8 5,6 5,1 4,7
Welt 53,2 52,8 47,8 58,2 59,9 63,0 65,7 67,8 68,5 72,1 73,4 70,5 67,0

Es ergibt sich ein vergleichbares Bild wie im Fall der Industrieproduktion: Es gab den massiven Einbruch 2009. Danach ein fast ungestümes Wachstum bis 2016. 2017 wurde bereits der Höhepunkt erreicht. Seither gab es zwei Jahre mit einem absoluten Rückgang der Weltautofertigung, wobei bereits 2018 der Fahrzeugbau in Deutschland und dann 2019 die Autoindustrie in Deutschland und in der VR China eine wichtige Rolle spielten.

Die Entwicklung in der aktuellen Weltwirtschaftskrise wird sich aber von der in den Jahren 2007 bis 2009 unterscheiden. Damals brach die Autofertigung in Japan, in den USA und in Deutschland addiert um 8,9 Millionen Einheiten ein. Im gleichen Zeitraum konnte jedoch die Autoproduktion in der VR China um 4 Millionen Einheiten gesteigert – ja bis 2010 sogar verdoppelt – werden. Dadurch wurde die Delle, die in den klassischen Autoherstellerländern entstand, nochmals massiv gemildert.

2020 wird dies nicht mehr der Fall sein. Hier dürfte es zu einem sich selbst verstärkenden Effekt kommen: Alle Autoherstellerländer werden eine massive Branchenkrise erleben. Und diese Branchenkrise dürfte erneut einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, dass es eine umfassende und weltweite Krise gibt.

Der Zyklus, der alte Schlawiner[4]

Wir haben also – ohne jeden Einfluss von Corona & Co. – spätestens seit Anfang 2020 die Situation eines zu Ende gehenden Konjunkturzyklus, einer Stagnation der Weltindustrieproduktion und des industriellen Sektors in der Eurozone, eines Rückgangs der Industrie im wichtigen Industrieland Deutschland (und schon längst in Italien) und eines Einbruchs bei der führenden Industrie, im weltweiten Fahrzeugbau.

Damit verblasst auch das „Besondere“, das für den vergangenen Zyklus immer wieder behauptet wurde. Jahrelang hieß es, wir erlebten einen „historisch einmalig langen Konjunkturaufschwung“. Zyklus? Den gäbe es – so eine Reihe von Feststellungen – so nicht mehr. Was irgendwie durch Nullzinspolitik und Helikoptergeld möglich geworden sei.

Alles falsch. Die neue Krise begann im Herbst 2019 – nach einem neun Jahren währenden schwachen Wirtschaftswachstum. Die Länge des Zyklus 2009-2019 ist weitgehend identisch mit der Länge der Zyklen 1982-1990 und 1990-2000. Unsere Grundaussage, wonach die kapitalistische Weltwirtschaft spätestens seit 1974/75 ihren typisch zyklischen Verlauf nimmt, wonach es diese zyklische Bewegungsform seit Anfang des 19. Jahrhunderts – also nunmehr seit mehr als zweihundert Jahren – gibt und wonach es lediglich Kriege und große Krisen waren, die diesen zyklischen Verlauf abänderten, bestätigt sich ein weiteres Mal.

Dennoch gibt es immer aufs Neue ein Verwirrspiel bei der Bezeichnung der Krise – und auf diesem Weg eine Infragestellung der Zyklizität. So auch in der neuen Krise, bei der nur noch von einer Corona-Krise die Rede ist. Doch Vergleichbares gab es allzu oft – beispielsweise 1974/75. Damals erlebten wir die erste große Weltrezession seit der Weltwirtschaftskrise 1929-33. Da nicht sein durfte, was tatsächlich stattfand, da eine Wiederkehr ordinärer kapitalistischer Krisen von den seit 1948 vorherrschenden Wirtschaftswissenschaften geleugnet wurde, war bald der Bösewicht identifiziert: Es waren der Ölpreis respektive die „Scheichs“, die die Welt ins Chaos gestürzt und die Arbeitslosenzahl allein in Westdeutschland von 250.000 im Jahresdurchschnitt 1973 auf mehr als eine Million 1975 hatte hochschnellen lassen. Tatsächlich hatte das OPEC-Kartell als Reaktion auf den Nahostkrieg die Öllieferungen an den Westen drastisch verknappt; der Ölpreis hatte sich verdreifacht. Doch bereits damals handelte es sich beim Ölpreis ebenso wie heute beim Corona-Virus in erster Linie um den Trigger-Effekt im ansonsten ordinären Wirtschaftsgeschehen. Für das Publikum aber war der Begriff „Ölkrise“ ideal. Später bemühten sich Wirtschaftswissenschaft und Medien bei buchstäblich jeder Krise, für diese eine jeweils spezifische Erklärung zu drechseln. Da gab es eine „Asien-Krise“, eine „Rubel-Krise“, eine „Tequila-Krise“, eine „IT-Krise“ und eine „Subprime-“ oder auch „Lehman-Krise“.

Epidemien und Krise

Nun also eine Krise, bei der eine Epidemie die Ursache sein soll. Eine Kombination, die es in der kapitalistischen Wirtschaftsgeschichte so noch nie gab.

Tatsächlich kam es in den letzten einhundert Jahren zu einem Dutzend Epidemien und einigen Pandemien, die jedoch alle keine größeren Rückwirkungen auf die Ökonomie hatten. Die „Spanische Grippe“ 1918/19 mit mehr als 25 Millionen Toten und die „Asiatische Grippe“ 1957/58 mit bis zu zwei Millionen Toten richteten Verheerungen bei den Menschen an – hatten jedoch keine vergleichbaren Konsequenzen für die Weltwirtschaft. Tabelle 3 liefert einen Überblick.

Tabelle 3: Einige (entsprechend der jeweils relativ hohen Zahl an Todesfällen ausgewählte) Epidemien im Abgleich mit dem Wirtschaftswachstum 1918 bis 2020[5]


1918-20 1957/58 1968-70 1977/78 1995/96 2004/05 2009/10 2019/20
Epidemie Spanische Grippe Asiatische Grippe Hongkong Grippe Russische Grippe Weltweite Grippe Weltweite Grippe Schweine-grippe Corona/ Covid-19
Folgen: Erkrankungen (Infizierte) und Todesfälle 50 Mio Todesfälle weltweit – davon 600.000 in Deutschland 1-2 Mio Todesfälle Weltweit – davon 30.000 in BRD 1 Mio Todesfälle weltweit / davon in BRD:30.000 700.000 Todesfälle weltweit BRD: 8,5 Mio Erkrankte und 30.000 Todesfälle BRD: 6 Mio Erkrankte und 20.000 Todesfälle Weltweit 440.000 Infizierte und 15.174 Todesfälle (bis 31.1.10)
BRD: 226.000 Infizierte und 250 Todesfälle
Bis 20. März 2020: Weltweit: 244.602 Infizierte; 10.031 Todesfälle BRD bis zum 20.3.: 15.320 Infizierte – 43 Todesfälle [Angaben nach Johns Hopkins University]
Entwicklung der Wirtschaft 1918: letztes Kriegsjahr 1919 + 20: deutliches Wachstum BRD*: 57:5,4% 58:2,9% 59:7,3% BRD*: 68: 11,8% 69:13,0% 70: 6,1% BRD*: 77:1,1% 78: 2,4% 79: 4,9% BRD*: 95:3,2% 96:0,2% 97: 3,6% BRD*: 04:3,8% 05:2,4% 06:5,5% BRD*: 2009:-17,3 2010: 11,8 2011: 8,3 BRD*: 2019:-4,8% 2020: -9-10 % (Prognose) 2021: ?

* Angaben jeweils für das Wachstum der (west-) deutschen Industrieproduktion gegenüber dem Vorjahr

Die vorausgegangenen Epidemien bzw. Pandemien – die Schweinegrippe 2009/10 wurde von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Pandemie eingestuft – waren trotz der sehr hohen Zahl an Todesfällen und trotz einer vergleichbar schnellen und weltweiten Verbreitung – auch nicht annähernd mit derart drastischen Maßnahmen begleitet wie wir sie aktuell im Fall der Corona-Epidemie erleben.

Unterschiedliche Reaktionen auf Epidemien – was sind die Gründe?

Fragt man nach den Gründen für die Vehemenz, mit der aktuell auf die Corona-Epidemie reagiert wird, dann erhält man die Antwort: Das Virus breite sich wesentlich schneller aus als die Erreger der vorausgegangenen Epidemien. In einigen Regionen verdoppelt sich die Zahl der Infizierten alle sechs bis sieben Tage, in Deutschland am 20. März alle 2,5 Tage. Die aktuellen Versuche laufen darauf hinaus, die Ausbreitung zu strecken. Dabei verläuft die Erkrankung in rund fünf Prozent der Fälle so heftig, dass die Betroffenen ins Krankenhaus müssen. Dabei muss mehr als ein Drittel aller Corona-Krankenhauspatienten muss beatmet werden. Die Krankenhäuser, die Betten in den Kliniken und dann insbesondere die Intensivbetten mit Beatmungsgeräten – das ist der Flaschenhals, der die Pandemie zu einer ernsten Gefahr hat heranreifen lassen.

Das Corona-Virus kam zuerst nach Deutschland, weil der Autozulieferer Webasto Ende Januar 2020 eine Schulung mit einigen Dutzend Beschäftigten durchführte, zu der eine Chinesin – mehr als drei Wochen nach dem Ausbruch der Epidemie in China – eingeflogen wurde. Mehr als ein Dutzend Beschäftigte infizierten sich. Wurde der Ort, an dem die Schulung stattfand und die Infizierten lebten, Gauting, isoliert? Wurden Schulen geschlossen? Nichts von alledem. Seither gab es zwei Monate lang ein widersprüchliches Nebeneinander von grober Fahrlässigkeit (Fußballspiele mit Zehntausenden Zuschauern fanden bis Mitte März statt) und unverhältnismäßigen Maßnahmen (am 1., 4. und 6. März wurden drei ICE- Züge wegen eines einzelnen Corona-VERDACHTSFALLS gestoppt und teilweise evakuiert – es handelte sich jeweils um einen Fehlalarm). Als ein Höhepunkt der krass widersprüchlichen amtlichen Verhaltensweise muss empfunden werden, dass am 15. März in Bayern und in Frankreich Kommunalwahlen durchgeführt wurden, ein Akt, bei dem addiert mehr als 40 Millionen Menschen sich – dazu aufgerufen von staatlichen Behörden! – in Tausenden Wahllokalen, frequentiert immer von Dutzenden zusammengewürfelten Personen – zeitweilig versammelten. Die Sicherheitsmaßnahmen bestanden darin, dass dazu aufgefordert wurde, ein jeder möge „seinen eigenen Stift“ mitbringen. Tags darauf – tatsächlich am 16. März – wurde dann in Bayern der „Katastrophenalarm“ ausgerufen. Fast zeitgleich beschlossen die Behörden in Frankreich noch drastischere Einschränkungen der Bewegungsfreiheit. Und wie ist zu erklären, dass der Senat von Berlin am 17. März kundtat, man werde JETZT ein Notfallkrankenhaus für Corona-Fälle mit mehr als 1000 Betten auf dem Berliner Messegelände – „in Kooperation mit der Bundeswehr“ – errichten – zehn Wochen nach Ausbruch der Epidemie in Wuhan, neun Wochen, nachdem dort eine solche Spezialklinik errichtet worden war?

Die drastischen Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus sind auch Folge einer Politik, die soziale Verantwortung an private Investoren verkauft hat und die zu keiner rechtzeitigen konsequenten Politik der Eindämmung der Epidemie in der Lage war.

Nicht thematisiert und ABGELENKT wird vom Krankschrumpfen des Krankenhauswesens

Die Corona-Epidemie stößt weltweit – und dabei auch in erheblichem Maß in Deutschland, wohl auch exponiert in Italien – auf einen ausgepowerten und kaputtgesparten Gesundheitssektor. Die hektischen Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie sind geeignet, über diese Tatsache hinwegzutäuschen. Das scheint durchaus auch auf China zuzutreffen, wo die medizinische Versorgung in den letzten zwei Jahrzehnten mit der sprunghaften wirtschaftlichen e Entwicklung nicht Schritt gehalten zu haben scheint. So haben laut offizieller nationaler Schätzung nur 22 Prozent der Wanderarbeitskräfte eine grundlegende Krankenversicherung.[6] In der EU kam es in den vergangenen 15 Jahren zu massiven Prozessen der Privatisierung und Kommerzialisierung in der Gesundheitsversorgung und im Krankenhauswesen. Das Personal wurde flächendeckend um meist mehr als 30 Prozent abgebaut. In Deutschland wurde seit 1992 die Zahl der Krankenhausbetten um gut 30 Prozent reduziert. Es kam buchstäblich zu einem Krankenhaus-Sterben (siehe dazu weiter unten). Parallel erfolgte eine umfassende Kommerzialisierung des Krankenhauswesens, bei dem die Fallpauschalen-Orientierung im Zentrum steht. Laut Angaben der Gewerkschaft Verdi fehlen aktuell in Deutschland 162.000 Beschäftigte, um eine zufriedenstellende Versorgung der Patienten zu ermöglichen. 63.000 Fachkräfte müssten zusätzlich im Bereich der stationären Altenpflege eingestellt werden. Und wir reden hier von normalen Zeiten, noch nicht von Zeiten der Epidemie.[7] Die Ausbildungsstandards wurden aufgeweicht. Die Arbeitsintensität des Krankenhauspersonals nahm enorm zu – bei parallelem Abbau der Realeneinkommen. Massenhaft werden Ärztinnen und Ärzte und Krankenhauspersonal aus Drittländern abgeworben und nach Deutschland gebracht. Warum? Weil sie dort nicht gebraucht werden? Nein! Im Gegenteil! Wehe die Corona-Epidemie bricht in massivem Umfang dort – in Griechenland, in Kroatien, in Serbien, in Bosnien-Herzegowina, auf den Philippinen – aus, wo Tausende unserer Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte herkommen! Sie wurden abgeworben, weil sich unsere Gesellschaft auf diese Weise die Ausbildungskosten spart und weil die Arbeitskraft dieser Menschen so gut wie immer deutlich weniger kostet als die einheimischer Lohnabhängiger, weil sie also in diesem Umfang die Profite der privaten Krankenhausmaschinerie steigert.

Der Flaschenhals in den Krankenhäusern selbst sind die mit ausgebildetem Pflegepersonal und Ärzten besetzten Intensivbetten. Dazu kommen auf der technischen Seite Beatmungsgeräte, die zu knapp sind. Die Kliniken in Deutschland verfügen über rund 28.000 Intensivbetten, wobei gleichzeitig 4.700 Intensivpflegekräfte fehlen. Tatsächlich dürften nur rund 27.000 der Betten ad hoc bereitstehen. Diese sind allerdings im Durchschnitt bereits zu 80 Prozent ausgelastet. Damit sind tatsächlich etwa 5.400 Betten frei.

All das ist seit einem Vierteljahr bekannt – ohne dass es irgendwelche relevanten Aktivitäten gegeben hätte, die Bettenzahl aufzustocken, zusätzliches Pflegepersonal auszubilden und einzustellen und in den Ruhestand getretene Ärztinnen und Ärzte zu reaktivieren. Die Filmemacherin Leslie Franke und der Filmemacher Herdolor Lorenz fassten in einem Rundschreiben am 17. März 2020 unter Bezugnahme auf ihren Film zur dramatischen Lage in den Kliniken die Situation wie folgt zusammen:

Wir haben in dem Film „Der marktgerechte Patient“ gezeigt, dass schon im normalen Tagesgeschäft die Intensivstationen aus pflegerischer Sicht Tag für Tag bereits überfordert sind. Keine einzige im Film untersuchte Intensivstation konnte mehr als 60 Prozent ihrer Intensivbett-Kapazitäten betreuen auf Grund des Pflegemangels. Schuld daran ist eindeutig die Profit orientierte Finanzierung durch Fallpauschalen. Pflegekräfte sind dadurch vor allem lästige Kosten. Seit Einführung der sog. DRGs [Diagnosis Related Groups – Fallpauschalen; W.W] wurden 50.000 Pflegekräfte abgebaut!.“[8]

Doch all das ist aktuell kein Thema. Mehr noch: Der Mit-Verantwortliche für dieses Desaster, Gesundheitsminister Jens Spahn, gebärdet sich aktuell als Corona-Krisen-Zampano. Dabei trug der Mann seit Übernahme des Amtes im März 2018 wesentlich zur fortgesetzten Aushöhlung des Gesundheitswesens bei. Noch im Juli 2019 legte die Bertelsmann-Stiftung eine Studie vor, wonach „jede zweite Klinik in Deutschland“ schließen sollte. Widersprach dem der Gesundheitsminister? Etwa mit Verweis auf Notzeiten und Epidemien? Mitnichten! Der Mann erklärte: „Nicht jedes Krankenhaus muss alles machen.“ Erforderlich sei ein „Mix“ aus Abbau von Klinken und Konzentration auf „das Notwendige“.[9]

Notstandsübung anstelle der Beseitigung von Notstand

Die staatlichen Instanzen haben wochenlang praktisch nicht gehandelt. Dabei zeichneten sie bereits Mitte Februar das Bild einer kommenden Epidemie und Pandemie – bei Beibehaltung der beschriebenen widersprüchlichen Praktiken. Dieses Nicht-Handeln hat erst zur aktuellen dramatischen Situation geführt – und dazu, dass nunmehr Notstandmaßnahmen so gut wie unausweichlich wurden. Fast schlagartig werden jetzt eine ganze Reihe von Grundrechten und elementare Formen des sozialen Zusammenlebens außer Kraft gesetzt – Grundrechte für die Masse der Bevölkerung, wohlgemerkt, keineswegs für die Mächtigen in Wirtschaft und Staat und für diejenigen, die für das Desaster eines ausgehungerten Gesundheitssektors verantwortlich zeichnen. René Schlott schrieb dazu in der Süddeutschen Zeitung vom 17. März 2020 wie folgt: „Aristoteles definierte den Menschen als “zoon politikon” als ein gemeinschaftsbildendes, gemeinschaftssuchendes Wesen, das ohne sein Gegenüber nicht existieren könne. Gut 2300 Jahre später versuchen Regierungen weltweit unter Berufung auf Virologen, diese Grundtatsache außer Kraft zu setzen. Nicht anders ist der Aufruf der Bundeskanzlerin zu verstehen, jeder solle seine sozialen Kontakte ´weitestgehend einstellen´. Diese Empfehlung ist ungefähr so sinnvoll, wie die Fische zu bitten, das Wasser zu verlassen, um ihr Überleben zu sichern […] Mit atemberaubender Geschwindigkeit […] werden Rechte außer Kraft gesetzt, die in Jahrhunderten mühsam erkämpft worden sind. So etwa das Recht auf Versammlungsfreiheit, das Recht auf Bildung als auch die Reisefreiheit. Wer jetzt nichts absagt, gilt als asozial. […] Nicht das Virus ist jedoch für diese Entwicklungen verantwortlich, sie sind menschengemacht. Es sind Entscheidungen von Verantwortungsträgern im Umgang mit dem Virus, die zum Shutdown führen. Es ist alarmierend, wie rasch Wissenschaft, Kunst und Kultur, Sport, ja sogar die Bildung der Kinder für verzichtbar erklärt werden. Nichts offenbart das wahre Gesicht unseres Gemeinwesens besser als die Tatsache, dass einzig Wirtschaft, Konsum und Börsen aufrecht erhalten werden sollen. Als sei dies der einzige Daseinszweck unserer fortschrittlich geglaubten Gemeinschaft. […] Die Dinge sind ins Rutschen geraten. Denn viele der Maßnahmen sind nicht einmal zeitlich begrenzt. Was, wenn alle Einschränkungen nicht fruchten? …Dieses Gemeinwesen braucht einen Verständigungsprozess darüber, ob es wirklich jeden Preis um die Eindämmung eines Virus zu zahlen bereit ist.“

Könnte es nicht sein, dass der Mensch als gemeinschaftssuchendes Wesen eher in der Lage wäre, selbständig und kreativ Wege zur Eindämmung des Virus zu beschreiten als wenn diese als Zwang verordnet werden von denen, die ihre Unglaubwürdigkeit seit Jahren bewiesen haben und in der Krise weiter Tag für Tag unter Beweis stellen? Wenn in dieser Situation sich der Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery kritisch zu Notstandsmaßnahmen wie Schulschließungen und Ausgangsverbote äußert und darauf hinweist, dass diese Maßnahmen in Italien nichts bewirkt, eher im Gegenteil Panik produziert hätten, dann gehen solch mahnende Worte im allgemeinen Klima geschürter Panik eher unter.[10]

Die neue Krise – und wie die „reinigenden Kräfte“ in der Krise vor dem Hintergrund der Epidemie im Sinne des Kapitals effizient wirken könnten

Einiges spricht dafür, dass sich die aktuelle Krise zu einer neuen Weltwirtschaftskrise entwickelt. Alle wichtigen Börsenindizes liegen – Stand: 20. März 2020 – um knapp 50 Prozent unter ihrem Höchststand, auf den sie sich noch im Februar, Wochen nach Ausbruch der Corona-Epidemie, hochgeschwungen hatten. Gab es so etwas jemals zuvor? Es übersteigt zumindest das, was wir 2008/2009 erlebt haben. Es gab „so etwas“ nur in der großen Krise, die 1929 einsetzte, und die in gewaltige wirtschaftliche und soziale Verwerfungen, in Chaos, Gewalt und Krieg, mündete.

Gleichzeitig könnten es jedoch ausgerechnet die Corona-Krise und die Art und Weise, wie diese Pandemie instrumentalisiert wird, sein, dass der normale Gang der Krise verkürzt und die Profitinteressen der Ganz-Großen in dieser Krise weniger als im Normalfall negativ beeinflusst werden. Was im Umkehrschluss aber auch heißen könnte, dass die Schwachen in der Gesellschaft noch weit mehr in dieser Krise leiden – und Zehntausende in den banalen Tod durch Hunger und ordinäre Krankheiten gestoßen werden.

Zunächst ist festzuhalten: In diese Krise lassen sich vier verschiedene Schauplätze identifizieren, die sich in Wechselwirkung zueinander befinden, und die die gesamte Weltwirtschaft in eine Abwärtsspiraler treiben können. Da ist zunächst die zweitgrößte Ökonomie der Welt. Zum ersten Mal wird China in dieser weltweiten Krise nicht mehr als „Krisendämpfer“ wirken. Diese zweitgrößte kapitalistische Ökonomie – zugleich der weltweit größte Exporteur – ist dieses Mal selbst Zentrum der Krise. 2020 dürfte das erste Jahr sein, in dem das Wachstum der chinesischen Wirtschaft nahe Null absinkt. Wobei eine Wachstumsrate unter sechs Prozent bislang als brandgefährlich galt – unter anderem aufgrund des ständigen Zustroms neuer Arbeitskräfte vom Land in die städtischen und industriellen Zentren. Selbst wenn sich die Lage in China nicht zur offenen Krise mit dem Zusammenbruch großer Unternehmen und einer schnell ansteigenden Massenarbeitslosigkeit entwickelt, so wird es für die Weltwirtschaft nicht mehr, wie 2008/2009 der Fall, eine positive Rückwirkung Chinas auf die Weltwirtschaft und ein entsprechendes Einebnen der weltweiten Krise geben.

Als zweites ist die Weltautobranche von der neuen Krise besonders betroffen. Führende Konzerne in dieser Weltindustrie waren bereits mit „Dieselgate“ belastet. Die Branche als Ganzes befindet sich als Resultat der Klimakrise und des Versuchs einer teilweisen Umstrukturierung hin zu Elektroautos in einer Umbruchphase. Es gab 2018 und 2019 den beschriebenen deutlichen Einbruch der Weltautofertigung. Für 2020 droht ein Rückgang um mehr als 15 Prozent. Das muss Folgen für die verbliebenen Konzerne haben. In Japan werden die sechs noch unabhängigen Autohersteller (Toyota, Honda, Mazda, Suzuki, Nissan und Subaru) einen Konsolidierungsprozess erleben. Im neuen gigantisch aufgeblähten Konglomerat PSA (mit Peugeot, Citroen, Opel, Fiat, Chrysler und Alfa Romeo) wird es einen Kahlschlag geben. Insgesamt sind allein in dieser Branche aktuell mehr als eine Million Arbeitsplätze bedroht.

Drittens droht eine neue EU-Krise und eine neue Euro-Krise. Die Entwicklung in Italien dürfte hier entscheidend werden. Dieses Land befindet sich seit 20 Jahren im Krisenmodus; die Staatsschuld lag bereits 2019 mit 130 Prozent auf Rekordniveau. In der aktuellen Corona-Virus-Krise steigen die Staatsausgaben in Italien, während gleichzeitig das Bruttoinlandsprodukt rückläufig sein wird. Damit aber müssen – siehe die Entwicklung in Griechenland 2012-2018 – die Schulden gemessen am BIP nochmals massiv auf 150 und mehr Prozent ansteigen. Das wird die Ratingagenturen auf den Plan rufen und zu neuen Herabstufungen der Kreditwürdigkeit des Landes führen. Was wiederum die Bedienung der gigantischen Staatsschulden massiv verteuern muss. Wie wird dann die EU, wie wird die EZB reagieren, wenn Italien in einer Kombination von medizinischem und ökonomischem Notstand dringend der solidarischen Hilfe bedarf? Die EZB-Chefin Christine Lagarde antwortete am 13. März auf die Frage, wie man der italienischen Regierung helfen könne, deren Kreditzinsen im Vergleich zu Deutschland deutlich in die Höhe geschossen sind – der „spread“ sich also ausweitete: „Wir sind nicht dafür da, diese Zinsunterschiede einzuebnen.“[11]

Und schließlich – viertens – spricht fast alles dafür, dass diese Krise auch den Finanzsektor erfassen und beuteln wird. Der Zusammenbruch von großen Finanzinstituten kann nicht mehr ausgeschlossen werden. Wobei im Fall einer solchen Bankenpleite erneut – wie 2007- 2009 – gelten dürfte: „too big to fail“; das heißt, die Steuerzahlenden werden zur Ader gelassen werden.

Ein großer Finanzcrash kann seinen Ausgang nehmen bei der gewaltigen Immobilienblase in Indien. Oder bei dem aktuell ablaufenden libanesischen Staatsbankrott. Oder bei einer zu erwartenden argentinischen Staatspleite. Oder beim Zusammenbruch des Systems der chinesischen Schattenbanken. Oder im Rahmen einer neuen Russland-Krise, in der sich Öl- und Gaspreisverfall und Bankenkrise bündeln. Oder im Rahmen der umfassenden Insolvenzen-Welle, die noch 2020 als Folge der „Reduktion aller sozialen Kontakte“ und der Schließung hunderttausender Geschäfte zu erwarten ist und die sich in Deutschland im Bereich der Sparkassen und Genossenschaftsbanken zu kritischen Ausfällen in Höhe vieler Dutzend Milliarden Euro aufaddieren dürfte. Sicher ist, dass heute der Finanzsektor vergleichbar labil ist wie vor der letzten großen Krise. Staatliche Auffangprogramme in der Größenordnung, wie es solche 2008/2009 gab, sind im Rahmen der bestehenden Logik der Wirtschaftspolitiken und der politischen Strukturen kaum mehr zu stemmen. Und auch die Zentralbanken sind ihrer klassischen Waffen beraubt, senkte doch die US-Zentralbank Fed früher in Krisen den Leitzins gern und vier und fünf Prozent – doch heute, nur wenige Wochen nach Eintritt der Stunde X, liegen diese Leitzinsen in New York, Tokio, London und Frankfurt/M. nahe Null.

Das Ensemble dieser Krisenherde kann dazu führen, dass sich diese durch die Weltwirtschaft fressen und dass es zu einer Kernschmelze der Weltökonomie kommt.

Schlimm? Ja, schlimm für die Erwerbslosen, für die Noch-Beschäftigten, für Millionen Kleingewerbetreibende und für den Durchschnitt der Bevölkerung. Doch im Fall der großen Konzerne gibt es einerseits die Direktprofiteure und andererseits möglicherweise eine große Zahl von Langzeitprofiteuren. Direkt von der Krise profitieren die Pharmakonzerne, viele PC-und Softwarehersteller (die Umstellung des Schulunterrichts auf home-schools wird umfassend vorbereitet) und die Logistiker. Amazon kündigte am 16. März an, 100.000 neue Stellen zu schaffen – allein in den USA!

Die Langfrist-Profiteure könnten führende Finanz- und Industriekonzerne sein. Dies hängt damit zusammen, dass aktuell eine Schockpolitik läuft, mit der der normale Gang einer Krise radikal verkürzt, wenn auch zugleich vertieft werden könnte. Normalerweise dauert eine Krise ein Jahr und mehr, bis die „reinigenden Kräfte“ der Krise ausreichend gewirkt, sprich: gewütet haben. 2008/2009 gab es eine fast zwei Jahre währende Kontraktion der wirtschaftlichen Tätigkeiten. In dieser Zeit mussten die Unternehmen die aufgebauten Überkapazitäten Schritt um Schritt reduzieren, Belegschaften abbauen – in Deutschland oft verbunden mit teuren Sozialplänen – die Preise senken und Rabattschlachten durchführen, abwarten, bis sich die Nachfrage wieder einpendelte und bis staatliche Unterstützungsmaßnahmen wieder griffen. Völlig undenkbar war damals, dass funktionierende Unternehmen ihre Produktion schlicht von heute auf morgen einstellen.

Doch just das passiert in diesen Tagen. So im Fall des weltweit größten Autobauers: VW wird am 20. März alle seine Werke in Deutschland schließen. Und warum? Gibt es einen Abriss in den Lieferketten? Mitnichten! In China wird die Produktion von VW gerade hochgefahren. VW-Boss Herbert Diess erklärt, dass es „bislang keine Lieferketten-Unterbrechung“ gegeben hätte. Stattdessen verweist der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Bernd Osterloh auf „Infektionsketten“. Dieser Co-Manager erklärt, es gelte die „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ zwischen VW-Büroarbeit und VW-Produktionsarbeit zu beenden; schließlich arbeiteten die Kollegen „Schulter an Schulter“ in den Fertigung, was die Gefahr einer Infektion erhöhe. Tatsächlich gibt es in erster Linie einen massiven Einbruch der Nachfrage. Und der Volkswagenkonzern nutzt die Gunst der Stunde und schließt schlicht den größten Teil der Fertigungsstätten, um sich einen großen Teil der Löhne und Gehälter vom Staat bezahlen zu lassen. Vergleichbares machte Ford in der Weltwirtschaftskrise. Doch bislang hieß es: das war US-amerikanischer Manchester-Kapitalismus. Jetzt gibt es exakt dies im Land, das sich einst rühmte mit einem „Rheinischen Kapitalismus“ einen anderen Weg zu gehen.

Die Möglichkeit, auf Steuergelder-Kosten den Laden zu aschließen, haben allerdings nur wenige große Unternehmen. Grundsätzlich gibt es in der gegenwärtigen Situation einen krassen Widerspruch, der da lautet: Die medizinisch optimale Reaktion auf die Krise – maximale Reduktion aller sozialen Kontakte, also auch Einstellung jeglicher nicht absolut lebensnotwendiger Produktion – hat mittelfristig äußerst negative Folgen für die Profite und kann bei Tausenden vor allem mittelständischen und kleineren Betrieben die Existenzfrage stellen. Und kaum jemand wird behaupten, das RKI sei mächtiger als der BDI: das Robert Koch-Institut ist letzten Endes eine Außenstelle des Gesundheitsministeriums und dessen Chef untergeordnet. Jens Spahn wiederum betrieb in den Jahren 2006 bis 2010 eine Lobbyagentur für Pharmaklienten (Politas) und forcierte die Liberalisierung des Apotheken-Markts ; sein Partner und Mann war für die Versandapotheke DocMorris und den Pharmagroßhändler Celesio, inzwischen McKesson, aktiv. Womit wir bereits im Umfeld des eigentlichen Zentrums von Politik und Wirtschaft angelangt sind: beim Bundesverband der Deutschen Industrie, dem BDI.

Wofür, bloß, gibt es diese Vernetzungen von Politik, Macht und Profit? Doch just für Krisensituationen wie die aktuelle. In diesen werden sie in besonderer Weise aktiviert. Hier kann der Krisenschock zur Durchsetzung schockierend inhumaner Interessen führen. Naomi Klein schrieb über die aktuelle Krise: „Diese Kombination von Krisen-Kräften [ausgepowerter Gesundheitssektor und beginnende Wirtschaftskrise; W.W.] produziert den maximalen Schock. Dieser wird jetzt dazu ausgenutzt, um Branchen herauszuhauen, die im Zentrum der extremsten Krise stehen, die wir kennen – und das ist die Klimakrise: Herausgehauen werden die Branche der Airlines, die Gas- und Öl-Industrie, die Kreuzfahrtschiff-Branche. Die werden jetzt vollgestopft mit Dollars.“[12] Am 16. März verkündete US-Präsident Trump, er werde die ins Straucheln geratenen US-Airlines „zu 100 Prozent unterstützen“. Die Rede ist von einem 50 Milliarden US-Dollar-Hilfsprogramm. Worauf die Aktienkurse von Delta und United und Southwest einen Freudensprung nach oben absolvierten.

Erinnern wir uns: Im Juni 2009 ging General Motors in Folge der letzten Weltwirtschaftskrise pleite. Damals gab es zwei grundsätzliche Positionen, wie es weitergehen könnte. Die eine hatte der Filmemacher und politische Aktivist Michal Moore vertreten. Er forderte, GM umzubauen zu einem Konzern, der Busse und andere Produkte für den öffentlichen Verkehr herstellt. Diese umweltfreundliche und klimapolitisch sinnvolle Perspektive konkretisierte Mr. Moore in einem eindrucksvollen Manifest.[13] Die andere Perspektive wurde von US-Präsident Barack Obama vertreten – und letzten Endes durchgesetzt. Der US-Staat übernahm GM. Bis zu 50 Milliarden US-Dollar flossen in den Konzern. Zehntausende Beschäftigte wurden entlassen; die Löhne massiv gekürzt. Ausdrücklich erklärte Obama, die Regierung werde sich nicht in die Unternehmenspolitik einmischen. Er sei „absolut zuversichtlich“, dass GM bei gutem Management „einer neuen Generation von Amerikanern helfen wird, ihre Träume zu verwirklichen“.[14] Die Folge war: GM baute nochmals größere SUVs, die nochmals klimaschädigender waren. Und wenn GM nun in der neuen Krise erneut an den Rand einer Insolvenz gelangen sollte – die Hilfe von Mr. Trump dürfte den Klimasündern im GM-Top-Management sicher sein.

Neue Solidarität, Corona-Krise und neue Klimabewegung

Die Doppelkrise – ordinäre kapitalistische Krise und die Corona-Virus-Krise – die wir im Augenblick erleben, stellt eine außerordentliche politische Herausforderung für die Linke dar. Die Gefahr, dass wir von den sich überschlagenden Ereignissen in eine absolute Defensive gedrängt werden – zumal sich auch rein physisch die Bewegungsspielräume einengen – ist enorm. Gleichzeitig sind die aktuell großen Akteure keineswegs neutrale Instanzen, die das Wohl und Wehe der Gesellschaft im Auge haben. Ganz im Gegenteil. Die Akteure in Washington, Peking, Tokio, London, Brüssel, Berlin oder Wien – einschließlich des großen Teils der Gesundheitsbehörden und beratenden Institute – verfolgen einerseits überwiegend die Interessen, die sich aus der Bestimmung des Gesellschaftssystems durch Kapital und Profit ergeben. Andererseits sind sie ergänzend – was die Sache verschlimmert – von engstirnigen nationalen Interessen – denen des jeweiligen ideellen Gesamtkapitals auf nationaler Ebene – bestimmt.

Ganz praktisch: Am 5. März erklärte die Regierung in Reykjavik den österreichischen Skiurlaubsort Ischgl zum „Risikogebiet“, weil sich mehrere Isländer, die dort Skifahren waren und die von dort bereits Ende Februar nach Island zurückgekehrt waren, mit dem Corona-Virus infiziert haben. Reykjavik informierte am gleichen Tag Wien. Nichts passierte. Zehntausende zusätzliche Skiurlauber fuhren mehr als zehn Tage lang weiter nach Ischgl – die Lifts liefen noch eineinhalb Wochen lang Tag für Tag. Hunderte Neuinfizierte aus Dutzenden europäischer Städte fuhren dort Ski, trafen sich abends beim „Ballermann in den Alpen“ zum Après-Ski und kamen – relativ schnell erkennbar – als Infizierte zurück. Das traf zum Beispiel zu auf mehr als 100 Däninnen und Dänen und auf gut 80 Personen mit Wohnsitz Hamburg. In Süddeutschland entwickelte sich so ein besonders krasser Corona-Hotspot: Am Samstag, dem 7. März, fuhren sechs Omnibusse mit 200 Skifahrern aus dem Ostalbkreis (Stadt Aalen) nach Ischgl. Am Sonntag, dem 8. März, kehrten sie abends bereits zurück. Eine Woche später gab es die ersten Verdachtsfälle. Bis 15. März wußte man, dass 50 Personen (!) im Landkreis sich infiziert haben. Am 16.3. waren es bereits 109 identifizierte, infizierte Personen. Doch am 18.3. standen hunderte Testergebnisse noch aus. Laut Landesregierung in Stuttgart kämen die Labore „mit der Arbeit nicht hinterher“. Wurde eine Taskforce nach Aalen geschickt? Quarantäne verhängt? Gab es eine Abriegelung? Nichts dergleichen! Sechs Wochen nach den skandalösen Vorkommnissen in Gauting in Bayern, wo es auch primär um das Wohl und Wehe des Autozulieferers Webasto ging, nun exakt dasselbe Verhalten in den Nachbarländern Baden-Württemberg und Tirol.[15] In Ischgl selbst wurde die Saison am 16. März „vorzeitig beendet“. Tatsächlich hat man, so ein treffender Kommentar von Thomas Mayer in die österreichischen Tageszeitung Der Standard, die „letzte starke Ski-Woche mitnehmen wollen, auf dass die Kassen der Liftbetreiber und Hoteliers klingeln. […] Gier hat die Verantwortung für die Gesundheit der Bürger und Gäste besiegt.“[16]

Es gibt triftige Gründe anzunehmen, dass es Vorfälle vergleichbarer Art zu Tausenden in ganz Europa gab – zehn Wochen nach dem Ausbruch der Epidemie in Wuhan, China. Sechs Wochen, nachdem die Weltgesundheitsbehörde WHO Corona als Epidemie erkannte. Vier Wochen, nachdem Corona als Pandemie identifiziert wurde. Und 12 Tage, nachdem eine europäische Regierung eine andere Regierung in Europa ausdrücklich warnte und den eigenen Bürgerinnen und Bürgern einen Ischgl-Besuch untersagte. Es ist ebenso skandalös aus medizinischer Sicht wie charakteristisch für die Grundaussage: Der Profit, nicht die Gesundheit, sind der Maßstab.

Alles, was jetzt getan werden muss, sollte unter der Leitlinie laufen: raus aus der Profitorientierung im Allgemeinen und der Profitwirtschaft im Krankenhaus- und Gesundheitssektor im Besondern. Mensch statt Profit – Solidarität anstelle von Kapitallogik. Das mündet in ein 12-Punkte-Programm.

  • Krankenhaussektor allgemein stärken: Stopp aller Privatisierungstendenzen in diesem Bereich

Notwendig ist ein Sofortprogramm zur Stärkung des Gesundheitssektors. Das erfordert auch, dass jede Privatisierungstendenz auf diesem Gebiet gestoppt werden muss (siehe die zitierte jüngste Bertelsmann-Studie) und dass – analog zu der Kampagne „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ als Ziel gelten sollte: der gesamte Gesundheitssektor muss wieder unter öffentlicher Kontrolle gestellt werden. Private Konzerne, die ein Geschäft mit Krankheit und Gesundheit machen, haben in diesem Sektor nichts zu suchen. Sie sind auf der Basis der Grundgesetzartikel 14 und 15 zu enteignen. Völlig inakzeptabel ist jede weitere Schließung eines Krankenhauses. Siehe dazu den Aufruf der Nichtregierungsorganisation Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB)[17]

  • Krankenhausbetten um mindestens 50 Prozent ausbauen, Intensivbettenzahl verdoppeln – aufgelassene Krankenhäuser wieder „instandsetzen“ und in Betrieb nehmen

Seit 1991 wurden mehr als 32 Prozent der Krankenhausbetten in Deutschland abgebaut. Die Zahl der Krankenhäuser wurde drastisch reduziert. Allein im Zeitraum 2003 bis 2012 wurden 74 Krankenhäuser mit 5200 Betten geschlossen. Die Große Koalition hat sich das Ziel von weiteren Krankenhäusern-Schließungen gesetzt – unterstützt von dem führenden SPD-Gesundheitspolitiker Lauternach.[18] Diese Politik rächt sich seither Tag für Tag – siehe die „blutigen Entlassungen“. Das rächt sich jetzt in der Corona-Krise in besonderem Maß. Die Gesamtzahl der Betten muss wieder deutlich erhöht werden. Die Orientierung auf Fallpauschalen ist aufzugeben – womit davon auszugehen ist, dass die durchschnittliche Verweildauer der Patientinnen und Patienten in den Krankenhäusern erneut deutlich steigt. Insbesondere muss die Zahl der Intensivbetten mit entsprechender Notfallausrüstung massiv erhöht und damit auf mehr als 50.000 rund verdoppelt werden.

Viele der in jüngerer Zeit geschlossenen Krankenhäuser gibt es noch; viele stehen leer. Andere werden für andere Zwecke genutzt. Es sollte geprüft werden, eine größere Zahl von ihnen wieder in ihre alte Funktion zu versetzen. Auswertungen der WHO im Zusammenhang mit Ebola haben gezeigt, dass zur Eindämmung einer Epidemie eine gute regionale Gesundheitsversorgung gehört. Die absolute Zahl der Betten allein reicht nicht aus, wenn etwa Kliniken zu weit entfernt liegen.

  • Sonderfonds für Krankenhausbelegschaften, Gehälter aufstocken; Beschäftigtenzahl ausbauen.

Die Belegschaften in den Krankenhäusern sind bereits beim Auftakt der Corona-Krise ausgebrannt und ausgepowert. Schuld daran hat die auf Kommerzialisierung ausgerichtete Gesundheitspolitik, die die Bundesregierungen seit mehr als eineinhalb Jahrzehnte betreiben. Notwendig ist eine Stärkung des bestehenden Personals u.a. durch eine Erhöhung der Löhne und Gehälter. Die Gesellschaft zollt diesen Menschen Anerkennung; sie wird in den nächsten Wochen auf die aufopferungsvolle Tätigkeit dieser Belegschaften angewiesen sein. Daher muss auch jetzt bereits alles getan werden, die Personalstärke deutlich erhöhen. Das von Spahn angekündigte „befristete Aussetzung“ der Personalschlüssel ist fragwürdig.

  • Bundeswehrkapazitäten heranziehen und auf ziviler Basis im Kampf gegen Corona einsetzen; Bundeswehr entmilitarisieren

Die Bundeswehr unterhält einen großen Sanitätsbereich, in dem nach Angaben der Bundeswehr aktuell 19.945 Soldatinnen und Soldaten aktiv sind. Diese sind als erstes in Gänze dem Kampf gegen Corona zur Verfügung zu stellen. Dies sollte umgehend und außerhalb der militärischen Strukturen – in der Form einer Zuordnung zum allgemeinen Gesundheitssektor – erfolgen. Auf alle Fälle muss es das Ziel sein, eine Entmilitarisierung des Bundeswehr-Sanitätswesens zu erreichen.

Es ist zu prüfen, inwieweit die übrigen mehr als 150.000 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in den Kampf gegen die Corona-Krise eingesetzt werden können. Dies muss jedoch strikt auf Bereiche beschränkt sein, die zivilen Charakter haben.

Es handelt sich bei der Bundeswehr um ein riesiges Potential von oft gut ausgebildeten Personen, deren Gehälter zu 100 Prozent von den Steuerzahlenden finanziert werden, die also ohne größere zusätzliche Kosten im Kampf gegen die Ausbreitung des Virus eingesetzt werden können.

Alle Bundeswehr-Kontingente im Ausland sind unverzüglich abzuziehen. Die damit freiwerdenden Mittel sind den Gesundheitssektoren der Länder (Mali, Afghanistan, Bosnien, Kosovo usw.), in denen die Einheiten stationiert waren, als Schenkung zur Verfügung zu stellen.

  • Umstellung der Produktion in unterschiedlichen Sektoren auf die Herstellung von Materialien, Geräten usw. für Gesundheitsschutz und für die Corona-Krisen-Vorsorge. Insbesondere Konversion der Autoindustrie. Jetzt gilt: „Autos zu Atemgeräten“

Unser hochindustrialisiertes Land verfügt über gewaltige Produktionskapazitäten, die unterschiedliche Produkte für unterschiedliche Zwecke herstellen können und die aufgrund des hohen Automatisierungsgrads und vielfachen Robotereinsatzes auch enorm flexibel sind. Aktuell liegen riesige dieser Produktionskapazitäten brach – selten wegen Corona-Infizierten, in der Regel, weil die Unternehmenszentralen keine ausreichende Nachfrage für ihre Produkte sehen oder weil Lieferketten unterbrochen wurden. Inzwischen haben die Autokonzerne ihre Produktion fast komplett eingestellt. Diese Kapazitäten liegen also brach – das kostet riesige Summen, nicht zuletzt solche, die die Steuerzahlenden aufzubringen haben (Kurzarbeitergeld).

Notwendig ist, dass ein großer Teil des produktiven Kapitals – insbesondere die brachliegenden Kapazitäten – dafür eingesetzt werden, Produkte des dringenden Bedarfs im Kampf gegen die Corona-Epidemie herzustellen. Viele dieser Unternehmen beziehen bereits im Produktionsalltag große Summen an Subventionen – also an Steuergeldern – beispielsweise für „Elektromobilität“. Es ist also auch aus diesem Grund nachvollziehbar, dass diese Kapazitäten im Kampf gegen Corona einzusetzen sind. Da die Autoindustrie ohnehin unter anderem aufgrund der Klimakrise eine ungewisse Zukunft vor sich hat, ist dies die richtige Zeitpunkt, um eine Konversion der Autoindustrie-Produktionskapazitäten in Angriff zu nehmen – weg vom Auto, hin zu Produkten der Verkehrswende und der Gesundheitsvorsorge. Analog zu dem Slogan „Schwerter zu Pflugscharen“ sollte gelten: „Autos zu Atemgeräten“.

Dass eine solche Zielsetzung zügig umsetzbar ist, zeigte sich in der VR China im Januar und Februar 2020. Nachdem dort der Verkauf von GM-Autos um bis zu 90 Prozent sank, stellte der Konzern – auf Anforderung der Zentralregierung in Peking – die Produktion in seinen chinesischen Werken zum größten Teil auf die Fertigung von Mund-Nase-Masken um.[19] In Frankreich hat der Luxuskonzern LVMH Mitte März damit begonnen, seine Parfum-Produktion auf die Herstellung von Desinfektionsmitteln umzustellen. Auch deutsche Chemieunternehmen kündigten an, ihre Kapazitäten in eine vergleichbare Richtung neu auszurichten.

  • Konversion der Rüstungsindustrie

Die Rüstungsproduktion gehört zu den hochindustrialisierten Bereichen des Landes. Sie finanziert sich zu 98 Prozent auf Steuergeldern – darunter zu rund zwei Drittel aus deutschen Steuergeldern. Rüstungsexporte unterliegen zu 100 Prozent staatlicher Kontrolle. Das Ergebnis von Rüstungsproduktion und Rüstungsexporten sind Vernichtung, Zerstörung, Kriege, Flüchtlinge und nicht zuletzt auch Freisetzung riesiger CO-2-Emissionen und damit ein massiver Beitrag zur Klimaerwärmung.

Die gesamte Rüstungsproduktion (und damit auch alle Rüstungsexporte) ist einzustellen; die gesamte Fertigung auf sinnvolle Produkte im Kampf gegen Corona und für andere sinnvolle Produkte und Dienstleistungen z.B. auf den Gebieten der Energiewende und Verkehrswende umzustellen.

  • Sonderprogramm für Hilfs- und Schutzbedürftige in Deutschland: Wohnungslose und Behinderte schützen

In Deutschland leben Millionen Menschen von Hartz IV und Sozialhilfe. 2018 hatten laut Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe 678.000 Menschen keine Wohnung – das war Nachkriegsrekord.[20] Corona macht nicht vor den Zelten und übrigen Schlafstätten der Wohnungslosen Halt. Natürlich gebieten bereits Menschlichkeit und christliche Nächstenliebe, diesen Gestrandeten und vom kapitalistischen Betrieb Ausgestoßenen Hilfe zukommen zu lassen. In der gegebenen Situation der Corona-Krise bildet diese große Gruppe von Menschen darüber hinaus ein erhebliches Risikopotential für die Ausbreitung der Epidemie.

Ein Sonderprogramm mit den Zielen Schaffung menschenwürdiger Unterkünfte und Garantien für ein menschenwürdiges Leben ist für diese Gruppe in Zusammenarbeit mit den in diesem Bereich aktiven sozialen Verbänden aufzulegen.

  • Hilfsprogramm für die osteuropäischen Hilfsarbeiter in den Fleischfabriken, in der Landwirtschaft und bei den Zustelldiensten

In Deutschland leben zwischen drei und vier Millionen Arbeitskräfte aus osteuropäischen Ländern – vor allem aus Rumänien, Bulgarien und Polen – die auf der Basis von Werksverträgen beschäftigt sind. Sie bilden das Subproletariat unserer Gesellschaft. Sie sind in den Bereichen der Fleischindustrie („System Tönnies“), der Landwirtschaft, der häuslichen Pflege und der Zustelldienste beschäftigt. Diese Menschen arbeiten unter unmenschlichen Bedingungen. Und vor allem leben sie in extrem prekären Wohnverhältnissen, was die Ausbreitung des Corona-Virus enorm begünstigt. Pfarrer Peter Kossen, der seit Jahren auf die Situation dieser Menschengruppe aufmerksam macht und – soweit dies in seinen Kräften steht – viele von ihnen betreut, erklärte in einem aktuellen Appell: „Wenn jetzt die Pandemie auf diese ausgelaugten, angeschlagenen und gedemütigten Menschen aus Ost- und Südeuropa trifft, dann wird dies zahlreiche Opfer fordern. […] Die Totalerschöpfung dieser Menschen ist der Normalzustand. Hinzu kommen [insbesondere im Fleischgewerbe; W.W.] zahlreiche Schnittverletzungen, aber auch wiederholte und hartnäckige Infekte durch mangelhafte hygienische Zustände in den Unterkünften und durch gesundheitswidrige Bedingungen an den Arbeitsplätzen.[…] Wenn nicht wirklich schnell gehandelt wird, ist eine massenhafte Ansteckung mit zahlreichen schweren und auch tödlichen Verläufen nicht mehr aufzuhalten.“[21] Zu fordern sind von den Unternehmen und den Behörden umfassende und wirksame Maßnahmen zum Schutz der Arbeitsmigranten in der aktuellen Corona-Krise.

  • Hilfsprogramm für das kleine Gewerbe, für Künstlerinnen und Künstler und Projekte solidarischer Hilfe

In den Bereichen Kunst und Kultur sind laut Angaben des Verbands deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS) in Verdi 1,4 Millionen Menschen, darunter rund 500.000 „Soloselbständige“ beschäftigt. 90 Prozent dieser Menschen leben von Einkommen, die deutlich unterhalb des Durchschnitts und bei netto 1000 Euro monatlich liegen. Einem großen Teil dieser Menschen bricht mit der Corona-Epidemie die Existenzgrundlage zusammen, da Veranstaltungen nicht mehr stattfinden und der Kulturbetrieb faktisch für Monate einen kompletten Shutdown erlebt. Der VS hat einen Forderungskatalog entwickelt (u.a. zur Bildung einer Notfallkasse für existentiell bedrohte Kulturschaffende und -Betriebe; die kurzfristige und bezüglich Beitragszahlungen prozentual an das Einkommen geknüpfte Einrichtung einer Arbeitslosenversicherung für selbständige Künstlerinnen und Künstler), dem die öffentliche Hand gerecht werden muss.[22]

  • Hilfsprogramm für die Flüchtlinge auf den griechischen Inseln und an der türkisch-griechischen Grenze

Die Lage auf den griechischen Inseln mit großen Ansammlungen von Geflüchteten hatte sich in den ersten Wochen des Jahres 2020 bereits enorm zugespitzt. Mit der Corona-Epidemie werden die Verhältnisse dort nochmals kritischer. Es ist verantwortungslos in genau dieser Situation die nationalen Grenzen hochzuziehen und die Menschen dort – und nicht zuletzt das EU-Mitgliedsland und Euroland Griechenland – im Corona-Regen stehen zu lassen. Die Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel: „Die Bundesregierung und die Europäische Union sind hier in der Pflicht, gemeinsam mit internationalen Hilfsorganisationen sofort Abhilfe zu schaffen. Durch die katastrophale Situation der Menschen in dem Lager gehören viele zu einer Risikogruppe. Eine massive Verbreitung des Corona-Virus auf den griechischen Inseln muss verhindert werden. DIE LINKE teilt den dringenden Appell von ‚Ärzte ohne Grenzen‘, die EU-Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln zu evakuieren, sobald es die Corona-Eindämmung zulässt, damit es nicht zu noch mehr Opfern unter den 42.000 Asylsuchenden auf den griechischen Inseln kommt. Darüber hinaus muss endlich eine gesamteuropäische humane Flüchtlingspolitik umgesetzt werden, die großzügige Resettlement-Programme, rechtsstaatliche Asylverfahren und humanitäre Lösungen beinhaltet.“[23]

  • Direkthilfe für Italien

Es war überraschenderweise der langjährige, ehemalige Chef des Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, der am 19. März in einem Interview mit dem Deutschlandfunk, mehrmals von einem überraschten Interviewer unterbrochen, forderte: Deutschland möge eine Soforthilfe „als Geschenk“ in Höhe von zunächst 20 Milliarden Euro an Italien gewähren. Das Land befinde sich „in großer Not“. Auf die Zwischenfrage des Interviewers, ob denn so etwas „für die Steuerzahler vermittelbar“ wäre, antwortete Sinn: „Das ist sehr wohl vermittelbar und jetzt dringend notwendig.“[24]

Es ist hier nicht der Ort, über die zersetzenden neoliberalen Politikvorschläge zu debattieren, die derselbe Mann viele Jahre lang vorgetragen hat. In der aktuellen Stunde hat er mit seinen zitierten Forderungen absolut Recht. Wobei es sicherlich noch weit mehr Möglichkeiten für eine direkte Hilfe für Italien gibt. Frankreich nahm beispielsweise bereits Patienten aus Italien in eigene Krankenhäuser auf. Noch haben wir in Deutschland freie Bettenkapazitäten. Wenn diese bei uns knapp sind, könnte es sein, dass wir froh sind, wenn andere Länder uns zu Hilfe kommen.

Eine deutsche Soforthilfe für Italien ist auch in finanzieller Hinsicht angebracht – und der von Sinn genannte Betrag wäre nur eine bescheidene Rücküberweisung angesichts der Gewinne, die die deutsche Wirtschaft im Rahmen des Euro-Regimes und als Resultat der Exportüberschüsse aus Italien bezogen hat.

Im Übrigen kann sich im Rahmen der sich weiter zuspitzenden Krise auch die Frage stellen, ob Italien auf eigenen Wunsch die Eurozone verlässt. Kommt es zu einer solchen Entscheidung der italienischen Regierung, dann darf sich die erpresserische Politik der EU und der Berliner Regierung, wie sie 2015 gegenüber Griechenland praktiziert wurde, nicht wiederholen. Vielmehr muss dann eine einvernehmliche, gemeinsam getragene Lösung für eine solchen Eurozonen-Austritt geschaffen werden. Das mag zum aktuellen Zeitpunkt überraschend erscheinen. Doch eine solche Thematik kann sich bereits in kurzer Zeit konkret stellen. Schließlich gab es die Euro-Krise 2012 bis 2015 in einer Zeit mit wirtschaftlichem Wachstum. Wir befinden uns aktuell am Rand einer neuen Euro-Krise. Und diese findet in der Zeit einer neuen schweren Wirtschaftskrise statt.[25]

  • Finanzierung eines Teils Wirtschafts- und Corona-Krise durch ein 250-Milliarden-Programm mit Sondersteuern auf hohe Einkommen, auf Gewinne und auf Vermögen – Aufhebung der „Schuldenbremse

Die neue Krise, die wir in Deutschland auf wirtschaftlichem und medizinischem, gesundheitspolitischen Gebiet erleben, ist mit erheblichen finanziellen Kosten verbunden. Dass in diesem Rahmen bereits nach wenigen Wochen die „Schuldenbremse“ von den Regierenden grundsätzlich in Frage gestellt wurde, ist grundsätzlich positiv zu bewerten. Es dokumentiert natürlich auch, dass es sich bei der Schuldenbremse und der „schwarzen Null“, wie dies unter anderem auf den NachDenkSeiten wiederholt ausgeführt wurde, um ein rein ideologisch begründetes Konstrukt handelt. Immerhin wurde die Schuldenbremse in die Verfassung aufgenommen; sie sollte ja gerade für Krisenzeiten gelten. Nun wird sie ausgerechnet am Beginn einer Krise zur Verhandlungsmasse erklärt. Bislang wirkte die Schuldenbremse als Mittel, um den Sozialstaat weiter zu demontieren. Jetzt wird sie quasi über Nacht in Frage gestellt, um massive Unterstützungsprogramme für die Konzerne und Banken zu ermöglichen.

Aktuell besteht die große Gefahr, dass die Kosten der neuen Krise erneut, wie 2008/2009, zu einem großen Teil von den kleinen Leuten bezahlt werden sollen – in Form schnell steigender Arbeitslosigkeit, Einkommenseinbußen und Sozialabbau und vermittelt über höhere Staatsschulden. Tatsächlich muss alles getan werden, damit die Krisenkosten von denen gestemmt werden, die in den vergangenen Jahrzehnten auf Kosten der Allgemeinheit riesige Gewinne gemacht und Reichtum angehäuft haben.

Notwendig sind in diesen Zeiten der Wirtschafts- und Corona-Krise Sondersteuergesetze auf Vermögen, hohe Einkommen und Gewinne in einem Volumen von 250 Milliarden Euro. Angesichts der Tatsache, dass allein die Gewinne der 100 größten börsennotierten deutschen Unternehmen 2019 bei 81 Milliarden Euro (bei einem addierten Umsatz von 1.300 Milliarden Euro) lagen und dass sich die Zahl der Euro-Millionäre im Zeitraum 2000 bis 2018 auf eine Million verdoppelt hat, erscheint ein Programm einer 250-Milliarden-Euro-Corona-Krisen-Steuer für diejenigen, die die Profiteure der Steuerreformen seit Ende der 1990er Jahre sind, mehr als angebracht. [26]

***

Die neue Wirtschaftskrise und die Corona-Epidemie stellen einen tiefen Einschnitt in unserer Geschichte dar – vielleicht ist es der tiefste seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Damals waren sich die Parteien der bürgerlichen Mitte und alle Parteien auf der Linken, SPD und KPD, einig: Nur ein Wirtschaftsmodell, das auf Demokratie und Planung basiert, hat Zukunft und verhindert eine Wiederholung des Gangs in Weltwirtschaftskrise, Faschismus, Krieg und Elend. Oder, in den Worten des CDU-Programms von Ahlen: „Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den […] sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden.[…] Durch eine gemeinwirtschaftliche Ordnung soll das deutsche Volk eine Wirtschafts- und Sozialverfassung erhalten, die dem Recht und der Würde des Menschen entspricht.“[27] Diese Feststellungen im Programm der Partei der bürgerlichen Mitte – also im Gründungsprogramm der Partei von Angela Merkel – trugen erheblich dazu bei, dass es im Grundgesetz die zitierten Artikel 14 und 15 gibt, die eine Enteignung großer Unternehmen und deren Überführung in Gemeineigentum als Möglichkeit vorsehen.

Aktuell erleben wir ein weiteres Mal wie die kapitalistische Grundordnung versagt – auf ökonomischem Gebiet und auf dem Gebiet des Kampfes gegen die Epidemie. Die einzig wirksamen Maßnahmen, die in diesen Wochen ergriffen werden, sind fast ausschließlich solche, die in Widerspruch zum „Wirken der freien Kräften des Marktes“ stehen – es sind planwirtschaftliche. Diejenigen, die den freien Markt zum Götzen erklärt hatten, betteln bereits nach wenigen Wochen Krise um Staatshilfen. Aktuell werden diese planwirtschaftlichen Maßnahmen von einer Regierung ergriffen, die sich bislang den neoliberalen Gesetzen, also dem „freien Wirken des Marktes“ verschrieben hat. Und zweifellos werden sie von diesen Personen nicht aus innerer Überzeugung ergriffen, sondern als Resultat von Not und äußerem Zwang, wobei diese Personen aufs Engste mit den Kapitalinteressen und den Privatisierungsprojekten verbunden sind. Wenn es also einen wirksamen Kampf gegen den Strudel der neuen Krise und gegen die Corona-Epidemie geben soll, dann wird es darauf ankommen, dass solche Maßnahmen auf demokratischer Grundlage, getragen von einer breiten Mehrheit in der Bevölkerung, durchgesetzt werden.

Das würde im Übrigen durchaus der Grundstimmung in der deutschen Bevölkerung entsprechen. Am 25. Februar 2020 – von Corona-Krise war damals noch kaum die Rede – konnte man in der Frankfurter Allgeneinen Zeitung auf einer kompletten Seite unter der Überschrift „Kapitalismus am Pranger“ lesen: „Die Löhne sind hoch, die Arbeitslosigkeit ist niedrig, der Sozialstaat wächst. Trotzdem glaubt mehr als jeder zweite Deutsche, dass der Kapitalismus mehr schadet als nutzt.“

Anmerkungen

[1] Siehe. Z.B. das Interview mit Robert Shiller „Die Rezession wird kommen“, in: Handelsblatt vom 4. Dezember 2019. Siehe Lunapark21, Heft 44, Dezember 2018, „Warten auf den großen Knall – Die Weltwirtschaft Anfang 2019 – ein gewaltiges Krisenpotential“, Seiten 28-35; und Heft 47, Herbst 2019, „Die Weltwirtschaft vor der Krise. China wird es nicht nochmals richten“, Seiten 20-33.

[2] „The JP Morgan Global Manufacturing PMI […] fell to 50,1 in December, from 50,3 in November, to remain only marginally above the 50.0 waterline that separates expansion from contraction. PMI reading signalled contractions in the intermediate and investment good sectors, with rates of deterioration accelerating in both cases. This reflected ongoing downturns in output and new orders in these industries.“ Nach: JP Morgan, 2 January 2020.

[3] Quellen: Organisation International des Constructeurs d´Automobiles (OICA); für 2019 = aktuelle Berichte (Stand: 18.3.2020). Es wurden die Angaben für die Pkw-Produktion – anstelle der Kfz-Fertigung – gewählt (in den USA = „Light Vehicles Production“ (was die SUV, die dort als Lkw gewertet werden, einschließt). Bei Einschluss der Nutzfahrzeuge ist die zyklische Bewegung – nach oben und unten – abgeschwächt. In China stieg z.B. der Absatz von Nutzfahrzeugen 2019 nochmals an, was den zyklischen Abschwung des gesamten Fahrzeugbaus abmildert.

[4] Im Nachgang zur letzten Weltwirtschaftskrise gab es im Kulturbetrieb ein kleines Aufblitzen von radikaler Kapitalismuskritik, als der „gesichtslose“ Sänger und Liedermacher Peter Licht durch Talkshows geisterte – unter anderem mit dem „Lied vom Ende des Kapitalismus“. Darin heißt es: „Der Kapitalismus / Der alte Schlawiner / is uns lange genug auf der Tasche gelegen / Vorbei vorhorbei vorbei vorbei / Jetzt isser endlich vorbei […] Is auch lang genug gewesen / Is auch lang genug gewesen / Hast du schon gehört jetzt isser / endlich vorbei.“ CD „Ende des Kapitalismus“.

[5] Angaben zu den Epidemien zusammenfassend nach Wikipedia; Angaben zu 1918-1920: Die Welt vom 6.6.2018 und Jürgen Kuczynski, Die Lage der Arbeiterklasse 1917-1933, Berlin (Akademie-Verlag) 1966, S.4ff. Angaben zu 1957/58: swr Archiv-Radio Sendung vom 16.10.1957. Angaben zur wirtschaftlichen Entwicklung nach den Statistischen Jahrbüchern der Bundesrepublik Deutschland.

[6] In einem aktuellen, interessanten und faktenreichen, aus dem Chinesischen übersetzten Text werden die Erfolge in China u.a. auf Basis eines Heeres von „Barfußärzten“ und auf den Gebieten der Gesundheitsversorgung und Entwicklung der Lebenserwartung bis Ende der 1990er Jahre hervorgehoben. Um dann fortzufahren wie folgt: „Seitdem haben Nachlässigkeit und Privatisierung dieses System erheblich verschlechtert, und zwar genau zu dem Zeitpunkt, als die rasche Verstädterung und die unregulierte industrielle Produktion von Lebensmitteln eine umfassende Gesundheitsfürsorge erst recht notwendig gemacht hätten. […] Heute gibt China nach Angaben der WHO 323 USD pro Kopf für öffentliche Gesundheitsversorgung aus. Diese Zahl ist selbst im Vergleich zu anderen Ländern mit »oberem mittlerem Einkommen« niedrig: ungefähr die Hälfte von dem, was Brasilien, Belarus und Bulgarien ausgeben. […] Die Folgen bekommen dabei vor allem die Hunderte von Millionen von WanderarbeiterInnen zu spüren, die jedes Recht auf eine medizinische Grundversorgung verwirken, wenn sie ihr Heimatdorf verlassen.“ Siehe: Soziale Ansteckung. Mikrobiologischer Klassenkampf in China, in: https://www.wildcat-www.de/aktuell/a112_socialcontagion.html

[7] Lunapark21 widmete ein komplettes Heft diesem Thema (LP21 Heft 22, Sommer 2013) mit wichtigen Beiträgen von Daniel Behruzi. In Heft 40 gingen Patrick Schreiner und Kai Eicker-Wolf im Rahmen des 2Märchen des Neoliberalismus“ auf diesen zerstörerischen Prozess mit den „blutigen Entlassungen (aus dem Krankenhaus)“ ein. D. Behruzi ging in einem weiteren Beitrag in Heft 43 (Herbst 2018) auf die Misere im Gesundheitssektor ein. Volker Lösch inszenierte zusammen mit Beschäftigten der Berliner Charité am 13. September 2018 ein „Gesundheitstribunal“. Hierüber berichte Urs-Bonifaz Kohler in LP21 Heft 43, Herbst 2018.

[8] Rundschreiben der beiden genannten Filmemacher vom 17. März 2020. Siehe: www.der-marktgerechte-patient.org | www.kernfilm.de

[9] Mehr als jede zweite Klinik sollte schließen, Bericht in: Manager Magazin vom 15. Juli 2019.https://www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/bertelsmann-jedes-zweite-krankenhaus-sollte-schliessen-a-1277356.html Antwort Spahn nach: Ärzteblatt vom 16. Juli 2019. Siehe: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/104668/Debatte-um-Studie-zu-Krankenhausschliessungen-geht-weiter

[10] „Ich bin kein Freund des Lockdown. Wer so etwas verhängt, muss auch sagen, wann und wie er es wieder aufhebt“, sagte Montgomery im Interview mit der der Düsseldorfer „Rheinischen Post“ am 18. März 20230. Weiter: „Da wir ja davon ausgehen müssen, dass uns das Virus noch lange begleiten wird, frage ich mich, wann wir zur Normalität zurückkehren?“ Man könne doch nicht Schulen und Kitas bis Jahresende geschlossen halten. Denn so lange werde es mindestens dauern, bis man über einen Impfstoff verfüge, betonte Montgomery. Italien habe ein Lockdown verhängt und habe einen gegenteiligen Effekt erzielt. „Die waren ganz schnell an ihren Kapazitätsgrenzen, haben aber die Virusausbreitung innerhalb des Lockdowns überhaupt nicht verlangsamt.“ Ein Lockdown sei eine politische Verzweiflungsmaßnahme, weil man mit Zwangsmaßnahmen meint, weiter zu kommen, als man mit der Erzeugung von Vernunft käme. Kritisch äußerte sich Montgomery zu den von der Bundesregierung angeordneten Grenzschließungen. „Ich glaube nicht, dass die Grenzschließungen das Virus aufhalten können. Das ist politischer Aktionismus.“

[11] Zitiert in: Süddeutsche Zeitung vom 14. März 2020. Die EZB hat am 19. März ein neues „Notkaufprogramm“ in Höhe von 750 Milliarden Euro zum Aufkauf von staatlichen und kommerziellen Papieren angekündigt und aufgelegt. Sie scheint damit ihren Kurs zu revidieren. Explizit sollen „auch griechische Papiere“ aufgekauft werden – was natürlich vor allem heißt, dass nun auch Stützungskäufe für italienische Anleihen stattfinden. Diese Korrektur erfolgt sehr spät. Man wird sehen, ob die EZB diesen neuen Kurs dann durchhält, wenn es zum Sturm der Finanzmärkte auf die Papiere einzelner „schwacher“ Länder, vor allem zur Spekulation gegen Italien, kommt.

[12] Naomi Klein, Coronavirus is the perfect disaster for „disaster capitalism“, 13. März 2020 (www.vice.com/…)

[13] Michael Moore damals, 2009: „Die Produkte, die in den Fabriken von GM, Ford und Chrysler hergestellt werden, gehören zu den größten Massenvernichtungswaffen. Sie sind verantwortlich für die globale Erwärmung und das Abschmelzen der Polkappen. Was wir „Autos“ nennen, macht sicher Spaß beim Fahren, aber sie sind wie eine Million Dolche ins Herz von Mutter Natur. Sie weiter zu bauen bedeutet den Untergang unserer Art und eines großen Teils dieses Planeten.“ Hier nach: Die Welt vom 3. Juni 2009.

[14] Der Spiegel vom 1. Juni 2009. https://www.spiegel.de/wirtschaft/gm-insolvenz-obama-verteidigt-den-massiven-staatseingriff-a-627965.html

[15] Das zuständige baden-württembergische Sozialministerium räumt ein, dass die Laboruntersuchungen ´teilweise mehrere Tage in Anspruch nehmen´. Viele Labore im Land seien ´an der Kapazitätsgrenze angelangt´“. Bericht Süddeutsche Zeitung vom 19. März 2020.

[16] Der Standard vom 16. März 2020. https://www.derstandard.de/story/2000115776404/hotspot-ischgl-gier-und-versagen-in-tirol

[17] https://www.gemeingut.org/gib-aufruf-keine-krankenhausschliessungen/.

[18] „Prof. Lauterbach, Gesundheitsökonom und späterer SPD-Sprecher im Gesundheitsausschuss des Bundestags, hat bereits 2003 in seinem Buch ´DRG in deutschen Krankenhäusern vorgerechnet, dass 1410 der damals 2242 Krankenhäusern und 194.000 der damals 523.114 Beten in allgemeinen Krankenhäusern überflüssig seien.“ Nadja Rakjowitz, Zur Frage der Schließung von kleinen Krankenhäusern, in: Krankenhaus statt Krankenfabrik, März 2018. Siehe: file:///C:/Users/WINFRI~1/AppData/Local/Temp/fact_sheet_kap14.pdf

[19] GM: „We produce about 1,7 million masks daily“; www.gmauthority.com vom 7. Februar 2020.

[20] Bericht in: ARD-Tagesschau vom 11. November 2019. https://www.tagesschau.de/inland/wohnungslose-anstieg-deutschland-101.html

[21] Das Werksvertragssystem – das im Übrigen Basis der Billigstfleischangebote ist – ist einzustellen. Siehe die Erklärung Peter Kossen vom 17. März 2020;

Pfarrer Peter Kossen: Arbeitsmigranten sind Hochrisikogruppe

[22] https://vs.verdi.de/themen/nachrichten/++co++4e085142-660f-11ea-9bec-001a4a160100

[23] Erklärung von Heike Hänsel, MdB DIE LINKE vom 16. März 2020; https://www.heike-haensel.de/2020/03/16/griechische-fluechtlingslager-medizinisch-gegen-corona-ausbreitung-schuetzen-und-mittelfristig-evakuieren/

[24] Sinn: „Die Italiener brauchen sicher Unterstützung. Ich habe auch vorgeschlagen, dass Deutschland zum Beispiel unilateral […] ein Geschenk von 20 Milliarden Euro für Italien auf den Tisch legt, um ihnen unsere Solidarität zu zeigen.[…] Das bisschen Geld, was diese medizinischen Maßnahmen kosten, ist doch ein Klacks. Da […] darf man an gar nichts sparen. Bevor wir jetzt Banken retten mit riesigen Geldsummen, können wir mit Bruchteilen erst mal in die Medizintechnik investieren, damit wir wirklich die Krise bekämpfen, die Corona-Krise, […] Die Prioritäten muss man einfach richtig setzen.“ Interview im Deutschlandfunk am 19. März 2020. https://www.deutschlandfunk.de/notkaufprogramm-der-ezb-sinn-ueberhaupt-keine-massnahme.694.de.html?dram:article_id=472876

[25] Siehe zu den Exportüberschüssen im Rahmen der Eurozone ausführlich: Nikos Chilas / Winfried Wolf, Die griechische Tragödie. Rebellion. Kapitulation. Ausverkauf, Wien, 3. erw. Aufl. 2019, Seiten 96ff.

[26] Angaben zu den Unternehmensgewinnen 2019: Bericht auf ntv. Vom 3. Januar 2020 auf Basis von Berechnungen des Bewertungs- und Prüfungsunternehmens EY; nach: https://www.n-tv.de/wirtschaft/Deutsche-Top-Konzerne-duempeln-durch-2019-article21487478.html Würde die gut eine Millionen Euro-Millionäre in Deutschland im Durchschnitt mit 100.000 Euro Soli-Steuer belastet, erbrächte dies bereits 100 Milliarden Euro.

[27] Das Ahlener Wirtschafts- und Sozialprogramm der CDU, 1. und 3. Februar 1949.

Winfried Wolf ist verantwortlicher Redakteur von Lunapark21 – Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie. Jüngste Publikationen: „Abgefahren. Warum wir eine neue Bahnpolitik brauchen“ (Köln 2019, PapyRossa; zusammen mit Bernhard Knierim) und „Verkehrswende. Das Manifest“ (Köln April 2020; PapyRossa; zusammen mit Carl Waßmuth).

Zuerst erschienen www.Nachdenkseiten.de