Die Misere der Bahn. Oder:

„Warum sagt Bahnchef Lutz dreiste Unwahrheiten?“

Pressemitteilung  
Bürgerbahn – Denkfabrik für eine starke Schiene

7. Dezember 2022

Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG, Richard Lutz, gab am 5. Dezember in einem zweiseitigen Interview mit dem Berliner „Tagesspiegel“  eine umfangreiche  Beschreibung des Zustandes der DB.
Für unvoreingenommene Menschen lautete der Tenor: Wir kennen unsere Schwächen und arbeiten hart an der Verbesserung. Tatsächlich ist ein großer Teil der von Lutz gelieferten Fakten fragwürdig bis falsch. Bürgerbahn nennt stellvertretend fünf:

ICE-Züge // LUTZ sagt:
„Vor fünf Jahren hatten wir 270 ICE-Züge. Ende dieses Jahres sind es 360.“

Bürgerbahn antwortet:
Tatsächlich gab es 2017 330 ICE-Züge.* Wobei man bei einem solchen Vergleich den gesamten Fernverkehr als Bezug nehmen muss, also einschließlich der IC/EC-Züge. 2017 hatte die DB noch 1481 IC-EC-Reisezugwagen im Bestand. Ende 2021 waren es nur noch 1224 Reisezugwagen (bereits einschließlich der IC-2, auch als KISS bezeichnet). Das Plus an ICE-Zügen entspricht weitgehend dem Minus bei den IC-EC-Kapazitäten.

SITZPLÄTZE // LUTZ sagt:
„Wir bieten heute 55 Prozent mehr ICE-Sitze als vor fünf Jahren“.

Bürgerbahn antwortet:
Interessant sind zunächst die Zahlen insgesamt. In den meisten Regionen verkehrt nie ein ICE. Die Zahlen insgesamt – Sitzplätze bei der Deutschen Bahn in Summe (Nah- und Fernverkehr) – lauten wie folgt: Die Bundesbahn und die Reichsbahn hatten 1991 1,376 Millionen Sitzplätze. Die Deutsche Bahn AG hatte 2002 sogar 1,512 Millionen Sitzplätze. Am 31.12.2021 waren es nur noch 1,362 Millionen Sitzplätze. Also gerade mal so viel wie vor 30 Jahren. Und deutlich weniger als vor knapp 20 Jahren.**  Auch die Sitzplatzzahl im gesamten Fernverkehr (in dem die DB faktisch ein Monopol hat) liegt heute unter dem früherem Niveau. Ende 2000 wurden noch 281.000 Sitzplätze im Fernverkehr gezählt. Am 31.12. waren es nur noch 269.000.

Bürgerbahn antwortet:
Das Schienennetz wurde seit 1994 massiv VERKNAPPT. Die Betriebslänge des Netzes betrug 1994 41.300 km. 2021 waren es nur noch 33.401 km oder knapp 20% weniger. Das ist ein wesentlicher Grund dafür, dass der gewachsene Schienenverkehr mit Kapazitätsproblemen konfrontiert ist.

Im Übrigen sind zwei weitere Korrekturen anzubringen:

Der Schienenverkehr lag 2021 deutlich unter dem Niveau von vor der Pandemie, von 2019. Er erreicht 2022 bestenfalls das 2019er Niveau.
Und:  Es wächst vor allem der Schienenpersonennahverkehr. Im Schienenpersonenfernverkehr gab es 1999 noch 145 Millionen Fahrgäste. 2005 waren es noch 120 Millionen. 2019 dann 151 Millionen. Ende 2021 waren es – pandemiebedingt – 81,3 Millionen. Ende 2022 sind es bestenfalls wieder so viele wie 2019. Und dann weitgehend so viele wie 1999.

WEICHEN  // LUTZ sagt:
„Wir erhöhen jetzt die Kapazität durch den Einsatz zusätzlicher Weichen. [….] Die Österreicher und die Schweizer haben sehr viel mehr Weichen. Bei Störungen ist dort der Verkehr viel flüssiger.“

Bürgerbahn antwortet:
Der Vergleich mit den Nachbarbahnen, den der Bahnchef anstellt, ist goldrichtig.
Nur: Wir hatten in Deutschland vergleichbar viele Weichen. Doch die Zahl der Weichen haben sich seither mehr als halbiert.
1994 gab es noch 156.568 Weichen und Kreuzungen im Netz. Am 31.12.2021 waren es nur noch 65.550.
Lutz ist seit 2010 Mitglied im Vorstand der DB AG. Seither wurden mehr als 1300 Weichen aus dem Netz entfernt (Stand am 31.12.2010: 66.875 Weichen).

Winston Churchill soll gesagt haben: „Ich traue keiner Statistik, die ich nicht selbst gefälscht habe.“
Das ist fragwürdig – Statistiken sind durchaus belastbar, wenn Basis und Bezug korrekt sind. Herr Lutz nennt falsche Zahlen und nimmt fragwürdigen Bezug.  Unsere Zahlen stammen ausschließlich aus der Statistik der DB AG; Jahreshefte „Daten und Fakten“.
Sie stellen sinnvolle Bezüge her.

Bürgerbahn fordert den Bahnchef auf, in Zukunft nicht darauf zu setzen, dass es hierzulande keine Kompetenz in Sachen Schiene mehr gibt. >>Bürgerbahn – die Denkfabrik für eine starke Schiene<< hat diese Kompetenz.

* Am 31.12. 2017 gab es lt. DB AG die folgenden ICE-Züge: ICE 1 = 118. ICE 2 = 44. ICE T = 67. ICE TD = 13. ICE 3 = 80. ICE 4 = 8. Summe = 330.

** Hier müssten die massiv gestiegenen Verkehrsleistungen der Eisenbahnbetreiber, die nicht zur DB-AG zählen (private und kommunale usw.), Berücksichtigung finden. Dazu liegen uns, die Sitzplätze betreffend, keine exakten Zahlen vor. Dennoch sind unsere Zahlen aussagekräftig. Denn auch die DB Regio (= Nahverkehr der DB AG) hat ihre Verkehrsleistungen deutlich erhöht. Der parallel stattfindende Abbau der Sitzplatzzahlen besagt schlicht, dass es enger wurde in den Zügen – und dass man & frau man immer öfter keinen Sitzplatz findet.

Mitglieder bei Bürgerbahn – Denkfabrik für eine starke Schiene sind: Tom Adler (Stuttgart) / Prof. Karl-Dieter Bodack (Gröbenzell) / Ernst Delle (Schorndorf) / Dr. Christoph Engelhardt (München) / Klaus Gietinger (Saarbrücken) / Dipl.Ing. Eberhard Happe (Celle) / Johannes Hauber (Mannheim) / Prof. Wolfgang Hesse (München) / Joachim Holstein (Hamburg) / Michael Jung (Hamburg) / Andreas Kegreiß (Herrenberg) / Andreas Kleber (Schorndorf) / Ernst-Günter Lichte (Hamburg)  /Prof. Heiner Monheim (Stendorf) / Roland Morlock (Esslingen) / Andreas Müller-Goldenstedt (Hamburg) / Prof. Helge Peukert (Siegen) / Markus Schmidt (Limburg) / Dr. Winfried Wolf (Potsdam) 

V.i.S.d.P.: Dr. Winfried Wolf: 0331 – 60 08 98 43 + 0175 – 53 78 666.

Bürgerbahn – Denkfabrik für eine starke Schiene wird unterstützt von den folgenden Bahn-Initiativen: Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21, Aktionsgemeinschaft Inselbahnhof Lindau / Prellbock Altona e.V.