Der Kosovo-Krieg, die deutsche Politik und die Zeitung gegen den Krieg

Während des Kosovo-Kriegs gab es in der deutschen Bevölkerung eine deutliche Mehrheit gegen den Krieg und insbesondere gegen die Beteiligung deutscher Soldaten in diesem Krieg. Nach unterschiedlichen Umfragen waren zwischen 55 bis 65 Prozent gegen den Krieg. Doch im Parlament gab es eine Mehrheit von 93 Prozent der Abgeordneten für den Krieg. Die Partei des Demokratischen Sozialismus – PDS (heute: DIE LINKE) war die einzige Fraktion, die gegen den Krieg Stellung nahm – und dies geschlossen.

Die PDS war nach den Bundestagswahlen vom September 1998 erstmals als Fraktion mit insgesamt 36 Abgeordneten vertreten. Trotz ihrer grundsätzlichen Gegnerschaft zum Krieg stand die PDS bei den gegebenen Bedingungen unter einem immensen Druck. Als z.B. am 16. Januar 1999 die fake news zu Racak die Medien überfluteten, nahm auch die PDS-Fraktion die Darstellung der NATO für bare Münze und gab Erklärungen ab, in denen von einem „Massaker“, das „die jugoslawische Regierung zu verantworten“ habe, die Rede war.

Bereits Anfang April, knapp zwei Wochen nach Beginn des Nato-Bombenkriegs, erschien die neu gegründete „Zeitung gegen den Krieg – ZgK“. Im Impressum stand: „Die Zeitung gegen den Krieg wird herausgegeben von der PDS-Fraktion im Bundestag. Verantwortlich im Sinne des Pressegesetzes: Winfried Wolf, Bundeshaus, 53113 Bonn…“ Bis Mitte April waren drei Ausgaben erschienen; Nr. 3 hatte eine vertriebene Druckauflage von 250.000 Exemplaren. Am 15. April fand eine Bundestagsdebatte zum Krieg statt. In dieser polemisierte der Fraktionsvorsitzende der SPD, Peter Struck, gegen die Zeitung mit den Worten: „Ich möchte hier […] für meine Fraktion deutlich ausdrücken, wie peinlich ich den Vorgang des Besuches von Herrn Gysi in Belgrad und seine Begegnung mit Herrn Milosevic finde, [Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.] und darauf hinweisen, dass mir hier eine Zeitung vorliegt, herausgegeben von der PDS im Deutschen Bundestag, in der der Bundesminister der Verteidigung, Herr Kollege Rudolf Scharping, als „Kriegsminister“ diskreditiert wird. [Zuruf von der CDU/CSU: Pfui!] Ich weise diese Unerhörtheit deutlich zurück. [Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP].“ In ähnlicher Weise äußerte sich der Verteidigungsminister Rudolf Scharping, der dabei besonders kritisierte, dass „diese Zeitung mit Steuermitteln“ finanziert werden würde (sie wurde finanziert mit den Mitteln, die der PDS-Fraktion nach Recht und Gesetz zur Verfügung standen).

Darauf beschloss eine Mehrheit der PDS-Bundestagsfraktion, ab sofort keine Gelder mehr für die „Zeitung gegen den Krieg“ zur Verfügung zu stellen und damit die Zeitung einzustellen. Die „Zeitung gegen den Krieg“ erschien allerdings weiter. Ab Nr. 4 stand im Impressum: „Herausgegeben von Tobias Pflüger, Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V., Tübingen, und Dr. Winfried Wolf, MdB.“ Ergänzend wurden im Impressum 14 PDS-MdBs (das waren knapp 40 Prozent der Fraktion) aufgeführt, die die ZgK weiter (auch mit Geld) unterstützten. So konnten während des Krieges und bis Juni 1999 noch drei weitere Ausgaben erscheinen. Die Auflage lag nun allerdings „nur“ bei 50.000 Exemplaren je Ausgabe. Nun musste die Zeitung auf Rechnung vertrieben werden. Und es war nicht einfach war, in wenigen Tagen eine den Bedürfnissen in der Bevölkerung entsprechende Vertriebslogistik aufzubauen.

Wenn ich heute die Protokolle der Bundestagsplenardebatten während des Krieges lese – und dabei insbesondere das Augenmerk auf die Beiträge von ansonsten ernsthaften ehemaligen Kollegen aus der SPD und den Grünen werfe – dann sehe ich wieder die Bilder dieser unglaublichen Macht der Manipulation und der Hetze vor mir, die mit jedem Krieg verbunden ist und die in der konkreten Konstellation, in der sich die Bundesrepublik Deutschland damals befand, besonders fatal wirkte.

Grüne und SPD trommelten für einen Krieg

Der Tabubruch Kosovo-Krieg hatte zwei entscheidende Voraussetzungen. Erstens die Einbindung von SPD und Grünen. Dieser Krieg mit maßgeblicher deutscher Beteiligung wäre nicht möglich gewesen, wenn im September 1998 Helmut Kohl die Wahl gewonnen und SPD und Grüne Oppositionsparteien geblieben wären. Die zweite Voraussetzung war: SPD und Grüne als Regierende mussten das Ja zum Bruch von Völkerrecht und Verfassung besonders engagiert und zynisch-demagogisch begründen, dabei die verbrecherische deutsche Politik im Zweiten Weltkrieg auf den Kopf stellend. Das klang beim Bundeskanzler Gerhard Schröder, SPD, so: „Wir […] sind aufgerufen, eine friedliche Lösung im Kosovo auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen.“Der Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping, SPD, argumentierte wie folgt: „Inzwischen werden im Kosovo [von den Serben] offensichtlich Konzentrationslager eingerichtet.“ Ludger Volmer, Staatssekretär der Grünen, behauptete: „Das, was Milosevic betreibt, ist Völkermord. Er bedient sich der gleichen Kategorien, deren sich Hitler bedient hat.“ Der deutsche Außenminister Joseph Fischer, Grüne, benutzte die Sprache des Kriegsverherrlichers Ernst Jünger: „Jetzt werden die Grünen gehärtet oder zu Asche verbrannt.“

Nach Abschluss des Waffenstillstands am Ende des Kosovo-Kriegs marschierten 50.000 NATO-Soldaten im Kosovo ein. Darunter auch einige Tausend deutsche Bundeswehr-Soldaten. Sie wurden von der albanisch-kosovarischen Bevölkerung überwiegend freudig begrüßt; nicht selten mit dem Hitler-Gruß. Dazu hieß es im „Leitfaden für Bundeswehrsoldaten im Kosovo“, herausgeben im Juni 1999 vom „Amt für Nachrichtenwesen der Bundeswehr“: „Es ist nicht auszuschließen, dass Sie von Verwandten oder Freunden ehemaliger Angehöriger der SS-Division ´Skanderberg´ [einer unter dem NS-Regime in Großalbanien dienenden Einheit; W.W.] oder albanischer Partisanenbataillone […] auf geschichtliche Bezüge angesprochen werden. Die Motive hierfür müssen nicht unbedingt in der Heroisierung der deutschen Vergangenheit liegen. Es ist denkbar, dass der Betreffende in seiner Sympathie für Deutschland […] einen Anhaltspunkt sucht, um eben diese Begeisterung bei unzureichenden Sprach- und nur punktuellen Geschichtskenntnissen zum Ausdruck zu bringen. Er könnte genauso gut einen deutschen Fußballer nennen.“

Drei Lehren

Die Begründungen für den NATO-Krieg wurden bald nach dem Krieg erst gar nicht mehr vorgetragen. Was in Račak passierte, ist zumindest nicht aufgeklärt; sehr viel spricht dafür, dass es sich um eine Manipulation, organisiert von der UCK, handelte. Der deutsche Verteidigungsminister Scharping hatte behauptet, serbische Kommandos verfolgten eine „Operation Hufeisen“. Er verfüge über „einen Beweis dafür, dass schon im Dezember 1998 eine systematische Säuberung und Vertreibung der Kosovo-Albaner geplant waren.“ Dieser Hufeisenplan entpuppte sich bald als pure Fälschung eines westlichen Geheimdienstes.

Das Hauptanliegen der „humanitären Intervention“ hatte gelautet, man müsse eine ethnische Säuberung des Kosovo verhindern. Einmal abgesehen davon, dass der Westen in den Jahren zuvor gestattet hatte, dass 1995 rund 200.000 Serbinnen und Serben aus der Krajina, in Kroatien, von der kroatischen Armee vertrieben worden waren, besteht das Resultat des Kriegs in einer neuen, groß angelegten ethnischen Säuberung. Mehr als 250.000 Serben, slawische Moslems und Roma mussten nach dem Krieg den Kosovo verlassen. Viele hundert wurden unter den Augen der NATO-Truppen, die nach dem Waffenstillstand in den Kosovo einrückten, von UCK-Kommandos ermordet.

Drei Lehren sind zu ziehen: <I>Erstens<I>. Die Kräfte, die Kriege vorbereiten, sind gewaltig. Es kommt zu einem umfassenden Prozess der Gehirnwäsche für Millionen. Darauf müssen wir auch in Zukunft vorbereitet sein. <I>Zweitens<I>. Die Triebkräfte, die hinter dem Kosovo-Krieg standen, waren überwiegend „nur“ politische – solche, die mit dem US-Konzept der „new world order“ verbunden waren (siehe Seite 5). Ein kommender großer Krieg wird in weit stärkerem Maß zusätzlich von ökomischen Triebkräften befeuert werden. Siehe der sich hochschaukelnden Handelskrieg.<I>Drittens<I>. Wir müssen den Kampf für den Frieden wieder ins Zentrum rücken. Willy Brandt hatte recht mit dem Satz: „Frieden ist nicht alles. Aber ohne Frieden ist alles nichts.“

Dieser Beitrag erschien erstmals in der Zeitung gegen den Krieg, Nr. 44, März 2019

(Winfried Wolf war 1994 bis 2002 Bundestagsabgeordneter der PDS und gründete in dieser Funktion die ZgK im März 1999)