blog 01: Deutsche Bahn und deutscher Militarismus

Eine olivgrüne BahnCard 100 und Schienentransporte von Panzern und Bundeswehreinheiten an die russische Grenze – pünktlich zum 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs

Der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels beklagt in seinem am 28. Januar 2020 vorgelegten Jahresbericht eine unzureichende Ausstattung der Bundeswehr. Schließlich sei diese Armee „bereit zur kollektiven Verteidigung in Europa und gleichzeitig engagiert in einem Dutzend Out-of-area-Missionen weltweit.“ Positiv bewertet Herr Bartels, ein Sozialdemokrat, dass alle Soldatinnen und Soldaten seit dem 1. Januar 2020 gratis die Bahn benutzen können. Und dies dienstlich und privat; die Uniform gilt als Freifahrschein. Bartels: „Der Bund zahlt schließlich schon zig Milliarden für den Ausbau des Schienennetzes.“ Da sei es gut, wenn „das besonders staatsnahe Unternehmen“ Deutsche Bahn AG auch „eine besondere Wertschätzung der Nation“ gegenüber den Soldaten zum Ausdruck brächte.

Diese „Wertschätzung der Nation“ gegenüber dem deutschen Militarismus sieht aus wie folgt: Laut einer im Sommer 2019 getroffenen Vereinbarung zwischen der Bundesregierung, dem Bundesverteidigungsministerium und der Deutschen Bahn AG zahlt die Bundeswehr als Gegenleistung für die Freifahrt aller Soldatinnen und Soldaten der DB AG einen pauschalen Betrag von 4 Millionen Euro jährlich. Dies entspricht umgerechnet auf die Zahl der offiziell 183.687 aktiven Bundeswehrangehörigen einem Pauschalpreis für diese „Bundeswehr-BahnCard100“ von 21,78 Euro pro Person und Jahr.

Die reguläre BahnCard 100 kostet in der 2. Klasse nach der aktuellen Preissenkung 3952 Euro. Damit kostet eine „Bundeswehr-BC100“ 0,55 Prozent des offiziellen Preises einer BC100 (2. Klasse). Oder auch: Die „Wertschätzung“, die die Deutsche Bahn damit der Bundeswehr erbringt, kostet den Bahnkonzern nominell 725.931.024 Euro abzüglich der 4 Millionen Euro oder rund 720 Millionen Euro. Und dies ab 2020 Jahr für Jahr.

Um die Relationen zu verdeutlichen zwei Vergleiche: (1) Die Fernverkehrstochter der Deutschen Bahn hat aktuell einen Jahresumsatz von rund 5 Milliarden Euro. Das Geschenk, das die DB der Bundeswehr gewährt, entspricht damit 15 Prozent des Jahresumsatzes von DB Fernverkehr. (2) Es gibt insgesamt nur 55.000 BahnCard100 (1.und 2. Klasse bereits addiert). Die Zahl ist so klein, weil die DB für diese Netzkarten sehr hohe Preise verlangt (3952 Euro in der 2. Klasse und 6685 Euro in der 1. Klasse). Faktisch gibt es nun seit dem 1. Januar 2020 knapp 250.000 BC100, wobei jedoch fast drei Viertel von ihnen Geschenk-BC100 sind.

Die Bahnreform 1994 wurde unter anderem damit begründet, dass die Bahn sich am Markt und nicht an der Politik zu orientieren habe. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Die Deutsche Bahn ist so politisch, wie es seit Ende des Zweiten Weltkriegs keine Eisenbahn in Deutschland je war. Da erhalten Politiker ohne jegliche Eisenbahnerfahrung Top-Jobs im Bahnkonzern. Siehe Ronald Pofalla, der für seine Dienste als langjähriger Haussklave von Kanzlerin Merkel 2016 mit einem Vorstandsposten bei der Deutschen Bahn AG belohnt wurde. Da werden gigantische Summen an Bahngeldern dafür ausgegeben, um Bahnkapazitäten abzubauen und die Immobilienspekulation anzuheizen. Siehe das Großprojekt Stuttgart 21, bei dem mehr als zehn Milliarden Euro dafür eingesetzt werden, einen gut funktionierenden Kopfbahnhof mit 16 Gleisen in den Untergrund zu verlegen und auf acht Durchfahrgleise zu reduzieren. Da wird die Deutsche Bahn AG in den Dienst der Militarisierung der Gesellschaft gestellt. Siehe die erwähnte olivgrüne BahnCard 100.

Siehe aber auch – und das ist ein nochmals größerer Skandal – die Beteiligung der Deutschen Bahn am aktuellen Großmanöver der Nato „Defender 2020“. Im Rahmen dieses Großmanövers werden fast 40.000 Soldatinnen und Soldaten, darunter große Verbände aus den USA und Einheiten der Bundeswehr, „durch 10 Länder gen Osten fahren“ – so eine Verlautbarung der Bundeswehr. Weiter in diesem O-Ton: „Der Hauptverlegezeitraum“ dieser Einheiten an die russische Grenze „reicht von Februar bis in den Mai 2020“. Das Manöver beginnt also, wenn wir an die Befreiung der Überlebenden des NS-Vernichtungslagers Auschwitz gedenken. Und es endet, wenn wir an das Ende des Zweiten Weltkriegs, der maßgeblich ein Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion war und der insbesondere in Russland, Weißrussland und der Ukraine Millionen Tote gefordert hat, erinnern.

PS: Zu der Großzügigkeit einer Bundeswehr-BahnCard100 wird ein Bahnkonzern gezwungen, der gegenüber den eigenen Beschäftigten immer knausriger wird, was die Bahnfreifahrten betrifft. Sie wird Leuten gewährt, die als Berufssoldaten für ihren „Job“ gut bezahlt werden. Keine im Bundestag vertretene Partei hat es gewagt, dieses gewaltige, mit Steuern und letzten Endes auch mit Bahnfahrpreiserhöhungen bezahlte Geschenk zu kritisieren. Oder wenigstens einzufordern, dass dann analog die Hunderttausende ehrenamtlich Tätigen in unserem Land solche Bahnnetzkarten erhalten sollten: Zu nennen wären u.a. Feuerwehrleute, Mitarbeitende des Technischen Hilfswerks, der Bergwacht und insbesondere die Menschen, die sich im Mittelmeer auf Rettungsschiffen und im Land ehrenamtlich für Flüchtlinge bzw. Geflüchtete engagieren.

PPS: Es wäre zu wünschen, dass kreative Start-ups entstehen, die verbunden mit dezentem Hinweis auf die großzügigen Deutsche Bahn AG-Bestimmungen über Freifahrten in Uniform schicke Bundeswehr-Kleidung (Tarnfarben, Ausgehuniformen; mit und ohne Orden; unterschiedliche Rangabzeichen etc.) zu günstigen Preisen via Internet anbieten. Das soll ja in Bälde möglich sein mittels 3D-Druckern „unter Verwendung unterschiedlicher Materialien und in Kombination mit einem dehnbaren, biologisch abbaubarem Gewebe“ (siehe: https://www.3d-grenzenlos.de/magazin/thema/kleidung-3d-drucker/)