Vergangenheit und Zukunft der EU

Unsere frühere und zukünftige Positionierung zur EU

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Die EWG/EG erschien in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens fortschrittlichen und links orientierten Menschen als ein „neutrales“ oder auch als ein positiv besetztes Projekt. Nie wieder Krieg (in Europa)“; „keine Grenzen und Zölle (in Westeuropa)“, „Freizügigkeit (in der EWG/EG)“ standen im Zentrum dessen, was mit der EWG/EG verbunden wurde. Es lässt sich darüber debattieren, ob diese Einschätzung richtig war. Immerhin standen bei der Geburt der EWG der Versuch, den ehemaligen Rüstungskonzernen im EWG-Bereich mit der EGKS einen sanften Übergang in die zivile Wirtschaft zu ermöglichen und Überkapazitäten abzufedern, stand mit EURATOM von vornherein das EWG-Projekt des Ausbaus der Atomenergie auf EU-Ebene, und gab es von Anfang an mit der EVG und später der WEU den Versuch, eine europaweite Armee aufzubauen, deren Gegner von Anfang an die Sowjetunion bzw. der Warschauer Pakt war, wobei sich EVU bzw. NATO eng an die NATO anlehnen sollten.

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Die EWG war von vornherein ein Projekt zur Vereinheitlichung der Wirtschaft und zur Umsetzung von Freihandel im jeweiligen EWG/EG-Raum. Dabei war von Anfang an klar, dass dies die Starken STÄRKER MACHEN und in der Regel auch die Schwachen schwächer machen würde. Letzteres dann, wenn es nicht ausreichende Instrumente für einen Ausgleichs eingerichtet werden würden (was zeitweilig erfolgte).

Demokratie spielte in der EWG/EG nie eine ernsthafte Rolle. Wahlen und parlamentarische Gremien waren zunächst gar nicht vorgesehen. Als später auch parlamentarische Strukturen eingeführt wurden, wirkten diese von vornherein als aufgesetzt. Sie sind es bis heute. Dem Europaparlament werden elementare Rechte eines „normalen“ bürgerlich-demokratischen Parlaments vorenthalten. Wenn sich die Bevölkerung eines Landes gegen ein zentrales EU-Projekt aussprsch, galt die Regel: weiter und neu wählen, bis das Ergebnis stimmt. Das ist auch heute die Grundregel beim EU-Umgang mit dem Brexit: Man fordert die britische Bevölkerung auf, im Parlament oder in Form eines neuen Referendums so lange abzustimmen, bis das Ergebnis im Sinne der Rest-EU und der Banken und Konzerne in der Rest-EU „stimmt“.

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Das Projekt EG/EU wurde nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Comecon-Staaten „dynamisiert“. Mit dem Maastrichter und Lissabonner Vertrag und mit der Einführung des Euros entwickelte sich die EU zunehmend zu einem Block, in dem sich dessen führende Organe (EU-Kommission, Rat), die in der EU führenden Staaten bzw. deren Regierungen und in der Regel auch die in der EU führenden Konzerne und Banken sich als Teil der innerimperialistischen (innerkapitalistischen) Konkurrenz sahen. Zunächst als Teil der Triaden-Konkurrenz (NAFTA / Japan / EU), inzwischen zunehmend als Teil der neu sich herausbildenden Blockkonkurrenz USA/Kanada – China – EU. Dass es dabei auch transatlantische Bande und teilweise auch deutsch-russische Verbindungen gibt, ist bekannt und muss hier nicht näher ausgeführt werden. Im gleichen Maß, wie es diese „Dynamisierung“ nach außen gab, verschärfte sich in der EU der Kurs auf Austerität. Die verschärfte Block-Konkurrenz nach außen wurde logisch ergänzt durch den verschärften Klassenkampf von oben. In der Folge vergrößert sich in der EU wie in Nordamerika die Spanne zwischen Reich und Arm massiv.

In dem Zeitraum 1990 bis 2008, in der es eine solche erste Phase der „Dynamisierung der EU“ gab, gab es auch seitens von fortschrittlichen Kräften, seitens der Linken und dann, nach ihrer Gründung, seitens ATTAC eine Kritik an der EU mit den berechtigten, oft im Detail ausgearbeiteten Forderungen nach einer umfassenden Demokratisierung. In dieser Zeit gab es bereits eine „Fundamentalopposition“ gegen das Projekt EU. Es ist heute müßig zu debattieren, welche der beiden Seiten eher eine damals sinnvolle Orientierung verfolgt hat.

Die These sei jedoch aufgestellt, dass inzwischen die Position, die auf eine Demokratie-Reform der EU setzt, nicht mehr diejenige des WB von ATTAC sein sollte.

Dafür gibt es vier Gründe: Erstens den Euro. Zweitens die Griechenland-Krise. Drittens die Flüchtlingskrise. Und viertens das Projekt Militarisierung der EU durch PESCO.

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Bei der Einführung des Euro Ende der 1990er Jahre gab es die Warnung, auch später unterstützt von relevanten Teilen von ATTAC, dass eine solche Einheitswährung in der EU spalterisch wirkt und insbesondere die nicht wirtschaftlich hochproduktiven Ökonomien ins Hintertreffen geraten lassen wird. Dabei hatte es mit dem EWS 1979 bis 1992 ja auch eine Art „Großversuch“ in Sachen Einheitswährung gegeben. Er war 1992 krachend gescheitert – mit eben dieser Bilanz. Damals konnten eher schwache Länder das noch durch drastische Abwertungen ihrer Währung ausgleichen (im Fall der italienischen Lira um mehr als 50 Prozent gegenüber der DM im Zeitraum 1979 bis 1992). Mit dem Euro wurde diesen Ländern diese Möglichkeit genommen. Seither erleben wir, wie wenige wirtschaftlich starke Länder (so Deutschland und Österreich) gewaltige Leistungsbilanzüberschüsse erzielen, während die ökonomisch schwächeren Länder in der Regel große Defizite in der Leistungs- und Handelsbilanz ausweisen. Entsprechend hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten das soziale und wirtschaftliche Gefälle zwischen den einzelnen EU-Ländern enorm vergrößert.

Im Übrigen wirkte bereits die Einführung des Euro spalterisch. Von vornherein war klar, dass ein Teil der EU-Länder diesen Schritt nicht gehen würde. Es entwickelten sich in der EU neue Strukturen, die noch weniger demokratisch, genauer: die anti-demokratisch und elitär waren und sind. Dies trifft insbesondere zu auf die Eurogroup und die EZB.

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In der Griechenlandkrise 2015/16 – deren Ablauf im Umgang mit Zypern ein brutales Vorspiel erlebt hatte – wurden der zutiefst undemokratische Charakter der EU und ihr unsoziales und unmenschliches Wirken gerade in Krisenzeiten verdeutlicht. Die neu geschaffenen Euro-Länder-Strukturen Eurogroup und Troika (letzteres formal zusammen mit dem IWF) wurden gegen Griechenland und dessen Bevölkerung in einer Weise eingesetzt, dass flächendeckend geltendes Recht (Verfassung in Griechenland; Grundsätze der EU) gebrochen und gegen die Demokratie in krasser Weise verstoßen wurde. Letzteres im Fall des Negierens des Referendums vom Juli 2015, mit dem – trotz massiver Repressalien (geschlossene Banken) – mehr als 62 Prozent der griechischen Bevölkerung ein neues Memorandum (eine Fortsetzung und Verschärfung der Austeritätspolitik) abgelehnt hatten.

Dabei ist festzustellen: Das Vorgehen im Fall Griechenland war auch auf rein ökonomischer Basis nicht erfolgreich. Trotz Reduktion der Einkommen und Renten um mehr als 30 Prozent, trotz Ausverkauf von „Tafelsilber“ und trotz einer seit nunmehr gut sieben Jahre währenden Wirtschaftskrise respektive Stagnation ist das Land so hoch verschuldet wie nie zuvor, liegt die Arbeitslosenquote auf Rekordniveau, wandern Jahr für Jahr Zehnausende vor allem junge Griechinnen und Griechen aus und liegt die Wirtschaft am Boden.

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In der Migrationskrise erwies sich und erweist sich die EU unfähig, elementare Formen des Ausgleichs neuer finanzieller und sozialer Bürden zu praktizieren. Sie lässt die Mittelmeerländer, insbesondere Griechenland und Italien, allein. Gleichzeitig entwickelt die EU mit Schenken und der militarisierten Außengrenzen ein unmenschliches Grenzregime.

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Wie erwähnt, hatte das Projekt EWG/EG von vornherein die Komponente einer Militarisierung. Das wurde seit der „Dynamisierung“ des Projekts nach der Wende beschleunigt. Zunächst in der Art und Weise, wie auf die Krise in Jugoslawien reagiert wurde. Die vorzeitigen diplomatischen Anerkennungen der „Ausgründungen“ beschleunigten die Krise und begünstigten die Balkankriege. Sodann Mitte der 1990er Kriege, als die EU sich in keiner Weise in der Lage sah, in den neuen Kriegen auf dem Balkan friedensstiftend zu wirken. Schließlich im Kosovokrieg 1999, als die führenden EU-Staaten sich aktiv an einem völkerrechtswidrigen Krieg beteiligten und sich den USA sklavisch unterordneten. Auch heute, im 20. Jahr des NATO-Angriffskriegs auf die Bundesrepublik Jugoslawien gibt es keinerlei Einlenken, keinerlei Selbstkritik. Im Gegenteil, der Kurs von 1998, gegebenenfalls Krieg bei Bruch des Völkerrechts zu führen, wird explizit bestätigt.

Als im November 2018 in Paris das hundertste Jubiläum des Ende des Ersten Weltkriegs begangen wurde, wurde mit der Hack- und Sitzordnung deutlich gemacht, in welcher Traditionsich führende EU-Länder sehen. Der Präsident des Kosovo, den die USA und die EU 1998 noch zu Recht als Terroristen und Anführer der Mörderbande UCK gesehen hatten, durfte neben den Mächtigen wie Macron und Merkel Platz nehmen. Der Präsident Serbiens . dessen Land im Ersten Weltkrieg bis zu einem Drittel seiner Bevölkerung verlor – musste sich mit einem Büßerbänkchen abseits begnügen.

Ende 2017 kam es zu einer neuen Steigerung des Militarisierungsprozesses der EU – zur Bildung von PESCO (Ständige Strukturierte Zusammenarbeit). Damit wird die EU ein weiteres Mal gespalten; Dänemark und Malta bleiben bewusst außerhalb der PECSO. Es handelt sich um ein Bündnis innerhalb der EU, das sich die Militarisierung der EU zum Ziel setzt. Unter anderem verpflichtet PESCO die Mitgliedstaaten – analog dem 2%-BIP-Ziel der NATO für den Rüstungsetat – die Rüstungsausgaben in jedem PESCO-Staat von Jahr zu Jahr anzuheben.

PESCO ist eine logische Fortsetzung des Kurses, aus der EU einen neuen großen (Bundes-) Staat oder Staatenbund zu machen, der primär die Interessen der großen Banken und Konzerne in der EU-Region vertritt und der sich einen militärischen Arm schafft, um die innerkapitalistische Konkurrenz gegebenenfalls militärisch zu „untersetzen“.

Es wird an der Zeit, den glauben an eine Reformierbarkeit der EU aufzugeben. Sich für eine Demokratie von unten einzusetzen. Wenn es irgendeine Art regionalen Bezug unserer Solidarität und unserer Modelle für eine zukünftige friedliche Struktur des Zusammenlebens geben soll, dann sollten wir eher auf eine Art „Haus Europa“ in den Blick nehmen, wie es von Gorbatschow und Franz Alt propagiert wird, also ein Modell und eine Region, die ganz Osteuropa und Russland einschließt.

Dieser Beitrag wurde erstmals Ende März 2019 für eine Debatte innerhalb des Wissenschaftlichen Beirats von Attac verfasst.