(Fragen / Antworten)
Ein Iran-Krieg erscheint möglich. Die Zeitung gegen den Krieg greift einige Argumente auf, die in dieser Situation immer wieder auftauchen und gibt Antworten.
Erste Behauptung Es handelt sich bei der Krise im Persischen Golf um einen Konflikt wie viele andere. Siehe Venezuela, Nordkorea, Syrien. Damit wird „die Staatengemeinschaft“ schon fertig werden.
Antwort: Die betroffene Region hat wie keine andere wirtschaftliche Bedeutung und zwar für die gesamte Welt. Siehe dazu unten Antwort 6. Der Iran ist mit den genannten anderen Krisenherden bereits deshalb nicht zu vergleichen, da es sich mit 81 Millionen Menschen um das bevölkerungsreichste Land der Region handelt. Die militärischen Kräfte des Landes sind wesentlich schlagkräftiger als es diejenigen des Irak beim letzten Irak-Krieg 2003 waren. Was umgekehrt heißt: Wenn die USA und ihre Verbündeten den Iran angreifen, dann werden die Opfer an Menschenleben gewaltige sein. Ein Iran-Krieg würde mit großer Wahrscheinlichkeit die gesamte Region in ein Chaos stürzen. Der fast beendete Krieg in Syrien dürfte neu aufflammen. Die Lage im Irak wird eskalieren. Dort sitzen derzeit noch Iran-Gegner und Iran-Verbündete nebeneinander in Regierung und Parlament. Der Krieg im Jemen, bei dem es derzeit Chancen auf Eindämmung gibt, würde neu angefacht. Auch gilt: Ein Iran-Krieg wäre ein Bombengeschäft – für die internationale Rüstungsindustrie, die in der Trump-Regierung direkt personell vertreten sind. Der amtierende US-Verteidigungsminister Mark Thomas Esper war z.B. bis zu seiner Amtseinführung im Juni 2019 Top-Lobbyist des US-Rüstungsriesen Raytheon. Sein Vorgänger im Amt, Patrick M. Shanahan, war zuvor Top-Mann des größten Rüstungskonzerns, von Boeing.
Zweite Behauptung: Im Iran-Konflikt stehen sich mit Donald Trump und Hassan Rohani Wild-West-Raufbolde gegenüber. Es ist schwer, hier die Verantwortung für den Konflikt zu benennen.
Antwort Nach einem 13 Jahre währenden Konflikt um ein mögliches iranisches Atomwaffen-Programm wurde im Juli 2015 mit dem Iran ein Atomabkommen geschlossen. Es trat am 16. Januar 2016 in Kraft. Das Abkommen wurde zwischen dem Iran und den USA, Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Russland und China geschlossen. Darin verpflichtete sich der Iran, Teile seines Atomprogramms so zu beschränken, dass keine Atomwaffen gebaut werden können. Im Gegenzug wurden Sanktionen gegen den Iran aufgehoben. Seither hat sich der Iran nach Feststellungen der Internationalen Atomenergiebehörde komplett an das Abkommen gehalten. Dennoch stiegen die USA im März 2018 aus dem Abkommen aus. Die US-Regierung beschloss einseitig und völkerrechtswidrig neue Sanktionen gegen den Iran. Sie zwingen seither ihre Verbündeten dazu, sich diesen Sanktionen anzuschließen. Faktisch führen die USA und mit ihnen große Teile des Westens einen Wirtschaftskrieg gegen den Iran mit weitreichenden Folgen. Die Wirtschaftsleistung (BIP) des Iran sank 2018 um 4 Prozent; sie wird 2019 noch stärker schrumpfen. Die Ölexporte schrumpften auf einen Bruchteil. Die Arbeitslosigkeit schnellt hoch auf real 25 Prozent. Die Inflation stieg auf gut 30 Prozent.
Dritte Behauptung In dem Konflikt kommt der EU bzw. der deutschen Regierung die Rolle von Statisten zu.
Antwort Das entspricht einerseits den Tatsachen. Und ist zugleich Unsinn. Richtig ist, dass die EU sich faktisch weitgehend der Politik der US-Regierung angeschlossen hat. Die westlichen Konzerne (so Renault und Peugeot, die die Autoindustrie im Iran dominierten), zogen sich aus dem Land zurück. Der deutsch-iranische Handel hat sich halbiert. Doch die EU ist als Ganzes betrachtet die größte Wirtschaftsmacht der Welt. Sie könnte den USA Paroli bieten. Doch sie versucht dies nicht einmal; sie praktiziert vielmehr Vasallentreue (siehe Seite 4 M. Massarrat). Ja, sie unterstützt in einigen Bereichen die US-Politik. Das Handelsblatt schrieb am 17.6.2019: „Seit Jahresanfang [2019] hat die Bundesregierung Rüstungslieferungen für mehr als eine Milliarde Euro an die von Saudi Arabien angeführte Allianz im Jemenkrieg genehmigt.“ Vergleichbar sind hier Großbritannien und Frankreich mit eigenen Rüstungslieferungen engagiert. Damit sind diese Länder Kriegspartei; sie sind mit gewaltigen Rüstungsexporten engagiert auf der Seite, die sich auch gegen den Iran richtet.
Vierte Behauptung: Was spricht denn dagegen, dass es einen Geleitschutz für Handelsschiffe im Persischen Golf gibt und dass sich die deutsche Marine daran beteiligt?
Antwort: Selbst der deutsche Reeder-Verband hat erklärt: Je mehr Kriegsschiffe im Persischen Golf unterwegs sind, desto größer ist die Gefahr einer Eskalation und eines Kriegs. Ein umfassender Schutz für alle Schiffe ist gar nicht möglich. Kriegsschiffe dort würden nur – zu Recht – als weitere Provokation und als potentielle Ziele für Attacken begriffen werden.
Fünfte Behauptung: Wir sollten uns in der Region engagieren – schließlich erwarten dies unsere Verbündeten dort.
Antwort: Welche Verbündeten? Es handelt sich im Fall von Saudi Arabien und den anderen Golfstaaten (Vereinigten Arabischen Emirate; Bahrain, Kuwait, Katar, Oman) um diktatorisch regierte Länder. In ihnen werden die Menschenrechte flächendeckend missachtet. Rechte für Frauen sind so gut wie inexistent. Die arbeitenden Menschen werden in großen Teil in einem Zustand gehalten, der moderner Sklaverei gleicht. In Saudi Arabien besteht mehr als ein Drittel der Bevölkerung aus „Ausländern“, in Bahrein hat die Hälfte der Bevölkerung diesen weitgehend rechtlosen Status. In Katar und in den VAE sind jeweils 90% weitgehend rechtlose Ausländer.
Sechste Behauptung: Es geht beim Iran-Konflikt wieder Mal um Öl.
Antwort: Ja und nein. Es geht im Grunde um viel mehr. Bei den USA und Großbritannien spielt Öl aus der Golfregion keine Rolle; beim Rest der EU spielt das Golf-Öl eine untergeordnete Rolle. Noch in den 1950er Jahren bezog Europa 75 Prozent seines Öls aus dieser Region, heute sind es noch 20 Prozent. Es sind vor allem Japan, China und andere asiatische Länder, die vom Golf-Öl abhängig sind. Die Kontrolle der Region durch die USA und teilweise weiterhin durch Großbritannien hat <I>geostrategische Bedeutung<I>. Wie jüngst Tom Stevenson in <I>Le Monde Diplomatique<I> (Juli 2019) es formulierte: „Die Macht der USA am Golf beruht auf der profitabelsten Schutzgeldvereinbarung in der modernen Geschichte.“ Es gibt fünf Säulen, auf denen diese Macht beruht: 1. Gibt es eine massive militärische Präsenz vor allem der USA mit rund 100.000 Militärs vor Ort und mehr als einem Dutzend Stützpunkten (und zwei britischen – einer in Bahrain und ein neuer in Duqm in Oman). 2. Die USA und Großbritannien (und danach Frankreich und Deutschland) exportieren in massivem Umfang Rüstungsgüter in die Region. Wobei Wartung des (und Ausbildung am) hochmodernen Kriegsgerät die Abhängigkeit verstärken. 3. Es existiert eine erhebliche „kulturelle Kontrolle“, indem der größte Teil der Top-Militärs der westlichen Verbündeten in den USA (v.a. West Point) bzw. in Großbritannien (Sandhurst) ausgebildet wurden. Einkauft wird in New York und London, wo auch Krankheiten behandelt werden. 4. Einen großen Teil der gigantischen Gewinne aus dem Ölgeschäft legen die Golf-Potentaten im Westen an („Petrodollars“). Als 2008 die britische Barclay-Bank vom Einsturz bedroht war, retten Katar und Abu Dhabi mit 8,1 Milliarden Pfund die Bank. Wobei auch deutsche Banken und Konzerne von den Petrodollars profitieren. 5. Schließlich existiert seit 1974 ein Geheimabkommen, wonach Saudi Arabien und die meisten anderen OPEC-Staaten alle Ölverkäufe in US-Dollar abrechnen müssen. Das Abkommen trat pünktlich nach der Aufgabe des Goldstandards des US-Dollars, was 1973 erfolgte, in Kraft. Es stellt eine Stütze für die US-Währung und damit für die US-Hegemonie dar, die kaum überschätzt werden kann.
Dieser Beitrag erschien erstmals in: Zeitung gegen den Krieg, Nr. 45, August 2019