blog 31: Offener Brief von Vetter [Winfried Wolf] zu Vetter [Guido Wolf]

Na, sowas, Guido! Jetzt mal von Vetter zu Vetter!

Du bist ja jetzt seit drei Jahren ohne einen richtigen Job im Landtag. Und das mit dem Minister für Justiz ist ja längst vergessen. Ich fand es dann schon bösartig, als der Karikaturist Kostas Koufogiorgios in der Zeitschrift KONTEXT diese Karikaturen zeichnete, auf denen Kretschmann und Strobl an einem Kabinettstisch sitzen und Du bist unten in so einem Kleinkinder-Gestell eingesperrt.

Doch zur Sache. Einen Job hast Du ja noch. Du bist Vorsitzender des Gäubahn-Interessenverbandes. Jetzt, wo bei dem Thema Gäubahn die Wogen so hoch gehen und der Pfaffensteig-Tunnel noch so weit weg ist, da ist das doch deine ganze große Chance, in der großen Politik noch mal eine Runde zu drehen. Vielleicht sogar die letzte Chance überhaupt!

Und die Bahn ist ja immer eine Angelegenheit, bei der den Leuten das Herz blutet. Das war bereits so 1959, als sie in Ravensburg „s´Bähnle“ [die örtliche Straßenbahn] eingestellt hatten und meine Mutter, mein Vater, meine Schwester und ich nicht mehr mit dem Bähnle nach Weingarten zu Deiner Familie fahren konnten. Aber das kannst Du ja gar nicht wissen; Du bist ja erst zwei Jahre später geboren.

Jetzt trafen sich ja am letzten Freitag die Bürgermeister der Gäubahn-Städte. Es gab einen Faktencheck – mit einer großen Zahl von Top-Managern der Bahn und noch mehr Powerpoint [-Präsentationen]. Und dann gaben sie alle ihren Senf dazu. Nopper [OB von Stuttgart] veröffentlichte ein Statement, in dem es heißt: „„Ein kurzer Umstieg in Vaihingen ist besser als ein langer und beschwerlicher Weg am Hauptbahnhof.“ Er plädiere für einen „Übergangsumstieg in Vaihingen“.

Da müssen am Stuttgarter Hauptbahnhof 15 Jahre lang Hunderttausende Menschen Tag für Tag lange Umwege auf sich nehmen – und dann kommt der [Stuttgarter Oberbürgermeister] Nopper, spricht sich gegen lange Umwege aus, aber eben erst ab dem Jahr 2026 und nur mit Blick auf die Gäubahn-Fahrgäste, wobei er für einen „kurzen Übergangsumstieg“ oben auf dem Berg, in Vaihingen plädiert. Gemeint ist: ein jahrzehntlang. Das ist schon heftig!

Und was hast Du dort gesagt? Man möge – so Dein Vorschlag – doch eine „S-Bahn-Verbindung von Stuttgart bis Singen prüfen“.

Das wären dann – von Stuttgart Hauptbahnhof tief bis Singen – 166 Kilometer und damit zumindest in The Länd1 die längste S-Bahn überhaupt. Auf die Idee muss man erst mal kommen! Meine Frage an Dich: Warum dann nicht gleich eine S-Bahn Stuttgart – Zürich? Schließlich reden sie in Zürich doch recht ähnlich wie bei uns, nur nicht ganz so schön.

Über eine Sache solltest Du aber schon mal nachdenken: Allein von Stuttgart bis Singen sind das zweidreiviertel Stunden S-Bahn-Fahrt. Ich habe den Eindruck, dass Du schon lange nicht mehr mit einer S-Bahn gefahren bist. Schließlich gibt es da keine Toilette. Das ist ja bereits für Normalos ein Problem. Jetzt stell Dir aber mal die folgende Situation vor: Da war einer aus Horb oder Tuttlingen in Stuttgart oder Bad Cannstatt. Und die betreffende Person trank dort drei Viertel Liter Suser [frisch vergorener Wein]. Bei der Fahrt zurück verspürt er ein Bedürfnis. Soll der dann an einem Bahnhof die Notbremse ziehen? Und selbst wenn! Bei allen Gäubahn-Bahnhöfen – aber auch anderswo – sieht es doch düster aus: Toiletten gibt es dort keine mehr. Sogar in Tuttlingen, in Deinem Wahlkreis, wo wir uns zuletzt vor drei Jahren trafen, gibt es kein stilles Örtchen mehr. Da kann man nur zwei Stunden lang die Arschbacken zusammenkneifen.

Das aber jetzt ganz unter uns. Die Menschen denken ja nicht so weit, bevor es nicht so weit ist. Und Dein Vorschlag mit einer S-Bahn bis Singen oder auch meiner mit einer S-Bahn gleich bis Zürich hat schon was. Denn wenn Du das sagst – „eine S-Bahn Stuttgart – Zürich“ – dann triffst Du gleich drei Fliegen mit einer Klatsche: Erstens wäre das mit gut zweihundert Kilometer die längste S-Bahn auf der Welt. Zweitens bräuchten dann auf der Gäubahn ja nur noch S-Bahnen verkehren und gar keine konventionellen Eisenbahnen mehr. Die Schweizer haben ja ohnehin bereits angekündigt, dass sie ab 2026 die Gäubahn-Strecke nicht mehr mit der SBB bedienen wollen. Dies, weil dann in Vaihingen Schluss ist.

Und – besonders wichtig – drittens: Dann bist Du wieder in aller Munde! So wie im Dezember 2015, als Du der Kanzlerin auf dem Parteitag in Karlsruhe einen Stoff-Wolf Marke Steiff überreicht hast.

Eine Sache verstehe ich überhaupt nicht: Warum müssen denn die Gäubahn-Züge 2026 in Vaihingen enden? Selbst wenn das Monsterprojekt Stuttgart 21 dann in Betrieb genommen werden würde, dauerte es doch noch ein paar Jahre, bis die Schienen auf dem jetzigen Gleisvorfeld [des Kopfbahnhofs] abgebaut werden können.

Oder geht es schlicht darum, dass man vollendete Tatsachen schaffen und alle Gleise, die [der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident] Günther Oettinger mal als „Hüttengerümpel“ bezeichnet hat, möglichst sofort beseitigen will? Damit bloß niemand auf die Idee kommt, man könne den Kopfbahnhof doch bestehen lassen. Ja, man müsse dessen Existenz sogar sichern, weil es unten mit den acht Gleisen schlicht zu eng ist.

All das sagt Dir und schreibt Dir Dein Vetter Winnie [Winfried Wolf], der hofft, dass Du mein Buch2 über das Monsterprojekt Stuttgart 21 gelesen hast.


Aus der Broschüre „Stuttgart S 21 – Das Denkmal – Peter Lenk – Bodman“; auch in der neuen Veröffentlichung Peter Lenk, Zoff im Spätzlesumpf. S21-Denkmal in Stuttgart, Konstanz 2022 (Verlag Stadler), S. 37.

1 Die Landesregierung von Baden-Württemberg startete 2021 eine neue Imagekampagne, in der das Bundesland als „The Länd“ bezeichnet wird. Damit wird indirekt angeknüpft an den Werbeslogan aus früheren Zeiten, der da lautete: „Wir können alles nur nicht Hochdeutsch“.

2 Winfried Wolf, abgrundtief + bodenlos, Stuttgart 21, sein absehbares Scheitern und die Kultur des Widerstands, Köln 2018, 2019 und 2020, Verlag PapyRossa, 376 Seiten.


Offener Brief von Vetter [Winfried Wolf] zu Vetter [Guido Wolf]

Warum bloaß koi S-Bah Schduagrd – Zirch?“

Ha woischd, Guido, ha no, von Vettr zu Vettr!

Jetzt hoschd seit drei Johr koi richtiga Dschobb em Landdag. Ond des mitm Minischdr fürd Juschdiz isch längscht oms Eck. I hans dann scho besartig gfonda, wenn dr Karikaturischt Koschtas [Koufogiorgios] im „Kontext“-Blättle immer so Bildle gmolt hat, wo dr´Kretsch ond dr Strobl am Kabinettsdisch hogget ond Du bischd in so a Kindergschtell eigschperrt.

Abr zr Sach. Jetzt hoschd jo no oin Dschobb: Dr Vorsitz vom Gäubah-Indressavrei. Ond jetzt, wo bei där Sach d´Woge so hoch ganget ond dr Pfaffenschtaigtunnl no ganz weit weg isch, do isch des doch Dei ganz große Schas, noamol in dr groaßa Politik a Ronde zu dräa. Vielleichd sogar dia letschd Schas?

Ond d´Eisebah isch emmr a Sach, wo dene Leit s‘Herz bluedet dät. Des war scho so, als se in Raveschburg neizehhondertneinafuffzig s´Bähnle eigstellt hend ond mei Muadr und mei Vadr ond mei Schweschdr ond i nemme mit dem Bähnle noch Weigarte zu Deine Leit hend fahre kenne. Abr des kasch Du net wisse; Du bisch jo erscht zwoi Johr spätr auf d´Welt komme.

Jetzt hend sech jo am letschta Freidag dia Bürgrmoischdr von de Gäubah-Städt´ troffe. S´hot an „Fagdedstchäk“ gebba – mit an Haufa Großkopfete von dr Bah ond no me Pauerpöint. Ond dann hend alle ihrn Senf drzua geba. Dr Nopper hot a Schteidment abgäba, en dem hoißts: „Ein kurzer Umstieg in Vaihingen ist besser als ein langer und beschwerlicher Weg am Hauptbahnhof.“ Er dät firn „Übergangsumstieg in Vaihinge“ plädiera.

Do miasset am Schduagrder Bahof an jedem Dag a baar hunderddaused Leit fuchzeah Johr lang ellalange Omweg gange – ond jetzt kommt dr Nopper ond isch gega sottige Omweg im Bahof, abr halt bloß ab 2026 ond bloß fir d´Fahrgäschd von dr Gäubah ond fir en kurze Umstieg obe aufm Buckel, in Vaihinge. Met „kurz“ isch a Jorzehnt gmoint. Des isch au an Mord´s Kerle!

Ond was hosch Du au glei gsait? Mr soll – so Dai Hirnfurz – a „S-Bah von Schduagrd bis Singe prüefa“.

Des wäret dann – von Schduagrd unta bis Singe – 166 Kilometr ond zmindescht in „The Länd“ d´längschde S-Bah übrhaupt. Do muess mr erscht mal drauf komme! Abr, so frog i Di: Warum net glei a S-Bahn Schduagrd bis Zirch? Des send au bloß sechzg Kilometr meh. Ond in Zirch schwätzet se jo au fascht so wia mir im Schwobeland, bloß net so schee.

Oi Sach sotsch Dir abr scho durch d´Kopf gange lasse: alloi Schduagrd bis Singe wäret des zwoidreiviertel Stund in dr S-Bah. I han jo dr Eidruck, Du bischd scho lang nemma in so rer S-Bah g´hocket. Weil die hend doch koi Glo. Des isch jo scho für´d gwenliche Leit´a Problem. Ond jetzt stell dr mol vor, do wär oinr in Schduagrd odr in Cannschdadd gwä ond het drei Viertele Suser drunka – ond beim zrückfahre muess er amol. Soll der dann d´Notbrems zieah im e Bahof? Abr selbst do siahds duschtr aus: In denne Banhöf uf dr Gäubah – aber au anderschwo – gibt’s gar koi Glo meh. Au en Tuttlinge, do wo Du Dei Birro hosch, und wo mir boide uns s‘letschde Mol vor drei Johr troffe hend, do gibt’s kei so a Örtle em Bahof. Do kasch dann guet zwoi Stund lang d´Arschbagga zsammekneife.

Abr des mol ganz unter uns. D´Leit denket jo it soweit bevors it so weit isch. Ond Dei Vorschlag mit dr S-Bah bis Singe ond mei Vorschlag mit dr S-Bah glei bis Zirch isch scho sauguet. Denn wenn dr des sagsch, a S-Bah Schduagrd – Zürich, dann hosch glei drei Flieaga mit oim Schlag troffe: Erschtens wär des mit zwoihundert Kilometr gladd dia längschte S-Bah uff dr´Welt. Zwoitens brauchet auf dr Gäubah dann blos no S-Bahne fahre ond gar koi andre Ziag me. D´Schweizr hend jo scho gsait, dass se mit dr SBB ab 2026 nemmer noach Schduagrd fahre wellet, weil mr au bloß no bis Vaihinge kommt.


Ond ganz wichtig – driddens: Dann schwätzet alle Leit wieda von Dir. So wia im Dezembr fuffzehn, als Du dr Kanzlerin aufm Barteidag in Karlsruh den Stoff-Wolf mit dem Steiff-Blechle em Or gschenkt hosch.


Was i gar nedd vrschdanda han, isch: Warom miasset dia Gäubah-Ziag ibrhaupt 2026 in Vaihinge enda? Au wenn des Mordsdromm-S-oinazwanzig fertig sei sott´, brauchet dia au no a par Johr, bis se dia Schiena em Gloissvorfeld abbaut hend. Odr ischs jetzt au so, dass des fir dia a gmähts Wiesle wär, wenn all des Zeig, was dr Oettinger jo mol an „Hüttegruscht“ ghoißa hot, schleinigst weg wär? Dass bloß niemand uff d`Gdanka käm, dr Saggbahof kennt mr jo stande losse? Den miasst mr jo sogar stande losse, weils onda mit dene acht Glois z´eng sei wird!


All des sait Dir ond froagt Di Dai Vettr Winnie, der hofft, dass Du mei Büchle* ibr des Mordsdromm-S-oinazwanzig au glese hosch

* Winfried Wolf, abgrundtief + bodenlos, Stuttgart21, sein absehbares Scheitern und die Kultur des Widerstands, Köln 2018, 2019 und 2020, (PapyRossa)

1. Dezember 2022


Aus der Broschüre Peter Lenk, Stuttgart S 21 – Das Denkmal, Bodman 2021, bzw. Peter Lenk, Zoff im Spätzlesumpf – S21-Denkmal in Stuttgart, Konstanz 2022 (Stadler Verlag), S. 37.