Stoppt den drohenden Iran-Krieg – Keine deutsche Beteiligung an „Mission“ im Persischen Golf
Oft finden tiefgreifende Prozesse ihren Niederschlag in Vorgängen, die öffentlich kaum wahrgenommen werden. Als 1988 erstmals in einem Bundeswehrmanöver wieder die „Feldpost“ erprobt wurde, da war das nur ein Thema für Philatelisten: Die damalige Bundespost brachte eine Sondermarke heraus. Heute sind Hunderte Bedienstete der Deutschen Post für die Bundeswehr im Einsatz; allein 280 dort, wo die Bundeswehr jeweils im Ausland eingesetzt wird. Und egal wohin die Post geht – es gilt immer der Inlandstarif: ein Brief Rostock – Hindukusch kostet 80 Cent. Die Post ist privatisiert und eine AG? Das spielt hier keine Rolle. Es geht um den Dienst am Vaterland – um eine Dienstbarmachung für Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Als am 1. Januar 2019 ein neuer Vertrag in Kraft trat, wonach die Deutsche Bahn ab sofort ständig große Kapazitäten bereit hält, um unter anderem „9700 Soldaten und 150 Kettenfahrzeuge“ bis an die Grenzen von Russland zu transportieren, da berichteten darüber nur Insider. Als im August 2019 beschlossen wurde, dass ab dem 1. Januar 2020 alle Bundeswehrsoldaten „sowohl dienstlich als auch privat“ gratis die Züge der Deutschen Bahn benutzen dürfen, da wurde dies nur im Kleingedruckten gemeldet. Ist der Job eines gut bezahlten Berufssoldaten mehr wert als die ehrenamtliche Arbeit einer Flüchtlingshelferin? Ist die Bahn nicht eine AG, die sich aktuell in Finanznot befindet und deren knappe Kapazitäten Tag für Tag Hunderttausende Pendler in Verzweiflung bringen? All das spielt plötzlich keine Rolle. Es geht um die Hilfestellung der Bahn bei der Militarisierung der Gesellschaft und zur Umsetzung der aggressiven NATO-Politik gegen Russland.
Es war der deutsche Verteidigungsminister Volker Rühe, CDU, der 1992 sagte: „Die in vierzig Jahren gewachsenen [Friedens-] Instinkte der Menschen lassen sich nicht einfach wegkommandieren. Deswegen müssen wir Schritt für Schritt vorgehen.“ Es gehe darum „die ganze Gesellschaft auf die neuen Aufgaben [der Beteiligung der Bundeswehr an Kriegen] vorzubereiten.“ In diesem Prozess der systematischen Militarisierung der Gesellschaft gibt es die beschriebenen kleinen „Schritte“. Und es gab die großen „Schritte“: Einführung der Bundeswehr mit Grundgesetzänderung 1955/56. Beschluss der Notstandsgesetze mit möglichem Bundeswehreinsatz im Inneren 1968. Beteiligung der Bundeswehr am Nato-Angriffskrieg auf Jugoslawien 1999. Das von der Bundeswehr ausgelöste Massaker in Afghanistan 2009 (siehe Kasten auf dieser Seite). Die Zustimmung der deutschen Bundesregierung zur EU-Militärunion „PESCO“ 2017.
Trotz dieser kleinen und großen Schritte, die zur Militarisierung der Bundesrepublik Deutschland seit Jahrzehnten unternommen wurden, verfügt ein großer Teil der Bevölkerung noch immer über die „Friedensinstinkte“. Zur Beförderung der weiteren Militarisierung ist daher die Militarisierung der Parteienlandschaft wichtig. Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl sagte 1999, dass die deutsche Beteiligung am Kosovo-Krieg nur möglich war, weil SPD und Grüne die Regierung gebildet hatten. Ein CDU-Kanzler hätte „sowas“ nicht durchsetzen können. Recht hatte der Mann. Und eine Beteiligung der Bundeswehr an einer „Mission“ zum „Schutz von Handelsschiffen im Persischen Golf“ ist aktuell nur möglich, wenn sich Parteien, die nicht mit Militarismus gleichgesetzt werden, für ein solches Abenteuer aussprechen. Just dies wurde vor wenigen Wochen erreicht. „Grüne machen sich locker für neuen Militäreinsatz“, titelte am 6. August die „Taz“. Der außenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Omid Nouripour, und die Grünen-Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck sprachen sich für eine deutsche Teilnahme an einer solchen „Mission“ im Persischen Golf aus. Einzige Bedingung: Diese dürfe „nicht unter amerikanischer Führung“ stattfinden, es müsse eine „europäische Mission“ sein. Dabei ist ein möglicher Einsatz von deutschen Soldaten im Mittleren Osten – und damit potentiell in einem kommenden Iran-Krieg – eine Sache. Vor dem Hintergrund der wankenden GroKo geht es aber um etwas ganz anderes: um die Regierungsfähigkeit. In den Worten der „Taz“: „Habeck will mit Blick auf eine künftige Regierungsbeteiligung signalisieren, dass seine Partei in der Außenpolitik nicht nur mit Samthandschuhen agieren würde.“
Zwanzig Jahre nach dem Kosovo-Krieg haben wir erneut die Konstellation: Rund zwei Drittel der deutschen Bevölkerung lehnen Auslandseinsätze der Bundeswehr ab. Mehr als zwei Drittel der Bundestagsabgeordneten befürworten Bundeswehreinsätze im Ausland und sind „offen“ für eine militärische Mission mit deutschen Kriegsschiffen im Persischen Golf. Fester Bestandteil dieser politischen, militaristischen Front sind führende Unions-Politiker, darunter die Kanzlerin Angela Merkel und die neue Verteidigungsministerin und CDU-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Wenn die SPD aktuell einem solchen deutschen Militäreinsatz skeptisch gegenübersteht, dann hat dies auch mit der innerparteilichen Situation zu tun. Dennoch ist dies positiv zu werten (siehe S.4). Es muss alles getan werden, um diese SPD-Position zu stärken und zu versuchen, zusammen mit der Partei DIE LINKE, mit ansprechbaren Grünen und vor allem mit der gesamten Friedensbewegung eine gemeinsame Plattform „Nein zum Iran-Krieg“ aufzubauen.
Immer wieder wird in Analysen von Linken betont: Hinter dem Kaiser 1914 und hinter Hitler 1939 standen die Industrie und die Banken. In deren Interesse wurden diese großen Kriege geführt. Es ging um die Fortsetzung der wirtschaftlichen Expansion mit anderen – mit militärischen – Mitteln. In der aktuellen Krise wird es uns erleichtert, diesen Zusammenhang zu erklären. Der Präsident des Industrieverbandes BDI, Dieter Kempf, trat jüngst offen für eine „Beteiligung der Bundesmarine“ an einer „Schutzmission in der Straße von Hormus“ ein – und dies (laut „Berliner Zeitung“ vom 6. August 2019) mit den folgenden Worten: „Eine funktionierende Handelsschifffahrt ist für die Exportnation und das Industrieland Deutschland von herausragender Bedeutung.“ Als eine „Handelsnation“ müsse sich Deutschland bereits „aus Solidarität mit den Europäern an einer solchen Mission beteiligen“.
Erstmals erschienen in: Zeitung gegen den Krieg, Nr. 45, August 2019