Ein Standardargument derjenigen, mit denen wir gemeinsam für eine überzeugende Klimapolitik kämpfen, lautet: den Straßengüterverkehr auf die Schiene verlagern! Es gab in Westdeutschland auch mal einen SPD-Verkehrsminister mit Namen Georg Leber, dessen ständig wiederholte, einprägsame Forderung lautete: „Güter gehören auf die Schiene“. Einmal abgesehen davon, dass die Verkehrspolitik in dessen Amtsjahren 1966 bis 1972 in krassem Gegensatz zu dieser Forderung stand, ist erkennbar: Damals wäre eine solche Forderung noch umsetzbar gewesen. Auf der Schiene wurden damals fast ebenso viele Güter transportiert wie mit Lkw im Fern- und Nahverkehr (siehe Tabelle, dort die Zahlen für 1967).
Heute haben wir völlig andere Verhältnisse. Die Transportleistung auf der Straße ist vier Mal größer als diejenige im Schienenverkehr. Würde man einen großen Teil des Güterverkehrs auf die Schienen verlagern, so müsste man mindestens drei Mal so viele Güterzüge fahren wie bisher und das Schienennetz dafür massiv ausbauen. Was wiederum mehr als zwei Jahrzehnte Zeit in Anspruch nehmen würde.
Doch auch hier gilt, was ich vor zwei Wochen in meinem RailBlog zum Personenverkehr schrieb: Das oberste Ziel ist nicht „Verkehrt (Transporte) verlagern“, sondern „Transporte vermeiden“. In der vorletzten Zeile der Tabelle finden sich die Tonnen-Kilometer pro Person in den Jahren 1967, 1990 und 2019. Also die Transportleistung, die auf je einen Mensch in Westdeutschland im Jahr 1967 und 1990 und auf einen Mensch im vereinigten Deutschland im Jahr 2019 entfiel. Diese Leistung hat sich im gesamten Zeitraum fast verdreifacht. Selbst im Zeitraum 1990 bis 2019 gab es noch eine Steigerung um knapp 80 Prozent (79,2%). Doch im gleichen Zeitraum gab es keine qualitative Verbesserung des Lebensstandards. Ein großer Teil dieses Güterverkehrs ist künstlicher, inflationärer, unnötiger Verkehr. Wenn wir heute im Jahr zehn Mal mehr Pakete empfangen als vor 25 Jahren, dann ist dies vor allem ein Ergebnis der Privatisierung der Post, der Liberalisierung der Lieferdienste, der Verbilligung dieser Transporte aufgrund von Dumpinglöhnen usw.
Und dann gibt es die Globalisierung, die zu absurden „Lieferketten“ führte, wo viele Produkte, bevor sie an den letzten Kunden gelangen, Zehntausende Kilometer zurücklegten – was wiederum Ergebnis des Dumpings der Transportkosten und der Externalisierung vieler Umweltkosten ist (z.B. solche Kosten im Fall der Elbvertiefung in Hamburg, wobei hier die direkt anfallenden Kosten die Steuerzahlenden stemmen und indirekten Kosten wie wachsende Gefahren bei der Dammsicherheit im oberen Elbeverlauf erst später auftreten). Hinzu kommt, dass mindestens 15, eher 20 Prozent der Transporte völlig unsinnig sind, so wenn Deutschland ähnlich viel Zucker und Tierfutter exportiert wie unser Land Zucker oder Tierfutter importiert. Es gibt enorme Transporte (= Exporte) bayerischer Milch nach Italien und umgekehrt Transporte (= Importe) von italienischer (meist südtiroler) Milch nach Deutschland.
Am Beginn einer Planung für einen nachhaltigen Transportsektor muss also eine Analyse dessen stehen, was da alles transportiert wird. Sodann ist zu prüfen, wie die unnötigen Transporte durch Regulierung (einschließlich einer Verteuerung der Transporte) vermieden werden können. Erst dann geht es darum, verbliebene Transporte auf das Binnenschiff und die Schiene zu verlagern. Wobei natürlich beim Vermeiden und Verlagern ein Rad ins andere greift und es sich um parallele Prozesse handelt.
Der notwendige Ausbau der Schiene dürfte sich dann in engeren Grenzen – geschätzt plus 35-40 Prozent – halten.
Tabelle: Gütertransporte in Westdeutschland bzw. Gesamtdeutschland 1967, 1990 und 2018 (Transportleistung in Milliarden Tonnenkilometer – tkm) – absolut und pro Kopf)
* = BRD (Westdeutschland) ** Gesamtdeutschland *** Gesamter Lkw-Verkehr
Zuerst erschienen im RAIL BLOG von „Bürgerbahn – Denkfabrik für eine starke Schiene“