Ex-SBB-Chef Weibel mit offener Kritik am Kurs der DB
Am 4. März teilte der Bahnbeauftragte der Bundesregierung, Michael Theurer mit, der Deutschlandtakt könne erst im Jahr 2070 umgesetzt werden – anstelle von 2030.
Dabei heißt es im Koalitionsvertrag der Ampel unzweideutig:
„Wir werden den Masterplan Schienenverkehr weiterentwickeln […] und die Verkehrsleistung im Personenverkehr [bis 2030] verdoppeln. […] Wir werden die Umsetzung eines Deutschlandtaktes […] absichern.“
Ein wesentlicher Grund für die Absage an einen baldigen Deutschlandtakt – und damit für die Aufgabe des Ziels „Verdopplung des Schienenverkehrs bis 2030“ – ist die im September 2022 erstmals verkündete „Generalsanierung“ des Schienennetzes.
Um dies nochmals ins Gedächtnis zu rufen: Dabei soll ab 2024, beginnend mit der Riedbahn zwischen Frankfurt/M. und Mannheim, in jedem Jahr mindestens ein großer „Schienenkorridor“ für fünf bis sechs Monate komplett gesperrt werden. Es gibt dann sechs Jahre lang – bis einschließlich 2030 – halbjährige Komplettsperrungen von Hauptstrecken.
Wir als Bürgerahn veröffentlichten noch im November eine umfangreiche Studie, in der wir die „Generalsanierung“ als „Generalunsinn“ bezeichneten.
Nun ist uns ein europaweit berühmter, echter Profi zur Seite gesprungen. Benedikt Weibel, der im Zeitraum 1993 bis 2006 Generaldirektor der SBB war, sagte vor wenigen Tagen in einem Interview:
„Diese Korridorsanierungen [in Deutschland; W.W.] sind selbstmörderisch. Dazu sind diese Strecken viel zu wichtig für den Verkehr. Ich kenne keine Bahn, die vollständig über Monate sperrt. Richtig wäre es, diese Strecken im laufenden Betrieb zu sanieren.“1
Weibel machte in diesem Interview zwei andere wichtige Aussagen. Die erste lautet:
„Jeder große Ausbau des Schienennetzes braucht mindestens 25 Jahre. Das kommt eh zu spät mit Blick auf das Klima. Wir müssen deshalb die Bestandsnetze besser auslasten.“
Diese Feststellung ist ein klares Nein zu den mehr als ein Dutzend Großprojekten, die die Deutsche Bahn aufs Gleis setzen will. Und die sie im Übrigen in den letzten Jahren immer damit begründete, diese seien jeweils „notwendig für den Deutschlandtakt“. Jetzt soll es den Deutschlandtakt erst für eine nächste Generation geben. Aber die Großprojekte werden weiter betrieben.
Dann wurde Weibel direkt gefragt, was er als potentieller Chef der DB „als Erstes tun“ würde, „um den Konzern aus der Krise zu führen“. Seine Antwort:
„Ich würde als erstes eine schonungslose, umfassende Lageanalyse über den Zustand des Netzes machen. Denn eine der Ursachen des katastrophalen Zustandes ist, dass man den Unterhalt […] des Netzes seit Jahrzehnten vernachlässigt hat. […] Sie müssen haargenau wissen, […] wo sind die Schwachstellen. […] Die Kunst ist, wie ich mit möglichst wenig möglichst viel herausholen kann.“
Auch das deckt sich mit unseren Vorschlägen. Wir definierten drei Dutzend „Flaschenhälse“. Wir berechneten, wie viel aufzubringen sein würde, um diese zu beseitigen.
Das Ergebnis: Mit einem Bruchteil dessen, was die DB für die Großprojekte ausgibt, könnte man diese „Flaschenhälse“ (z.B. eingleisige Teilstücke oder Elektrifizierungslöcher) beseitigen. Der Zeitaufwand läge auch bei zwei bis drei Jahren – anstelle zehn und zwanzig Jahre bei den Großprojekten. Und die positiven Effekte würden die Fahrgäste und auch die Bahnbeschäftigten in recht kurzer Zeit registrieren.
Doch all das soll nicht sein. Die Top-Leute im Bundesverkehrsministerium und an der Bahnspitze wollen Milliarden bewegen und orientieren auf eine Zeit, in der sie nicht mehr für diese verantwortungslose Politik zur Rechenschaft gezogen werden können.
Sie betreiben – ob bewusst oder unbewusst – eine Politik, mit der die Schiene zerstört und die Interessen der Autokonzerne bedient werden.
1 Korridorsanierungen sind selbstmörderisch, Interview mit Benedikt Weibel in: Cicero, März 2023.