Der Crash von Credit Suisse, die lange Geschichte von Krisen und Krach und die drohende Wirtschaftskrise und Arbeitskämpfe

Am vergangenen Wochenende gab es eine ungewöhnliche Zwangsehe zwischen zwei Großbanken. Die größte Bank der Schweiz, die UBS, wurde seitens der Schweizer Regierung und der Schweizer Zentralbank (SNB) massiv unter Druck gesetzt, die Nr.2, Credit Suisse (CS), zu übernehmen – ohne dass dabei den CS-Großaktionären eine angemessene Zeit eingeräumt worden wäre für eine eigenständige Entscheidung. Die UBS zahlt für die Übernahme 3 Milliarden Schweizer Franken, was weniger als der Hälfte des Marktwertes zum gegebenen Zeitpunkt entspricht. Ergänzend erhält die UBS vom Schweizer Staat eine Garantie in Höhe von neun Milliarden Schweizer Franken und „Liquiditätshilfen“ in einer Höhe von „bis zu 200 Milliarden Franken. Die Schweizer Nationalbank wiederum gewährt ergänzend ein Darlehen in Höhe von 100 Milliarden Franken.

Die erhebliche Höhe dieser parallel ausgereichten Darlehen und sonstigen finanziellen Hilfszusagen unterstreichen die Brisanz der Angelegenheit. Die in den Grossdeal involvierten Personen aus Regierung und Nationalbank der Schweiz argumentieren offen, es sei darum gegangen, einen Flächenbrand zu verhindern. Die Regierung in Bern stand unter erheblichem Druck, die Credit Suisse zu stützen. Denn Credit Suisse ist einer der weltweit größten Vermögensverwalter und gehört zu den 30 global systemrelevanten Banken, deren Ausfall das internationale Finanzsystem erschüttern würde.

Credit Suisse – zwei Jahre Weg in den Crash

Es handelt sich um die bedeutendste Bankenfusion in Europa seit der Finanzkrise vor 15 Jahren. Sie bedeutet das Ende für die 167 Jahre alte Credit Suisse, deren Hauptsitz gegenüber der erbitterten Rivalin UBS am Zürcher Paradeplatz liegt.

Bereits im Jahr 2021 machte diese systemrelevante Großbank einen Verlust von 1,5 Milliarden Franken. Im Herbst 2022 rutschte sie in eine gefährliche Schieflage. Anleger zogen jetzt massenhaft ihre Einlagen ab. Die Verluste im Jahr 2022 kletterten auf rekordverdächtige (umgerechnet) 7,5 Milliarden Euro. Anfang März verlor das Bankhaus einen seiner Großaktionär, Harris Associates. Dieser hielt vor einem Jahr noch 10 Prozent der CS-Anteile. Die Neue Züricher Zeitung kommentierte am 6. März diesen für die CS gefährlichen Ausstieg: „Harris Associates, […] gilt als Value Investor, der auf unterbewertete Unternehmen setzt. ´Patience is key´ oder ´Geduld ist entscheidend´ schreibt Harris Associates marketingwirksam auf seiner Homepage. Jetzt ist die Geduld des US-Investors am Ende, er wollte offenbar um fast jeden Preis raus.“

Nur zwei Wochen später weigerte sich ein anderer Großaktionär, die Saudi National Bank (CS-Anteil bis zu diesem Zeitpunkt 9,8%), ihre Beteiligung an der Bank zu erhöhen. Faktisch verabschiedeten sich die Saudis damit ebenfalls von der CS. Das hatte zweifellos Auswirkungen auf den dritten wichtigen Großaktionär, auf die Qatar Holding (CS-Anteil bisher: 5 %). Einiges spricht dafür, dass am vergangenen Donnerstag auch die Kataris gedachten, bei der CS auszusteigen. Womit die letzte Stufe der Krisen-Eskalation erreicht wurde.

Allerdings schien zu diesem Zeitpunkt eine Bankenrettung durch massive Staatshilfe vorstellbar. Die Schweizerische Nationalbank erklärte am vergangenen Mittwoch zunächst allgemein, „im Bedarfsfall der CS Liquidität zur Verfügung stellen“ zu wollen. Tags daras, auf 16.3. wurde bekannt, dass sich die Credit Suisse bei dieser staatlichen Institution, also bei der Zentralbank der Schweiz, 50 Milliarden Franken leihen wolle. Worauf es zunächst sogar zu einem Anstieg des CS-Aktienkurses kam. 

Die Credit Suisse verwaltete Mitte 2022 noch ein Vermögen von umgerechnet mehr als 1,5 Billionen Euro. Ende 2022 waren es bereits ein paar hundert Milliarden weniger. Die nun entstandene neue Großbank UBS mit übernommener Credit Suisse und zunächst 120.000 Beschäftigten, ist gewissermaßen eine Bank, die mehr ist als „too big to fail“. Sollte auch die UBS ins Wanken kommen – und auch das ist inzwischen nicht mehr auszuschließen – dann wären staatliche Hilfsmaßnahmen erforderlich, die die Möglichkeiten des Schweizer Nationalstaats übersteigen könnten. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die EZB bei den Debatten zur Rettung der Credit Suisse keine größere Rolle spielte. Wohl aber gan es einen engen Austausch mit US-amerikanischen Investoren und offensichtlich auch mit der Notenbank der USA, der Fed. Die Credit Suisse war – und die neue UBS ist – eng mit dem Finanzmarkt der USA vernetzt.

Und wer, bitte, ist die UBS? Kam hier wirklich ein weißer, unschuldiger Ritter, der die unrühmlich gefalllene Credit Suisse großzügig unter die Fittiche nahm?  Tatsächlich gibt es 2023 ein Spiel mit im Vergleich zur 2008er Bankenkrise verteilten Rollen. Damals schien die Credit Suisse dem Krisen-Sturm stand halten zu können. Die UBS jedoch stand vor dem Kollaps. Der Schweizer Staat musste damals die UBS auffangen und ihr faule Kredite in Höhe von 68 Milliarden Schweizer Franken abnehmen. Es wurde eine in Staatsbesitz befindliche Bad Bank gegründet mit Sitz … auf den Cayman Islands. Auch damals mussten die Zeche letzten Endes die Steuerzahlenden begleichen.

Bankenkrise in den USA

Ausgangspunkt der jüngsten Bankenkrise waren – wie 2007/2008 – die USA. Bereits am 10. März musste in Kalifornien die Silicon Valley Bank (SVB) von der Aufsichtsbehörde geschlossen werden. Verluste in Höhe von zwei Milliarden Dollar hatten sich angehäuft, einen „Bank-Run“ ausgelöst und die Aktien des Instituts um 80 Prozent schrumpfen lassen. Das Institut gehörte zu den 20 größten US-Banken; seit 2018 ist die SVB auch in Deutschland vertreten. Nur wenige Stunden nach der SVP-Insolvenz ging eine zweites Finanzinstitut, die Signature Bank,  in die Insolvenz. Seit dem vergangenen Wochenende und bis Anfang dieser Woche, Montag dem 20. März, ist mit der First Republic ein weiteres Institut ins Krisen-Kreuzfeuer gerückt. Dies geschah, obgleich zuvor elf Großbanken 30 Milliarden Dollar aufgehäufelt hatten, um die stützend bei der First Republic anzulegen. Inzwischen bildete sich eine „Koalition“ – oder sollte man sagen: ein Erpresser-Clan? – von mehr als hundert mittelgroßen Banken. Diese sehen sich einer gefährlichen Kundenflucht, bei der Anleger ihre Gelder dort abheben und zu Großbanken transferieren, gegenüber. Sie fordern vom Staat für die nächsten zwei Jahre eine Komplettgarantie für sämtliche Einlagen. Wie dramatisch und zugleich entlarvend die Lage ist, zeigt der Umstand, dass sich das Weiße Haus in engen Gesprächen mit dem Vielfach-Milliardär Warren Buffet begeben hat. Buffet hatte 2008 die Großbank Goldman Sachs mit einer Kapitalinjektion von 5 Milliarden Dollar aus einer Schieflage gerettet. 2011 stützte er die kriselnde Bank of America. Wobei sich beide Interventionen für sein Fonds Berkley Hathaway als äußerst lukrativ erwiesen hatte. Jetzt also stecken der 79jährigen Joe Biden und der 93jährige Warren Buffet die Köpfe zusammen, um ein bisschen die Welt und vor allem die eigene Klasse zu retten.

Die Dynamik der aktuellen Bankenkrise

Anders als 2008, als es einige Wochen dauerte, bis die Lehman Brothers-Pleite nach Europa schwappte, dauert es 2023 nur wenige Stunden, bis die Bankenkrise in Kalifornien die europäische Finanzwelt erschütterte – zunächst in Form eines Einschlags in der eidgenössischen Bergwelt. Tatsächlich sind im Verlauf der letzten sieben Börsentage die Aktien aller großen europäischen Banken massiv unter Druck geraten. Und es dürfte nur wenige Tage dauern, bis auf diese Weise die nächste Schwachstelle im Finanzsystem identifiziert wird. Warum nicht in Italien die Unicredit oder dort der chronische Bankenkrach-Kandidat, die Banca Monte dei Paschi di Siena? Warum nicht die seit Jahren angeschlagene Deutsche Bank? Warum nicht eine der Großbanken in Spanien, die dort weiterhin im hochspekulativen Immobiliensektor engagiert ist? Warum nicht eine der britischen Großbanken? Gab es nicht bereits im November 2022 im Vereinigten Königreich eine Situation, wo die Bank of England intervenieren musste, um große Pensionsfonds vor dem Absturz zu retten. Diese sahen sich – ähnlich wie in den letzten Wochen die Silicon Valley Bank! – zu einem Notverkauf von niedrig verzinsten Staatsanleihen gezwungen und gerieten durch die damit erlittenen Kursverluste in Schieflage.

Das Blatt Wirtschaftswoche kommentierte bereits den Zusammenbruch der Silicon Valley Bank wie folgt: „Genau vor einer solchen Situation fürchten sich Finanzaufseher seit Jahren, weil Notverkäufe Bankkunden in Panik versetzen und ein Institut blitzartig in Schieflage bringen können. Aus einer solchen Situation kann eine Gefahr für das gesamte Finanzsystem erwachsen.“

Allgemeine Krisentendenzen, durch Bankenkrise verstärkt

Tatsächlich ist der Ausgangspunkt, der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank, ein Lehrstück. Nicht wegen der Art des Kollapses: Die Manager dieser Bank haben vieles richtig und eher wenig falsch gemacht. Nicht wegen der Pleiten von Silicon Valles und Credit Suisse.  Ob sich diese aktuelle Bankenkrise zu einem weltweiten Finanzkrach ausweitet oder ob die Eindämmung gelingt, kann nicht vorhergesagt werden. Die anarchischen Kräfte, die in der kapitalistischen Ökonomie und im Überbau – Massenpsychologie eingeschlossen – eine Rolle spielen, ermöglichen keine exakte Aussagen zum Zeitpunkt des Eintretens von Krisen. Bereits Bertolt Brecht wusste: „Die Herren von den  Konjunkturforschungsinstituten, die doch über genaue Notierungen auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Erscheinungen verfügten, zeigten ihren Kopf nur dadurch, dass sie ihn schüttelten.“

Ein Lehrstück sind die aktuellen Krisentendenzen jedoch hinsichtlich des Rahmens, in dem sich all dies abspielt und hinsichtlich des geschichtlichen Hintergrunds.

Die Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1933 schien nach dem Zweiten Weltkrieg eine Angelegenheit zu sein, die sich nie mehr wiederholen würde. Drei Jahrzehnte lang, bis zu einer ersten internationalen Krise 1974/75, schien die kapitalistische Weltwirtschaft stabil. Und auch diese Krise und die folgende Rezession 1980-82 wurden als Ausnahmen vom der Regel interpretiert, weil ihnen jeweils ein massiver Anstieg des Ölpreises voranging, weswegen man auch von der „Ölkrise 1973“ und der „Rohstoffpreiskrise 1980“ sprach. Was selbst noch bis Mitte der 1980er Jahre als absolut ausgeschlossen alt, war, ein neuer Börsenkrach. Bis es selbst einen solchen am 19. Oktober 1987 gab.

Nun befindet sich das kapitalistische Weltsystem seit den 1980er Jahren in einem Krisenmodus, der an den Kapitalismus des 19. Jahrhunderts und den der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erinnert. Es gibt rückläufige Profitraten – als Ergebnis des immer höheren Kapitaleinsatzes. Das wird ergänzt um eine zurückbleibende kaufkräftige Nachfrage – als Ergebnis des Drucks auf die Arbeitseinkommen und der Existenz riesiger Heere von Erwerbslosen und Verarmten. Es kommt zu einer relativen Deindustrialisierung in Nordamerika und Westeuropa und zu einer Jagd des Kapitals nach neu Verwertbarem: im Binnenmarkt in Form von Privatisierungen im Gesundheitssektor, bei Bahn, Post, Energie, in der Pflege. Auf den äußeren Märkten mit der Jagd um den Globus, mit Enteignung von Kleinbauern, Landgrabbing und Anbau von agrarischen Kraftstoffen. Überschüssiges Kapital wird zunehmend in spekulativen Bereichen angelegt: im Immobiliensektor, in Kryptowährungen, in Luxusgütern und Kunst – und natürlich an den Börsen. Besonders pervers: Aktiengesellschaften investieren in den Kauf eigener Aktien. Allein die 500 größten US-Unternehmen gaben 2022 mehr als ein Billion Dollar für den Kauf eigener Aktien aus. Damit werden die Aktienkurse zusätzlich und künstlich angeheizt. Die Boni der Manager, die meist an den Aktienkurs gekoppelt sind, werden deutlich gesteigert.

Eine große Rolle spielt auch das Wagnis-Kapital: Man investiert – meist gebündelt über Kapitalsammelplattformen – in Start-up-Unternehmen, die oft ein Jahrzehnt lang Verluste machen, deren Börsenwert jedoch im allgemeinen Boom hochgezogen wird, sodass sich das Investment lohnt – solange die Aktienkurse nicht fallen. Die Silicon Valley Bank hatte vor allem Kredite an Start-up-Firmen ausgereicht.

Nun bilden sich in all diesen spekulativen Bereichen Blasen; die Marktwerte liegen weit über den realen Werten. Dies trifft zu auf den weltweiten Immobilienmarkt. In fast allen Ländern sinken seit Herbst 2022 die Immobilienpreise. Dabei stecken in Immobilien in der Regel auch Werte, geschaffen durch menschliche Arbeit. Doch oft – so bei den zitierten jungen Unternehmen oder gar bei den Kryptowährungen – gibt es kaum oder keine realen Werte. Es herrscht das Prinzip Hoffnung. Wann dann eine solche Blase angepiekst wird und diese in sich zusammenfällt und welche Wirkungen dies auf die gesamte Blasen-Welt haben wird, kann nicht vorhergesagt werden. Sicher ist jedoch, dass es zum Platzen dieser Blasen kommt und dass dies mit gefährlichen Rückwirkungen auf die Weltwirtschaft verbunden sein wird.

Zumal die Politik der Zentralbanken zu beidem – Blasenbildung und Blasen-Pieks – beiträgt. Ein Jahrzehnt lang und bis zum Frühjahr 2022 wurde die spekulative Gesamtentwicklung von den Zentralbanken mit der Politik billiger Kredite (Nullzins-Politik) gefördert. Als ab März 2022 die US-Notenbank den Leitzins in schneller Folge um mehr als vier Prozentpunkte anhob – unter anderem begründet mit der Bekämpfung der Inflation und zur Dämpfung einer überhitzten Wirtschaft – und als alle anderen westlichen Notenbanken sich dieser Politik anschlossen, gerieten Unternehmen und private Häuslebauer wegen des steigenden Schuldendienstes in Bedrängnis. Viele Banken hatten sich, so die Silicon Valley Bank im großen Stil mit niedrig verzinsten Staatsanleihen eingedeckt. Das war eher eine konservative, risikoarme Anlagestrategie. Doch diese Papiere büßten jetzt als Ergebnis der Zinserhöhungen an Wert ein. Wer sie nun verkaufen musste, um Liquidität zu sichern, machte große Verluste.

In der aktuellen Situation werden die beschriebenen Krisentendenzen verschärft durch Verluste aus den Pandemie-Zeiten, durch unterbrochene Lieferketten und als Folge der Sanktionspolitik, bei der der russische Markt für westeuropäische Firmen plötzlich weitgehend entfällt. Hinzu kommen die – vor allem in Europa – massiv gestiegenen Energiepreise, die sich erst im weiteren Verlauf des Jahres 2023 in Gänze und dann massiv negativ auf die Nachfrage auswirken werden. Aktuell wird dies noch durch staatliche Interventionen  abgemildert. Zumal Länder wie Italien oder Österreich durchaus noch russisches Gas und Öl beziehen.

Die neuen Zeichen an der Wand

Die Weltwirtschaftskrise 2008, ausgelöst durch den Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008, kam für die meisten  Beobachter überraschend. 2023 ist die Lage eine andere. Es gibt kaum übersehbare Zeichen an der Wand, die die Gefahren für eine neue weltweite Krise deutlich machen.

Im Dezember veröffentlichte die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) eine Warnung vor weltweit „hohen Finanzrisiken“ mit „versteckten Schulden in Höhe von 80 Billionen Dollar“. Im Februar verwiesen Aktienstrategen auf den „Fear & Greed-Index“ von CNN, wonach die Stimmung in „Greed“ (Gier) umgeschlagen sei, weswegen – so die FAZ vom 11.2. – sich „die Signale für eine Überhitzung mehren“ würden.

Diverse Kryptowährungen befinden sich seit mehr als einem Jahr im freien Fall; 2022 ist der Markt für diese Kunstwährungen um 1,6 Billionen Dollar geschrumpft. Einzelne Handelsplattformen für diese Kunstwährungen mussten geschlossen werden (FTX, Celsius, TerraUSD, Luna). Der Fall des Vielfach-Milliardärs Sam Bankman-Fried, zugleich Gründer der erwähnten Handelsplattform FTX,  ist insofern interessant, weil der junge Mann, der sich gerne mit Wuschelkopf und kurzen Hosen präsentierte, bis Mitte 2022 in vielen seriösen Medien als Finanzgenie gefeiert wurde. Inzwischen gilt er der FAZ (24.11.22) als „Krypto-Kanaille“. Obgleich wegen Finanzbetrug im Gefängnis, richtet er weiter liebevolle Worte an seine Umwelt: „You were my familiy. I´ve lost that, and our old home is an empty warehouse of monitors“ – „Ihr seid meine Familie. Die habe ich verloren. Und unser altes Heim ist eine leere Lagerhalle voller Bildschirme.“ Bereits damals, vor vier Monaten, kommentierte dies die Financial Times (24.11.) weniger lyrisch mit: „Das ist eine Situation, die an Lehman Brothers 2008 erinnert.“

Und es gab noch weitere solcher Zeichen an der Wand. Im vergangenen Jahr verloren Superreiche wie Elon Musk (Tesla, USA) und Gautam Adani (Adani Group; Indien) jeder für sich mehr als 100 Milliarden Dollar. Dann gibt es inzwischen eine ganze Gruppe von Ländern, die von der Staatspleite bedroht sind. Das trifft zu auf San Salvador, Sri Lanka, Libanon, Argentinien, Laos, Pakistan und möglicherweise auch auf die Türkei. Die Risiken, die von diesen drohenden Staatspleiten für die internationalen Banken ausgehen, liegen addiert bei vielen hunderten Milliarden Dollar.

Vor allem ist China im Wortsinn keine sichere Bank mehr: Das Wirtschaftswachstum liegt auf Rekord-Tief – offiziell im Jahr 2023 gut 5 Prozent, real möglicherweise deutlich niedriger. Das ist zwar wesentlich mehr als das Wirtschaftswachstum in jedem vergleichbaren westlichen Land. Doch in den vorausgegangenen Jahren lag das Wachstum des chinesischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) meist bei 7 und 8 Prozent; die Exporte wuchsen nochmals schneller. 2022 exportierte China sogar erstmals mehr Autos als Deutschland. China wirkte damit als Lokomotive der Weltwirtschaft. Vor diesem Hintergrund wirkt der deutliche Rückgang des chinesischen Wirtschaftswachstums für die internationale Ökonomie als weiterer Krisenfaktor.

Hinzu kommt der gegen China gerichtete Handelskrieg, den die US-Regierung anführt und dem sich europäische Regierungen in wachsender Zahl anschließen. Zumal die USA mit dem im August 2022 beschlossenen Inflation Reduction Act (IRA) – einem gigantischen Subventionsprojekt im Stil von Donald Trumps Losung „Make America great again!“ – europäisches Kapital nach Nordamerika umlenken wollen. Auch das wird in China Bremsspuren hinterlassen. Hinzu kommt, dass die Bauindustrie und der Häusermarkt in China von einer Vertrauenskrise erfasst wurden. Der größte chinesische Immobilienkonzern, Evergrande, geriet in den letzten zwei Jahren ins Wanken.

Es gibt auch eine Verbindung zwischen der Bankenpleite in Kalifornien und China. Man ist verblüfft, in der Financial Times vom 13. März das Folgende zu lesen: „Die Silicon Valley Bank war insbesondere unter jungen chinesischen Biotech-Firmen, deren Operationsbasis zwischen den USA und China lag, populär.“ Die Silicon Valley Bank war auch ein Joint Venture mit der chinesischen Shanghai Pudong Development Bank eingegangen. Auch dieses Joint Venture ist nun von Abwicklung bedroht.

Krise und Arbeitskämpfe

Die Beobachtung des weiteren Verlaufs der Bankenkrise und der Börsen-Fieberkurven ist zweifellos interessant. Auch ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es zu einer neuen Wirtschaftskrise kommt – verstärkt aufgrund der Bankenkrise, aber durchaus vor allem ein Resultat des business as usual: Seit Herbst 2022 befinden sich die Frachtraten im freien Fall – das war schon immer ein wichtiger Indikator für einen Rückgang der Weltwirtschaft und oft ein solcher für eine baldige weltweite Rezession. In Deutschland sank im vierten Quartal 2022 das BIP; bei dem zu erwartenden zweiten Minus im ersten Quartal 2023 existiert – jedenfalls rein technisch gesehen – eine Rezession. Eine solche Rezession gibt es längst in einigen anderen Ländern der Eurozone, so in Finnland, in Estland, in Litauen, in Griechenland  und vor allem in Italien. Die Gefahr einer allgemeinen Wirtschaftskrise in der EU ist gegeben. Die Bankenkrise ist da „nur“ ein zusätzliches Element.

In dieser insgesamt labilen Situation sind die Arbeitskämpfe entscheidend. Diese stehen durchaus in einem Zusammenhang mit dem Geschehen an den Finanzmärkten. Die Erschütterungen an den Finanzmärkten und die absehbar neuen staatlichen Mittel, die eingesetzt werden dürften, um Banken und Unternehmen zu retten und gleichzeitig die Hochrüstung fortzusetzen, werden – zusammen mit den Kosten des Ukrainekriegs, der Inflation und des aufgrund des Zinsanstiegs steigenden Schuldendienstes (Italien!) – den Abbau der Realeinkommen beschleunigen. Massenentlassungen waren bereits vor der aktuellen Bankenkrise an der Tagesordnung (IT-Sektor, Galeria Karstadt, Ford). Allein die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS ist mit der Zerstörung von einigen Zehntausend Arbeitsplätzen verbunden.

Ein Erfolg der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften in ihren aktuellen Kämpfen in Großbritannien (gegen Einschränkungen des Streikrechts), in Frankreich (gegen das höhere Renteneintrittsalter) und in Deutschland (gegen Lohnabbau durch Inflation) sind die einzige Möglichkeit, den Generalangriff von Unternehmen, Banken und Regierungen auf die arbeitenden und erwerbslosen Klassen auszubremsen.

Bringt man die aktuellen Krisentendenzen in Verbindung mit der drohenden – und bereits eingesetzt habenden –  Klimakatastrophe, dann wird die fatale Lage der Menschheit erst recht verdeutlicht: In dieser neuen Krise werden die herrschenden Klasse und ein großer Teil der Beherrschten, zumal ihrer Vertretungen in Form von Gewerkschaften, vor allem auf neues Wachstum hoffen (und oftmals „Konjunkturhilfen“ zur Herbeiführung von neuem Wachstum fordern).  Genau dies jedoch ist die falsche Arznei – damit werden, wenn so pauschal erhofft und gefordert, noch mehr klimaschädigende Emissionen produziert. Dabei ist Wirtschaftswachstum eine dem Kapital inhärente Tendenz. Nur eine Bewegung, die die Fesseln dieser Wirtschaftsweise abstreift und auf ein solidarisches Zusammenleben in Nord und Süd abzielt und eine immense Kraftanstrengung unternimmt, um den materiellen Ressourcenverbrauch radikal zu senken, ist in der Lage, einen Ausweg aus diesem Dilemma zu finden.

Winfried Wolf ist Chefredakteur von Lunapar21 – Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie (www.lunapark21.net). Er verfasste Bücher zu den Wirtschaftskrisen 1974/75 („Ende der Krise oder Krise ohne Ende“; zusammen mit Ernest Mandel; Wagenbach 1979), zum Börsenkrach 1987 („Cash, Crash & Crisis“; zusammen mit Ernest Mandel; Rasch und Röhring; 1988) und zur Krise 2008 („Sieben Krisen – ein Crash“; Promedia 2009).