blog 29: Verhandlungen und Waffenstillstand sofort!

Stimmen gegen den Krieg – Wie Wehrdienstverweigerer in der Ukraine bis zum letzten Mann kämpfen lassen

Auch ein halbes Jahr nach Beginn des russischen Kriegs in der Ukraine überwiegen in unseren Medien die Stimmen und die Argumente für Waffenlieferungen, für ein „Durchhalten bis zum Sieg der Ukraine“ oder auch „gegen einen Diktatfrieden“ und „gegen jeden Verzicht auf ukrainisches Gebiet“ zugunsten Russlands. Inzwischen wird, unterstützt von der Regierung in Kiew, seitens der NATO und seitens der US-Regierung sogar gefordert, die Ukraine müsse „die Krim zurückerobern“. Dies, obgleich bis zum 24. Februar 2022 fast alle westlichen Politiker und alle Bundesregierungen – teilweise offen, meist jedoch stillschweigend – davon ausgegangen waren, dass die Krim nach der Annexion durch Russland im Frühjahr 2014 Bestandteil der Russischen Föderation sein und bleiben würde.

So gab es am 10. August auf dem zentralen russischen Luftwaffenstützpunkt auf der Krim massive Explosionen, die höchstwahrscheinlich Resultat eines ukrainischen Beschusses sind. Wobei dies dann wiederum Resultat der Lieferung von modernen, weit reichenden Raketen-Systemen aus den USA sein dürfte. Damit – und mit dem Beschuss des ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja am Fluss Dnipro durch russisches oder ukrainisches Militär zum gleichen Zeitpunkt – ist in diesem Krieg eine neue Eskalationsstufe erreicht. Und mehr denn je stellt sich die Frage, wie und wann die Eskalation in diesem Krieg gestoppt werden kann.

Nun gibt es durchaus Stimmen, die vor dieser Eskalation warnen und für einen sofortigen Waffenstillstand und für eine Verhandlungslösung eintreten. Drei Beispiele.

  • Ralph Urban, Vorstandsmitglied der Ärzt*innen-Organisation für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW), argumentiert: „Durch die Entscheidung, Waffen an die Ukraine zu liefern, macht sich Deutschland nicht nur selbst zur Kriegspartei, sondern gibt auch die Möglichkeit auf, aus einer neutralen Position heraus eine vermittelnde Rolle zwischen den Kriegsparteien einzunehmen. Präsident Putin hat […] angekündigt, dass Länder, die sich einmischen, mit unvorstellbaren Konsequenzen rechnen müssen. […] Der Einsatz russischer Nuklearwaffen ist möglich. […] Wer das als Bluff abtut, spielt mit dem Feuer.“
  • In einer Ende Juni in der <I>Zeit<I> veröffentlichten Erklärung, die unter anderem von dem  Journalisten Jakob Augstein, dem Filmemacher Alexander Kluge, dem Philosoph Richard D. Precht und der Schriftstellerin Juli Zeh unterzeichnet ist, heißt es: „Die Fortführung des Kriegs mit dem Ziel eines vollständigen Siegs der Ukraine über Russland bedeutet Tausende weitere Kriegsopfer, die für ein Ziel sterben, das nicht realistisch zu sein scheint.[…] Der bisherige Verlauf der Verhandlungsversuche zeigt eine anfängliche Verständigungsbereitschaft beider Seiten. Nur eine diplomatische Großoffensive kann aus der momentanen Sackgasse herausführen […] Verhandlungen sind ein notwendiges Mittel, um Leid vor Ort und Kriegsfolgen auf der ganzen Welt zu verhindern.“
  • Wer sagt, Erklärungen wie die oben zitierten, drückten die Meinung einer Minderheit von Intellektuellen aus, der möge sein Ohr dem Ministerpräsidenten von Sachsen leihen. Der CDU-Politiker Michael Kretschmer äußerte sich Ende Juli wie folgt: „Wir müssen dafür eintreten, dass der Krieg eingefroren wird.“ Es gehe darum, „Zeit zu gewinnen, um in Sicherheitsmaßnahmen zu investieren“. Man müsse „erkennen, dass der Krieg die gesamte Welt und Europa in besonderem Maße ins Chaos stürzt. […] Ich bin der Meinung, dass wir gemeinsam versuchen müssen […] einzuwirken auf den russischen Präsidenten und auch die Ukraine davon zu überzeugen, dass wir alle miteinander diesen Konflikt einfrieren müssen. Das ist jedoch etwas anderes als das, was derzeit läuft.“

Wie werden diese Stimmen der Vernunft in der Öffentlichkeit aufgenommen? Antwort: Sie werden bestenfalls ignoriert. Wenn sie denn kommentiert werden, dann werden sie diffamiert – als Äußerungen von „Putin-Verstehern“, von aus der Welt gefallenen Pazifisten.

Im Fall des sächsischen Ministerpräsidenten werden dann Geschosse größeren Kalibers eingesetzt. Der FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai empörte sich wie folgt: „Gott sei Dank ist dieser Mann nicht verantwortlich für unsere Außenpolitik. Kretschmer hat nicht verstanden, wie gefährlich Russland ist. Die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann äußerte, damit würden „die Ukraine, die Freiheit und die Menschenrechte verhöhnt“. Man muss das nicht verstehen – außer, dass klar ist: Hier kommt der Hass derjenigen zum Ausdruck, die sich zur politischen Elite zählen und die empört sind, dass jemand aus den eigenen Reihen zu Verhandlungen aufruft.

Der zu diesem Zeitpunkt bereits abberufene ukrainische Botschafter Andrij Melnyk setzte noch eins drauf. Er ging Kretschmer wie folgt an: „Ihre ewige Anbiederung an den Kriegsverbrecher Putin ist ekelerregend.“

Interessant wären Antworten auf die Frage, ob diese Herren und Damen selbst in einen solchen Krieg gegen Russland ziehen würden. Der Kanzler hat dies – wie viele in seinem Kabinett – faktisch verneint. Er hat den Kriegsdienst verweigert. Ähnlich der SPD-Generalsekretär, der derzeit für immer neue Waffenlieferungen plädiert: Lars Klingbeil ist Wehrdienstverweigerer. Und der Wirtschaftsminister? Immerhin hat dieser Herr „keine Angst“ vor einem „neuen Weltkrieg“? Auch Robert Habeck hat den Kriegsdienst verweigert. Wobei das Verweigern eines Wehrdienstes in Friedenszeiten nochmals etwas anderes ist, als konkret das eigene Leben zu riskieren.

All das heißt: Diejenigen, die die fortgesetzte Eskalation in diesem Krieg betreiben – sei es im Kreml, sei es in Kiew, sei es in Brüssel und Berlin, schicken in erster Linie andere Leute an die Front, in den Krieg – und vielfach in Leid und Tod. Das gilt in besonderem Maß für die Regierung in Washington: Sie „riskiert“ gerne einen Krieg auf einem Kontinent, der mehr als 7000 Kilometer entfernt ist. Das kann auch ein atomar geführter Krieg sein – Hauptsache, er dient der Schwächung Russlands und der Förderung von US-Interessen.

Riskiert wird von diesen Leuten an meist sicheren Orten, dass in der Ukraine Dutzende Städte zu einem Schrotthaufen zusammengebombt werden, dass Zehntausende ihr Leben verlieren, dass Hunderttausende für ihr Leben gezeichnet sind – und dass Millionen ihr Zuhause verlieren. Die Kosten des Krieges trägt jetzt bereits – über dreifach gesteigerte Energiekosten – die Mehrheit der Bevölkerung. Die Wiederaufbau-Kosten in der Ukraine sollen ebenfalls die Bevölkerung in Westeuropa stemmen.

Das Minimum, was verlangt werden muss, lautet: sofortiger Waffenstillstand und sofortige  Verhandlungen! Die Behauptung, Russland wolle keine Verhandlungslösung, ist eine Schutzbehauptung derjenigen, die andere und eigene Interessen haben. Es gab solche Verhandlungen im März. Damals zeichnete sich eine Lösung ab. Dieser Weg wurde vor allem von der Ukraine abgebrochen – mutmaßlich auf Wink aus Washington. Im Juli wurde auf dem Verhandlungsweg erreicht, dass ukrainische Getreide-Exporte möglich werden.

Dieser Beitrag erscheint ab 18.8. in der Printausgabe der „Zeitung gegen den Krieg“ Nr. 52.
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