Rüstung. Die äußere Realität und die innere Dynamik

Fragen und Antworten zu den Kriegsvorbereitungen im Jahr 2021ff

Die Kritik an den steigenden Militärausgaben und den wachsenden Rüstungsexporten sind ein festes Thema in dieser Zeitung. Das klingt nach business as usual. Ist es jedoch nicht. Dazu die folgenden Fragen und Antworten.

Frage: Handelt es sich bei der Kritik an der Rüstung nicht um ein Dauerthema? Ist diese Kritik nicht einigermaßen langweilig beziehungsweise übertreibt die Friedensbewegung mit dieser Kritik nicht?

Antwort: Dauerthema – ja. Doch „übertrieben“ ist diese Kritik keineswegs. Natürlich gibt es in der bestehenden, kapitalistischen Gesellschaft unterschiedliche Phasen mit unterschiedlich akzentuierter Rüstungspolitik. Mit mal „normal hohen“ und dann wieder steigenden Militärausgaben. Deutschland rüstete nach der Reichsgründung 1871 vier Jahrzehnte lang massiv auf. Alles sprach für einen Angriffskrieg. Er kam im August 1914. Nach dem Krieg und der deutschen Niederlage gab es ein Jahrzehnt mit relativ geringen Militärausgaben – aber einem massiven Einsatz der Armee im Innern, zur Massakrierung von Arbeiterinnen und Arbeitern und ihrer führenden Köpfe (u.a. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht). Es folgte ab 1933 eine neue Aufrüstung, die 1939 logisch im neuen deutschen Angriffskrieg mündete. Nach 1945 gab es erneut ein Jahrzehnt mit eher geringen Rüstungsausgaben. Das Grundgesetz sah sogar erst mal keine Armee vor. Doch ab Mitte der 1950er Jahre begann der neue Aufrüstungszyklus, mit den Höhepunkten in den 1960er und 1980er Jahren, als die Welt mehrmals kurz vor einem Atomkrieg stand, in dem Deutschland – die DDR und die BRD – zur atomar verseuchten Wüste geworden wäre. Das war zugleich ein Höhepunkt der Friedensbewegung. Die Gefahr war sehr real. Die Anstrengungen der Friedensbewegung voll gerechtfertigt. Nach dem Kollaps von UdSSR, DDR usw. 1989-1991 gab es dann wenige Jahre (bis Mitte der 1990er Jahre) mit rückläufigen Rüstungsausgaben. Seit gut zwei Jahrzehnten steigen diese Ausgaben wieder – weltweit. Und vor allem im Westen.

Frage: Ist Rüstung nicht schlicht eine Art Geschäftszweig im normalen Kapitalismus? Irgendwie schmutzig. Aber auch normal wie eben auch die Schweinereien der Pharmaindustrie oder der Nikotinbranche zum System gehören?

Antwort: Jein. Sicher ist Rüstung im Kapitalismus Teil der allgemein zerstörerischen Tendenz, die diese Produktionsweise beherrscht. Und natürlich zählt in diesem Produktionszweig zunächst mal der Profit. Da kann man auch mal an Bündnispartner liefern, die sich dann totrüsten. Griechenland und die Türkei als Beispiele. Beide NATO-Länder. Beide Großabnehmer von Rüstungsgütern aus Deutschland und Frankreich. Die Waffen beider Länder richten sich gegeneinander. Angeheizt durch den Konflikt um Öl und Gas in der Ägäis. Deutschland hat beide Länder mit Leo-II-Panzern hochgerüstet. 2020 – mitten im Corona-Jahr – gab es fette neue Rüstungsaufträge. Der französische Rüstungskonzern Dassault liefert nun an Griechenland 18 Kampfjets vom Typ Rafale. Deutschland liefert Athen vier neue Kriegsschiffe. Parallel rüstet Deutschland auch die Türkei auf. Die beiden Länder zählen zu den ärmsten in Europa. In der Corona-Krise fehlen in Griechenland und in der Türkei elementare Ausrüstungen in den Kliniken. Doch Deutschland und Frankreich liefern keinen Impfstoff, sondern Kriegsstoff.

FRAGE: Aber dann ist das halt typisches Business. Und vielfach wiegt sich das ja gegeneinander auf. Und es knallt eher nicht.

Antwort: Zunächst mal kann es natürlich leicht auch in der Ägäis „knallen“. Im letzten Jahr kamen sich türkische und griechische Kriegsschiffe verdammt nahe. Die inneren Krisen in beiden Ländern können leicht dazu führen, dass die Regierenden ihre Zuflucht in einem Krieg suchen. So war es 1974, als die damals in Athen herrschenden Faschisten einen Putsch auf Zypern inszenierten. Worauf die Türkei das Militär in Nordzypern landen ließ. Seither ist die Insel geteilt. Die Bevölkerung leidet. Doch die EU und die NATO intervenieren seit einem halben Jahrhundert nicht – und liefern, siehe oben, weiter Waffen an beide Seiten.

Doch das Beispiel Griechenland/Zypern illustriert nur die „rein geschäftliche“ Seite der Aufrüstung. Der überwiegende Teil der steigenden Rüstungsausgaben orientiert eindeutig auf ein „höheres Ziel“. Es geht um die Vorbereitung eines großen Kriegs – in dem Russland (und China) Gegner ist. Siehe die „NATO2030“-Strategie (Seite 3). Siehe die Modernisierung der Atomwaffen (Seite 6). Siehe das neue Großmanöver Defender2021, das im April auf deutschem Boden beginnt. Mit diesem wird geübt, wie Zehntausende Soldaten aus den USA und Westeuropa an die Grenzen zu Russland verlegt werden.

Die Bundeswehr ist bei dieser Einkreisungspolitik Russlands ganz vorne dabei. Ein Ziel, das man dabei identifizierte, ist Kaliningrad, also ausgerechnet das ehemalige Ostpreußen. Da dieses Gebiet seit 1991 eine russische Exklave ist, komplett umschlossen von den Nato-Staaten Litauen und Polen, hofft man, dort eine Provokation starten zu können. Seit 2017 ist die Bundeswehr im Rahmen der „NATO-Battlegroup Litauen“ vor Ort präsent. Im Januar 2021 publizierte die US-Militärzeitung <I<Overt Defence<I> zu diesem Einsatz einen Artikel mit der Überschrift: „Kaliningrad Gambit – Eröffnung (in) Kaliningrad“. Die Bundeswehr ist in Litauen derzeit mit dem Panzerbataillon 104 aus der Oberpfalz vertreten. Zu diesem Einsatz kann man auf der Bundeswehr-Website das Folgende lesen: „Mit dieser Übung in Litauen bereiten wir uns final auf unseren Einsatz an der Ostflanke der NATO vor. Das nächste Mal werden unsere Soldatinnen und Soldaten ihre Kampfpanzer in Litauen starten“. Das Motto dieser Bundeswehreinheit (ebenfalls so auf der Website wiedergegeben) lautet: „Nur der Angriff bringt den Erfolg“.[1]

Frage: Diese Rüstung kostet doch enorm viel. Und öffentliche Gelder sind knapp. Das wird doch irgendwann auch für Washington und Berlin zu teuer.

Antwort: Staatliche Rüstungsausgaben und öffentliche Ausgaben in Bereichen wie Gesundheit, Bildung oder Infrastruktur unterscheiden sich grundsätzlich. Die Staaten können hochverschuldet sein und Geld mag extrem knapp sein – doch für Hochrüstung gibt es kaum Grenzen. Siehe z.B. das hochverschuldete Griechenland, dessen Rüstungsausgaben beim Doppelten des NATO-Solls liegen (bei rund 4 % des BIP). Rüstungsausgaben erfüllen im Rahmen der kapitalistischen Wirtschaftsweise drei Kriterien. Erstens wird in dieser Branche auch in Zeiten, in denen es in den klassischen Bereichen niedrige Profitraten gibt, enorm viel Kapital mit hohem Profit und weitgehend ohne Risiko angelegt. Hier gibt es Parallelen zu anderen Bereichen wie den zerstörerischen Infrastruktur-Großprojekten (siehe Stuttgart 21). Zweitens ist der Bereich Rüstung eng mit Hightech und führenden Großkonzernen (in der BRD u.a. mit Siemens, Thyssen, Airbus, Rheinmetall, Continental, ZF) vernetzt, weswegen er (anders als die Bereiche Bildung oder öffentlicher Verkehr) über eine extrem effiziente Lobby verfügt. Drittens übersetzt sich militärische Macht immer mit Wirtschaftsmacht: Exporte, Expansion, Auslandskapital werden militärisch abgesichert. China rüstet auf, weil es wirtschaftlich aufsteigt. Die USA rüsten auf, weil sie wirtschaftlich absteigen. Deutschland rüstet mit auf, weil das Land seine Position als Exportmacht Nummer 2 verteidigen will – und weil die deutsche Elite nach zwei verlorenen Angriffskriegen glaubt, als Juniorpartner an der Seite der USA in einem dritten großen Krieg endlich auch zu den Siegern zählen zu können. Diese politische Funktion von Rüstung, konkretisiert im Militärisch-Industriellen Komplex, macht diese Branche so brandgefährlich.

Zuerst erschienen in „Zeitung gegen den Krieg“ Nr. 48

Anmerkungen:

[1] Siehe: https://www.bundeswehr.de/de/organisation/heer/aktuelles/trotz-pandemie-panzertruppe-uebt-fuer-litauen-253922