Zbigniew Brzeziński – Die einzige Weltmacht

25 Jahre alte, hochaktuelle Skizze für die Politik zum Erhalt der US-Hegemonie

Der ehemalige Sicherheitsberater des US-Präsidenten Jimmy Carter verfasste 1997 ein Buch, das in der Original-Fassung noch den aufschlussreichen Titel „The Grand Chessboard – Das große Schachbrett“ trug. Darin skizziert er, wie mit einer Nato-Osterweiterung und einer Westanbindung der Ukraine Russland zu einer nicht mehr europäischen Macht, sondern primär asiatischen Regionalmacht gemacht, besser: degradiert, werden soll und wie auf diese Weise die Weltherrschaft der USA zu stabilisieren sei. Die seither geführten US-Kriege (in Jugoslawien, Afghanistan, Irak) und die seither praktizierte Politik der US-Regierungen und nicht zuletzt diejenige der Nato unterstreichen, dass Brzezi ´ nskis Analyse in vielen Teilen Blaupause für die US-Politik ist. Im Folgenden Auszüge.

„Amerika steht in den vier entscheidenden Domänen globaler Macht unangefochten da: Seine weltweite Militärpräsenz hat nichts ihresgleichen. Wirtschaftlich gesehen bleibt es die Lokomotive weltweiten Wachstums […] Es hält seinen technologischen Vorsprung in den bahnbrechenden Innovationsbereichen. Und seine Kultur findet nach wie vor weltweit, vor allem bei der Jugend, unübertroffen Anklang.“ [S.44]

„Die globale Vorherrschaft Amerikas wird solchermaßen durch ein ausgetüfteltes System von Bündnissen und Koalitionen untermauert, das buchstäblich die ganze Welt umspannt. Die […] Nato bindet die produktivsten und einflussreichsten Staaten Europas an Amerika und verleiht den Vereinigten Staaten selbst in innereuropäischen Angelegenheiten eine wichtige Stimme. […] Besondere Sicherheitsvorkehrungen, vor allem nach der kurzen Strafexpedition gegen den Irak 1991 haben die wirtschaftlich vitale (Öl-) Region in ein amerikanisches Militärgebiet verwandelt. Gegenwärtig gibt es niemanden, der diese beispiellose Vormachtstellung der USA angreifen könnte.“ [49]

„Amerikas geopolitischer Hauptgewinn ist Eurasien. […] Eurasien stellt 60 Prozent des globalen Bruttosozialprodukts und ungefähr drei Viertel der weltweit bekannten Energievorkommen. Die nach den USA sechs größten Wirtschaftsnationen mit den höchsten Rüstungsausgaben liegen in Europa und Asien.“ [54] „Eurasien ist somit das Schachbrett, auf dem der Kampf um die globale Vorherrschaft auch in Zukunft ausgetragen wird. […] Würden die europäischen Partner Amerika von seinen Stützpunkten an der westlichen Peripherie vertreiben, wäre das gleichzeitig das Ende seiner Beteiligung am Spiel auf dem eurasischen Schachbrett. […] (Doch] dieser Megakontinent ist einfach zu groß, zu bevölkerungsreich, kulturell zu vielfältig und besteht aus zu vielen, von jeher ehrgeizigen und politisch aktiven Staaten, um einer globalen Macht […] zu willfahren. Eine solche Sachlage verlangt geostrategisches Geschick, den vorsichtigen […] Einsatz amerikani scher Ressourcen auf dem riesigen eurasischen Schachbrett.“[59]

„Unter den gegenwärtigen globalen Begebenheiten lassen sich mindestens fünf geostrategische Hauptakteure und fünf geopolitische Dreh- und Angelpunkte auf der neuen politischen Landkarte Eurasiens ermitteln. Frankreich, Deutschland, Russland, China und Indien sind Hauptakteure, während Großbritannien, Japan, Indonesien … die Bedingungen dafür nicht (mehr) erfüllen. Die Ukraine, Aserbeidschan Südkorea, die Türkei und der Iran stellen geostrategische Dreh- und Angelpunkte dar.“ [67]

„Die Ukraine, ein neuer und wichtiger Raum auf dem eurasischen Schachbrett, ist ein geopolitischer Dreh- und Angelpunkt, weil ihre bloße Existenz als unabhängiger Staat zur Umwandlung Russlands beiträgt. Ohne die Ukraine ist Russland kein eurasisches Reich mehr. Es kann trotzdem nach einem imperialen Status streben, würde aber dann ein vorwiegend asiatisches Reich werden. […] Wenn Moskau allerdings die Herrschaft über die Ukraine mit ihren 52 Millionen Menschen, bedeutenden Bodenschätzen und dem Zugang zum Schwarzen Meer wiedergewinnen sollte, erlangte Russland automatisch die Mittel, ein mächtiges Europa und Asien umspannendes Reich zu werden. Verlöre die Ukraine ihre Unabhängigkeit, so hätte das unmittelbare Folgen für Mitteleuropa und würde Polen zu einem geopolitischen Angelpunkt an der Ostgrenze eines vereinigten Europas werden lassen.“ (75]

„Ein neues Europa nimmt bereits Gestalt an, und wenn dieses neue Europa geopolitisch Teil des euro-atlantischen Raums bleiben soll, ist die Erweiterung der Nato von entscheidender Bedeutung. Sollte die von den USA in die Wege geleitete Nato-Erweiterung ins Stocken geraten, wäre das das Ende einer umfassenden amerikanischen Politik für ganz Eurasien.“ [121] „Unter den gegenwärtigen Bedingungen wird die Nato-Osterweiterung vermutlich bis 1999 aller Wahrscheinlichkeit nach Polen, die tschechische Republik und Ungarn einbegreifen. […] Mit ersten Aufnahmen mitteleuropäischer Länder in die EU ist nicht vor dem Jahr 2002 zu rechnen. Dennoch werden sich sowohl die NATO als auch die EU […] mit der Frage beschäftigen müssen, wie und wann die Mitgliedschaft der baltischen Republiken, Slowenien, Rumänien, Bulgarien und Slowakei und zuletzt vielleicht sogar auf die Ukraine ausgedehnt werden kann.“ [125] „Der Beitritt der baltischen Staaten könnte vielleicht auch Schweden und Finnland dazu bewegen, eine Mitgliedschaft in der Nato in Erwägung zu ziehen. Irgendwann zwischen 2005 und 2010 sollte die Ukraine für ernsthafte Verhandlungen sowohl mit der EU wie mit der Nato bereit sein.“ [127] „Selbst die Sprecher des linksgerichteten Bündnis 90/Die Grünen haben eine Erweiterung der NATO befürwortet.“ [112]

„Keine Vereinbarung mit Russland darf daher darauf hinauslaufen, dass Russland de facto am Entscheidungsfindungsprozess des Bündnisses [Nato] beteiligt wird und dadurch den spezifisch euroatlantischen Charakter der Nato aufweicht, während neu aufgenommene Mitglieder zu Staaten zweiter Klasse degradiert werden.“ [286]

„Das Beunruhigendste war [für Russland] der Verlust der Ukraine. Das Auftreten eines unabhängigen ukrainischen Staates […] stellte für den russischen Staat ein schwerwiegendes geopolitisches Hindernis dar. Da mehr als 300 Jahre russischer Reichsgeschichte plötzlich gegenstandslos wurden, bedeutete das den Verlust einer potentiell reichen industriellen und agrarischen Wirtschaft sowie von 52 Millionen Einwohnern, die den Russen ethnisch und religiös nahe genug standen, um Russland zu einem wirklich großen und selbstsicheren imperialen Staat zu machen.“ [136]

„Da die EU und die Nato sich nach Osten ausdehnen, wird die Ukraine schließlich vor der Wahl stehen, ob sie Teil einer dieser Organisationen werden möchte. Es ist davon auszugehen, dass sie, um ihre Eigenständigkeit zu stärken, beiden beitreten möchte. Obwohl dies Zeit brauchen wird, kann der Westen – während er seine Sicherheits- und Wirtschaftskontakte mit Kiew weiter ausbaut – schon jetzt das Jahrzehnt zwischen 2005 und 2015 als Zeitrahmen für eine sukzessive Eingliederung der Ukraine ins Auge fassen. […] Der springende Punkt ist: Ohne die Ukraine kann Russland nicht zu Europa gehören, wohingegen die Ukraine ohne Russland durchaus zu Europa gehören kann.“ [178]

„Das gefährlichste Szenario wäre eine große Koalition zwischen China, Russland und vielleicht dem Iran, ein […] geeintes antihegemoniales Bündnis. Ein solches Bündnis würde in Größenordnung und Reichweite an die Herausforderung erinnern, die einst von dem chinesisch-sowjetischen Block ausging, obgleich dieses Mal wahrscheinlich China die Führung übernähme.“ [87]

„Bemerkenswert ist, dass es bei internationalen Konflikten […] bisher nicht zum Einsatz von Massenvernichtungswaffen gekommen ist. Wie lange diese Selbstbeschränkung noch anhält, lässt sich natürlich nicht vorhersagen, aber da Kriegsgerät mit enormer Zerstörungskraft […] immer leichter zugänglich ist, nimmt die Wahrscheinlichkeit, dass solche Waffen eingesetzt werden, unweigerlich zu. Kurzum, Amerika als die führende Weltmacht hat nur eine kurze historische Chance. Der relative Frieden, der derzeit auf der Welt herrscht, könnte kurzlebig sein.“ [303]

„Kurz, die Politik der USA muss unverdrossen und ohne Wenn und Aber ein doppeltes Ziel verfolgen: die beherrschende Stellung Amerikas für noch mindestens eine Generation und vorzugsweise länger zu bewahren und einen geopolitischen Rahmen zu schaffen, der die mit sozialen und politischen Veränderungen unvermeidlich einhergehenden Erschütterungen und Belastungen dämpfen und sich zum geopolitischen Zentrum gemeinsamer Verantwortung für eine friedliche Weltherrschaft entwickeln kann.“ [306]

Aus: Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht – Amerikas Strategie der Vorherrschaft, deutsch Frankfurt/M. 1999, USA New York 1997.