Elektro-Pkw beschleunigen den Klimawandel

Webseminar von Umweltakademie München und VHS München

Hier die Aufzeichnung der etwa 2-stündigen Debatte in München auf dem YouTube-Kanal des Klimaherbstes. Der Beitrag von Winfried Wolf beginnt ab min 32.

12 Thesen

These eins

Drei Begriffsklärungen // (1) Elektromobilität ist wichtig, vernünftig und auszubauen. Siehe These 12. Es handelt sich um elektrisch geführte und zunehmend elektronisch gesteuerte Eisenbahnen, S-Bahnen, Trams. Die Besetzung des Begriffes „Elektromobilität“ für „E-Pkw-Mobilität“ ist manipulativ. (2) Wer E-Pkw sagt, muss E-Pkw meinen. Also Batterie-Pkw. Und nicht Hybrid-Pkw, die über den Lebenszyklus hinweg gerechnet faktisch mehr CO-2-emittieren als herkömmliche Pkw. (3) Die Kritik an E-Pkw gilt nicht dem Individuum, das einen kleinen E-Pkw fährt, weitgehend Ökostrom nutzt und seine Mobilität mit Öffis, zu Fuß und per Rad ergänzt. Es geht um das Gesamtsystem von E-Pkw weltweit, in der EU und Deutschland-weit als faktisch Ergänzung der allgemeinen Automobilität.

These zwei

E-Pkw belasten auch das Klima // Unbestreitbar ist längst: E-Pkw sind keine Zero-Emission-Pkw. So werden sie jedoch bezeichnet – und in Statistiken und Klimabilanzen behandelt. Strittig ist, wieviel CO-2 ein Pkw verursacht. Zur Klimabilanz eines E-Pkw gibt es ein gutes Dutzend Studien mit weitreichenden Abweichungen. Im Sinne einer konservativen Abwägung ist es naheliegend, sich auf eine aktuelle Bilanz zu beziehen, die von einem autoritativen Befürworter der E-Pkw-Mobilität stammt. Ausgangspunkt soll die Position der Bundesregierung, konkretisiert durch das Umweltbundesamt (UBA) und das Bundesumweltministerium von Ende 2019 sein. Danach gilt: „Ein heute gekauftes […] Elektroauto schneidet im Vergleich mit einem verbrennungsmotorischen Fahrzeug unter Klimagesichtspunkten besser ab – auch beim aktuellen deutschen Strommix. Im Vergleich mit einem […] Dieselfahrzeug liegt der CO-2-Vorteil bei 16 Prozent. Gegenüber einem modernen Benziner bei 27 Prozent.“ 2025 soll der E-Auto-Vorteil bei 32% bzw. bei 40% liegen. Nicht berücksichtigt sind dabei Feinstaub, Ressourcenverbrauch, gesundheitliche Schäden (Unfälle) und Lärmemission.[1]

Bestätigungen seitens des E-Pkw-„Papstes“ Kagermann, des VW-Betriebsratschef Osterloh und des VW-Konzerns.[2]

These drei

Der Strom-Mix bleibt lange stark von fossilem Strom bestimmt // Die Berechnungen von Bundesregierung und Umweltbundesamt berücksichtigen den bestehenden Strom-Mix und seine erwartete Entwicklung. Beim bestehenden Strom-Mix haben wir noch 40% Strom auf fossiler Basis. Es wird bereits schwierig sein, in den nächsten zwei Jahren den Ökostrom so zu steigern, dass der Atomstromanteil von aktuell 13% ersetzt wird. Dann hätten wir immer noch 40% Strom auf fossiler Basis. Hinzu kommt: Der Strombedarf steigt dann erheblich, wenn in großem Maßstab E-Pkw verkehren. Graichen (Agora): Eine Umstellung von Personenwagen auf elektrische Antriebe „ist mit einem Anstieg des Bruttostromverbrauchs um mindestens 20 Prozent“ verbunden.“[3]

Klimapolitik heute heißt aber: Reduktion von Strom, von Ressourcenverbrauch, von Flächenfraß usw. Mehr Strom heißt jedoch: mehr Nachfrage nach allen Strom-Arten. Siehe China These XX

These vier

Es gibt bei der E-Pkw-Debatte einen banalen Denk- und Rechenfehler // Immer wird von steigenden „Anteilen“ der E-Pkw geredet. Nie von der absoluten Zahl erstens der Pkw insgesamt und zweitens der E-Pkw. Für die Klimabelastung sind Anteile irrelevant. Es geht allein um die absoluten Summen von CO-2-Emissionen, die wiederum abhängig sind von den absoluten Summen von herkömmlichen Autos und E-Pkw.

These fünf

Blicke auf die Realität der Automotorisierung weltweit und deutschland-weit unterstreichen diese Sicht. // Nehmen wir ausschließlich die Entwicklung Anfang 2015 bis Januar 2020. WELT: 2015 gab es weltweit 1.045,7 Millionen (1 Milliarde) Verbrenner-Pkw und 1,263 Millionen E-Pkw. Der Anteil der E-Pkw an allen Pkw (= 947 Mio) entsprach 0,13%. Anfang 2020 haben wir 1.149,5 Millionen Verbrenner-Pkw und 25,5 Millionen E-Pkw. Der E-Pkw-Anteil liegt bei 2,1%.[4]

Ergebnis: Im Zeitraum 2015 bis Anfang 2020 WUCHS der Welt-Pkw-Bestand um mehr als 200 Millionen Verbrenner Pkw. Und um 24,3 Millionen E-Pkw. Die CO-2-Emissionen sind erkennbar erheblich gestiegen.

ACHTUNG: Rechnung stark beschönigend, da als „E-Pkw“ auch Hybrid-Pkw (die zwei Drittel ausmachen und real mehr Sprit verbrauchen als herkömmliche Verbrenner-Pkw) eingerechnet sind.

Für Deutschland gibt es exakte Zahlen. Sie sehen im gleichen Zeitraum aus wie folgt.

Pkw-Bestand in Deutschland im Zeitraum 1.1.2015 bis 1.1.2020[5]

Jahr Pkw-Bestand gesamt (reine) E-Pkw
E-Pkw Anteil an Gesamt-Bestand Verbrenner- Pkw
2015 44.403.000 18.948 0,04% 44.384.052
2016 45.071.000 25.502 0,06% 45.045.498
2017 45.804.000 34.022 0,07% 45.769.978
2018 46.475.000 53.861 0,12% 46.421.139
2019 47.100.000 83.175 0,19% 47.016.825
2020 47.700.000 136.600 0,3% 47.563.400
Zuwachs 3.297.000 117.652 3.179.348

Auch in München wächst die Zahl der Pkw rasant –und auch hier vor allem die der Verbrenner-Pkw. Ende 2018 waren es 608.000. Gegenüber 2015 ist das ein Wachstum von 4%. Die Bevölkerung wuchs im gleichen Zeitraum nur um 1,3 Prozent. Die Zahl der Batterie-Pkw wuchs im gleichen Zeitraum um bescheidene 2000 Einheiten – von 1515 auf 3610. Der Anteil lag 2018 bei 0,4%. [6]

Bilanz Deutschland: Im genannten Zeitraum wuchs der Bestand an Verbrenner-Pkw um knapp 3,2 Millionen und der Bestand an E-Pkw um 118.000 an. Entsprechend steigen die CO-2-Emissionen deutlich an (allein die Zahl der Verbrenner-Pkw stieg um 7,2 %).

These sechs

E-Autos sind zu einem großen Teil Zweitwagen // Die grundlegenden E-Pkw-Parameter wie geringe Reichweite, lange Ladedauer und komplizierte Ladestrukturen führten bislang dazu, dass mehr als die Hälfte aller E-Pkw Zweitwagen sind. Es sind E-Autos-Zweitwagen in Mittelstandshaushalten, die über eine Garage mit Wallbox verfügen.

Das belegen Statistiken aus Norwegen und Deutschland. Das dokumentieren E-Auto-Besitzer und diejenigen, die E-Autos propagieren. Dafür spricht auch der banale Blick auf die automobile Wirklichkeit.

These sieben

Es gibt beim E-Auto besondere Belastungen // Die Abhängigkeit von Öl (die ehe verstärkt wird: siehe das Anwachsen der Flotten) wird ergänzt um die Abhängigkeiten von ebenfalls endlichen Rohstoffen wie Kupfer, Lithium, Kobalt und verschiedenen Seltenen Erden. Des Weiteren ist die Entsorgung der E-Auto-Batterien weitgehend ungelöst.

Schließlich kommt es bei E-Pkw immer wieder zu schweren Unfällen, wobei brennende Lithium-Ionen-Batterien von den Feuerwehren nur mit hohem Aufwand unter Kontrolle gebracht werden können.[7]

These acht

Es existieren identische Systemnachteile bei Verbrenner-Autos und bei E-Pkw // Auch wenn alle Autos in Los Angeles von Tesla wären, so bliebe es bei der Durchschnittsgeschwindigkeit von 15 km/h und dem Dauerstau. Auch wenn alle Autos in München schicke Renault-Zoe wären, bliebe es bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit im Münchner Stadtverkehr von 25 km/h. Auch wenn die 1,2 Milliarden Pkw auf der Erde Elektroautos wären, bliebe es bei 1,2 Millionen Straßenverkehrstoten und 100 Millionen Schwerverletzten im Jahr. Vergleichbares gilt für die EU mit ihren 30.000 Straßenverkehrstoten pro Jahr. Und für Deutschland mit den 3000 Straßenverkehrsopfern pro Jahr.

Auch wenn in allen Großstädten die Verbrenner-Pkw durch Elektro-Pkw ersetzt werden würden, bliebe es bei einem Flächenverbrauch dieser Blechlawine, der mindestens vier Mal so groß ist wie im Fall einer Verkehrsorganisation, bei der das Zufußgehen, das Radfahren und der öffentliche Verkehr im Zentrum stehen.

These neun

Gerade das Beispiel China weist in die falsche Richtung. // Die Zahl der Pkw wächst in China derzeit im Jahr um 5 bis 8 Millionen. 2015 zählte die VR China 135,8 Millionen Pkw. 2020 sind es knapp 200 Millionen. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der E-Pkw in China von 290.000 auf 5,5 Millionen oder um (absolut) 5,3 Millionen. Auch hier wächst absolut die Zahl der herkömmlichen Verbrenner-Pkw wesentlich schneller als die Zahl der E-Pkw. „Lediglich“ der ANTEIL der E-Pkw erhöht sich.

Aktuelle Zahlen verdeutlichen dies. Im August 2020 wurden in China 1,73 Millionen Pkw verkauft. Ein Plus von 9% gegenüber August 2019. Im selben Monat wurden 82.500 E-Pkw verkauft. Das ist zwar ein Plus von 45% gegenüber August 2019. Doch auch hier ist das absolute Plus an herkömmlichen Pkw wesentlich höher als das Plus an E-Pkw. Es wächst schlicht alles – und damit die CO-2-Emissionen von Verbrenner-Pkw UND aus E-Pkw.

These zehn

Anstelle Rad, Bus & Bahn das E-Auto // Mit den E-Autos wechseln oft Radfahrer und ÖPNV-Nutzende ins E-Auto. Damit erhöhen E-Pkw die Pkw-Dichte ausgerechnet dort, wo Pkw aufgrund ihres großen Flächenbedarfs besonders schädlich sind: in den Städten. Damit tragen E-Autos zur Krise des ÖPNV bei.

These elf

Die tatsächliche Politik der Autokonzerne straft die Grundaussage der E-Pkw-Mobilität Lügen // Alle Autokonzerne (den reinen E-Pkw-Hersteller Tesla ausgenommen) planen E-Pkw als Ergänzung zu den herkömmlichen Verbrenner-Pkw. Sie tun das als Kosmetik – und um die EU-Grenzwerte einzuhalten. Wobei die Einrechnung als „Zero-Emission-Vehicles“ fatal und falsch ist. Selbst die Zahl der neu zugelassenen SUV steigt wesentlich schneller als die Zahl der E-Pkw (2019 = 1,08 Millionen NEUE SUV in Deutschland). Die Kapazitäten bei VW liegen bei mehr als 10 Millionen Verbrenner-Pkw. Die Kapazität für Elektro-Pkw bei 350.000. (Ab 2022 geplant: 600.000).

Von „Abrüstung“ bei PS und Gewicht – keine Spur. Daimler betreibt 2020 „Modell-Pflege“ bei der G-Klasse (2,5 Tonnen schwer). Daimler stellte im September die neue S-Klasse vor: 2 Tonnen, 200 Gramm CO-2-/km. Der neue VW Golf wiegt 1,4 Tonnen. Er verbraucht 7 Liter. Er kommt auch 111 g/km CO2.Der Preis beginnt bei 32.480 Euro.

Warum schluckt ein Durchschnitts-Pkw auch heute noch mehr als 7 Liter (laut UBA)? Versprach VW nicht das 3-Liter-Auto? Gab es nicht die VW-Modelle Lupo und Fox, mit denen dieses Ziel weitgehend erreicht wurde? Bereits ein Drei-Liter-Auto brächte eine CO2-Reduktion von zwei Drittel – weit mehr, als jedes Elektroauto aktuell an Einsparungen bringt.

These zwölf

Es gibt konkrete Alternativen – in der Praxis // Eine überzeugende Verkehrswende fühlt sich anders an. Etwa so: Anfang 2019 war der CDU-Oberbürgermeister der Stadt Münster zu Besuch im niederländischen Groningen. Er diskutierte dort mit dem Bürgermeister der Stadt darüber, wie der Fahrradwege-Anteil in Münster von aktuell 40 % auf das Groningen-Niveau von 60 % gesteigert werden kann. Addiert man Fußgängerwege und ÖPNV-Fahrten hinzu, dann bleibt für Pkw-Verkehr ein Restmarktanteil von rund 10 %. Hier kann es sich dann um E-Pkw, um 3-Liter-Pkw und um viel Car-Sharing handeln.

Vierfache Bilanz: (1) E-Pkw-Mobilität, die ja seit mehr als zwei Jahrzehnten propagiert wird, bringt in der Summe ein Mehr an CO2-Emissionen. Sie wirkt begleitend bei der fortgesetzten Vergrößerung der Weltautoflotte. (2) E-Pkw bringen neue Belastungen von Umwelt und Natur. (3) Alle Systemnachteile, die mit einem Auto immer verbunden sind, bleiben bei der E-Pkw-Mobilität bestehen. (4) Es gibt längst glaubwürdige Alternativen – auch in der Verkehrspraxis z.B. in Kopenhagen, Amsterdam, Groningen, Zürich oder Münster.

Anmerkungen:

[1] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU), Wie umweltfreundlich sind Elektroautos? Eine ganzheitliche Bilanz, Berlin, Oktober 2019.

[2] In: Edition Nr. 1 – Das Automagazin für die Mobilität der Zukunft, „produziert mit freundlicher Unterstützung der Volkswagen AG“, Bielefeld, November 2019, S.34.

[3] Christian Geinitz, Energiewende braucht 60 Prozent mehr Strom, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. September 2020.

[4] Zahlen nach OICA-Statistik. Siehe: http://www.oica.net/wp-content/uploads//PC_Vehicles-in-use.pdf und The Electrical Vehicles Worldsales Database EV.

[5] Alle Angaben nach: Kraftfahrzeug-Bundesamt: https://www.kba.de/

[6] Süddeutsche Zeitung vom 21. Mai 2020. https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-verkehr-autos-verkehrswende-1.4913593

[7] Siehe z.B. Berliner Morgenpost vom 29.7.2020 zum E-Pkw-Unfall am selben Tag in Groß Kreuz, Brandenburg (der E-Audi ging nach einem Unfall sofort in Flammen auf; die Fahrerin verbrannte); siehe Express vom 2.12.2019 zum E-Hybrid-Mercedes-Unfall vom 1.12.2019 bei Düsseldorf (die Feuerwehr benötigte zum Löschen 9000 Liter Wasser); siehe Münchner Merkur vom 23.11.2019 zum Crash eines Tesla in Walchsee, Tirol (der Tesla musste 3 Tage lang in einem gewässerten Spezialcontainer „abklingen“; sechs Wochen lang fand sich kein Entsorgungsunternehmen, das den Schrott-Pkw abnehmen konnte).