Wer, wenn nicht Charly! – Eine Würdigung von Karl Schweizer

Der Kulturpreis 2022 der Stadt Lindau:

Seit vielen Jahren erhalte ich alle paar Monate eine Werbe-E-Mail des Fünf-Sterne-Hotels Bayerischer Hof in Lindau. In der letzten, datiert auf den 20. Januar 2022, erklärt das Hotel-Management, man habe im Corona-Jahr „das Beste aus einer schwierigen Zeit gemacht“ und dies „verdanken wir Ihnen und Ihrer treuen Verbundenheit“. Nun habe ich zwar am 1. Oktober 2021 im – dann noch outgesourcten – Café dieses Hotels einen Espresso bestellt (und diesen dankend bzw. bezahlend erhalten). Und Vergleichbares – mal um eine Schwarzwälder-Kirsch-Torte ergänzt – mag sich in den Jahren zuvor bei meinen regelmäßigen Besuchen am Bodensee abgespielt haben. Doch mehr trug ich zum Gedeih des First-Class-Hotels mit First-Class-Blick auf Hafen, Bodensee, Bahnhof und Alpen nicht bei. Und doch gibt es einen tieferen Grund für die regelmäßigen Werbe-E-Mails des Hotels. Und der hat – ohne dass das Hotel-Management davon Kenntnis hat – viel mit einem Menschen zu tun, der in diesen Tagen mit dem Kulturpreis der Stadt Lindau geehrt wird.

Mensch, Charly, wer, wenn nicht Du!?

Karl – Charly – Schweizer ist seit den 1970er Jahren in den Regionen Oberschwaben, Bodensee, Allgäu und insbesondere Lindau als kämpferischer linker Geist und geistreicher linker Kämpfer präsent. Er war Teil eines Teams, das 1981 das alternative, linke Blatt „Südschwäbische Nachrichten“ gründete; er blieb dieser für die linke und für die Antifa-Szene der Region wichtigen Publikation bis zu ihrer Einstellung im Jahr 1991 eng verbunden.[1] Er ist seit den 1970er Jahren aktiv in der Friedensbewegung, in DGB und GEW. Er engagiert sich seit rund vierzig Jahren in unterschiedlichen fortschrittlichen Projekten, Zusammenhängen und bei diversen Antifa-Aktivitäten. Charly war bis 2016 Lehrer, überwiegend tätig an der Pestalozzi-Werkrealschule in Friedrichshafen. Spaziert man mit ihm durch diese Bodensee-Stadt, dann gibt es fast immer freundschaftliche Begegnungen mit Kolleginnen und Kollegen aus dem ehemaligen Lehrerkollegium und vor allem mit ehemaligen Schülerinnen und Schülern, nicht wenige mit migrantischem Hintergrund.

Lokalhistoriker

Nun gelten Antifa-Aktivitäten, Antikriegsengagement und klassenkämpferische Gewerkschaftsarbeit nicht nur im bayerischen Lindau den Oberen als eher nicht salonfähig. Und schon gar nicht als kulturpreiswürdig. Was dennoch dazu geführt haben dürfte, dass die Verantwortlichen in der Stadt Lindau über den einen und anderen Schatten sprangen und Karl Schweizer den Kulturpreis 2022 der Stadt verliehen, dürften dessen Tätigkeiten als Autor von Büchern und von Zeitungsartikeln gewesen sein und seine vielfachen Arbeiten als Regional- und Stadthistoriker. Schweizer ist Verfasser von rund einem Dutzend Broschüren und Büchern zur Geschichte von Lindau und der Bodensee-Region – beispielhaft genannt seien „Lindau und der Erste Weltkrieg“, „Lindau und die Zeit der Bürgerrevolution von 1848/49“, „Jakobiner am Bodensee“, „Novemberrevolution 1918 und Räterepublik 1919 – Sozialisten und Kommunisten in Lindau und Umgebung“, „Lindauer Frauengeschichten“ und – erst 2021 erschienen und bereits wieder vergriffen – „170 Jahre Eisenbahn in Stadt und Landkreis Lindau. 100 Jahre Bahnhofsgebäude Lindau-Insel“.[2] Oft waren diese Bücher damit verbunden, dass Teile daraus – meist im Vorfeld der Verarbeitung zu einem Buch – als Artikel in der „Lindauer Zeitung“, einem Ableger der „Schwäbischen Zeitung“, erschienen.

Politik lokal und regional

Charly gehörte lange Zeit zum inneren Kreis der Bunten Liste Lindau, die seit 1982 existiert, die seit 1984 im Lindauer Stadtrat vertreten ist und die inzwischen dort die stärkste Fraktion stellt. Er ist weiter mit den Aktiven und Stadtratsmitgliedern der Bunten Liste freundschaftlich verbunden. Seit einigen Jahren vertritt er als Mitglied im Kreisrat Lindau die Partei DIE LINKE. Und es sind immer wieder Großprojekte der Oberen in Stadt und Kreis, der Bau- und Beton- und Spekulationslobby, die von der LINKEN und von der Bunten Liste bekämpft werden – wobei Charly bei diesen Aktivitäten so gut wie immer eine vorantreibende Rolle spielt. Wenn man diese Kämpfe auf einen Nenner bringen will, dann geht es fast immer um Widerstand gegen die Zerstörung von Urbanität, von Lebensqualität, von Natur und Umwelt – und um die Zurichtung von Stadt und Umland entsprechend den Interessen der Autogesellschaft, der Immobilienspekulation und der Yuppie-Spaßgesellschaft.

Das betrifft ganz aktuell den geplanten Bau eines großen neuen Parkhauses für 500 Autos direkt vor der Insel, am Karl-Bever-Platz. Als ob die wunderbare Insel mit ihren schönen alten Bauten und engen Gassen nicht schon genug unter der Blechlawine zu leiden hätte. Das betrifft das Engagement, auf der „Hinteren Insel“ neben einem Bürgerpark ein Quartier für „finanziell erschwingliches Wohnen“ zu errichten. Das betrifft den langjährigen Kampf gegen die Aufgabe eines bestehenden Hallenbades in der Bregenzer Straße und eines Freibads am Eichwald direkt am Bodensee-Ufer, wobei an dessen Stelle eine sündhaft teure, die Stadtfinanzen massiv belastende Therme gebaut werden sollte – und inzwischen gebaut wurde.[3] Was, wie unschwer zu erwarten war, zu Weiterungen führt und inzwischen um das Vorhaben eines großen Pkw-Stellplatzes in direkter Umgebung der Therme ergänzt wird, womit die Vernichtung von mehreren Dutzend Kleingärten verbunden sein würde.

Und wie das bundesweit fast überall der Fall ist, so handelt es sich bei all diesen Aktivitäten überwiegend um Verteidigungskämpfe, um Rückzugsgefechte, um Hier-steh-ich-und-ich-kann-nicht-anders-Engagements. Doch auch diese müssen mit Energie, mit Witz und nicht zuletzt mit Würde geführt werden. Und Charly gehört zu denen, die auch diese Defensiv-Kämpfe nach dem Motto führen: Man muss sich am nächsten Tag im Spiegel doch noch ansehen – und erkennen! – können.

Und: Man muss – so sieht das jedenfalls Charly fast immer – all das immer auch in einem großen und historischen Zusammenhang sehen. Nehmen wir das Beispiel drohende Demo-Verbote wegen der Pandemie-Auflagen. Als die Gewerkschaft der Polizei ein solches allgemeines Verbot von Kundgebungen und Demonstrationen Anfang 2021 forderte, veröffentlichte Karl Schweizer am 5. Januar 2021 eine Presseerklärung, in der es heißt, er widerspreche „diesem Ansinnen der Polizeigewerkschaft, da dies „die Gefährdung des seit dem Bauernkrieg vor rund 500 Jahren über Jahrhunderte hinweg mühselig erkämpften Volksrechts auf öffentliche Versammlung und gemeinsame Bekundung oppositioneller Meinungen beschädigen würde.“ Es dürfe nicht sein, dass […] der Zynismus, die Demagogie und die Rücksichtlosigkeit“ der Querdenker und Schwurbler zu „diesem antidemokratischen Sieg“ führen würde. Mal ehrlich: Einen derart großen 500-Jahre-plus-x-Bogen zu schlagen, gewissermaßen von der Covid-19-Pandemie ins Pest-Zeitalter zurückzublenden, darauf kommt kaum ein anderer als Comrade Charly himself.

Ein bisschen Weltpolitik

Und wenn ich schon mal bei diesen höheren Ebenen der Politik bin, dann sei an ein Ereignis erinnert, bei dem Lindau hoch auf die Ebene der Weltpolitik, naja, zumindest auf das Hochplateau der EU-Politik rückte – und wo Charly Sand ins Getriebe der Großkotz-Politik streute. Anfang September 1994 hatte der damalige Bundesfinanzminister Theo Waigel die EU-Finanzminister nach Lindau geladen. Auf der Tagesordnung stand die geplante Einführung der EU-Einheitswährung, der – damals noch – umstrittene Name einer solchen Währung („Ecu“ oder „Euro“?) und die EU-weite Sparpolitik auf dem Rücken der kleinen Leute, die mit dem zwei Jahre zuvor beschlossenen Maastricht-Vertrag verschärft werden sollte. Und wo trafen sich damals die Herren (und nix da mit gendern: es gab in echt keine Frau in dieser Runde)? Natürlich im Bayerischen Hof! Und was mussten die Herren EU-Finanzminister bei geweitetem Blick auf den See, auf das Hafenbecken und auf die Kai-Mauern sehen? Auf der Balustrade des Neuen Leuchtturms an der Hafenausfahrt, 139 Stufen oder 25 Meter hoch und rund 200 Meter von der Terrasse des „Bayerischen Hofs“ entfernt, wurde ein riesiges Transparent entrollt, auf dem mit großen Lettern zu lesen war: Gegen „das Europa der Banken und Konzerne.“ Charly hatte die Aktion generalstabsmäßig geplant, ich durfte dabei sein.

Das Projekt „Zerstörung des Inselbahnhofs“

Große Politik mit Charly mittenmang hin und Engagement als Lokalhistoriker her – es gibt einen Aspekt in der Arbeit des Karl Schweizer, der in besonderem Maß kulturpreiswürdig ist. Charly hat maßgeblich dazu beigetragen, dass es in Lindau auf der Insel bis zum heutigen Tag ein Juwel gibt, nämlich den Inselbahnhof. Und das ist und war ein Kampf, der nunmehr ziemlich genau seit einem Vierteljahrhundert andauert.

Ich zitiere aus der Lindauer Zeitung vom 29. April 1997 die Meldung zu diesem historischen Vorgang: „Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG, Heinz Dürr, Bayerns Wirtschafts- und Verkehrsminister Otto Wiesheu und Lindaus Oberbürgermeister Jürgen Müller bekräftigten gestern auf einer Pressekonferenz, dass sie dazu tendieren, den Bahnhof aufs Festland zu verlagern. Eine Schienenverbindung zur Insel ist nicht vorgesehen. Der Bahnchef rechnet damit, dass das gesamte Bahnhofsprojekt in vier bis fünf Jahren abgeschlossen ist. Diese Entscheidung bestimmt, wie Lindau in 20 oder 30 Jahren aussehen wird. Die Kosten des gesamten Projekts bezifferte Dürr auf rund 70 Millionen Mark.“ Wobei die Formulierung, wonach die Herren zur Verlegung des bestehenden Bahnhofs weg von der Insel „tendieren“ würden, sich als geschwurbelt erwies. Das war aus Sicht der Deutschen Bahn AG und der Stadtoberen damals bereits ein in Stein gemeißelter Beschluss. Er beruhte auf demselben Vorgehen, das der damalige Bahnchef Heinz Dürr auch in Stuttgart beim Projekt Stuttgart 21 an den Tag gelegt hatte – auf der Überrumpelung der Öffentlichkeit und der Schaffung vollendeter Tatbestände.[4] Und die Aufgabe des Lindauer Inselbahnhofs war – und ist! – natürlich Teil der kurz zuvor, 1994, mit der „Bahnreform“ durchgesetzten Bahnprivatisierung und Teil der Orientierung des Bahnkonzerns und vor allem dessen Tochter DB Netz auf die Verscherbelung des wertvollen, in 180 Jahren Geschichte angehäuften Eisenbahn-Immobilien-Vermögens. Die großen Vorhaben der Bahnhofszerstörung in Stuttgart, Frankfurt am Mai und München wurden ergänzt um ein Projekt wie dasjenige am Bodensee.[5]

Zurück nach Lindau: Die Operation Überrumpelung der Öffentlichkeit schien geglückt – bereits am Tag nach der genannten Pressekonferenz erklärten laut Lindauer Zeitung „alle Fraktionssprecher der im Stadtrat vertretenen Gruppierungen ihr grundsätzliches Einverständnis mit den Bahnhofsverlegungsplänen in einen Festlandsstadtteil“. Am 20. Juni legte sich die Industrie- und Handelskammer auf Reutin als Ort für den „neuen Hauptbahnhof“ fest. Und am 23. Oktober desselben Jahres sprachen sich die entscheidenden Strukturen der damals in Lindau noch absolut vorherrschenden CSU für die Verlegung des Bahnhofs weg von der Insel aus – wobei sie die aus der Stuttgart 21-Demagogie bereits bekannte Formulierung wählten, damit böte sich „eine einmalige Chance, städtebauliche Ideen umzusetzen und die Insel wieder zu einer Einheit werden zu lassen.“[6]

Die Schiene als Spalter der Insel… seit 1854!? Als ob die Oberen und die gesamte Bevölkerung der Stadt Lindau Anfang der 1850er Jahre nicht sehnlichst auf die Ankunft der in Bau befindlichen Ludwig-Süd-Nord-Bahn auf die Insel selbst gewartet hätten!? Als ob die Feierlichkeiten für diese historische Bahn nicht auf Wunsch der Stadt-Oberen ausdrücklich auf den 13. Juli 1854 verschoben worden wären, also auf einen Zeitpunkt, an dem die Züge auch auf die Insel und nicht bloß an das Bodensee-Ufer rollten?! Als ob die Stadt Lindau nicht dann aufgeblüht wäre, als es diese Eisenbahnverbindung und mit ihr diese wunderbare Vernetzung von Bahn und Schiff gegeben hätte!? Als ob nicht Jahr für Jahr Hunderttausende Besucherinnen und Besucher der Stadt Lindau diese einmalige Symbiose von Uferpromenade, Bahnverbindung und Schiffsverkehr genießen würden!?

Für die Menschen am Bodensee und für Leute, die Lindau besucht haben, muss man kaum ausführen, welch eine bodenlose Zerstörungswut hinter diesen Plänen zur Aufgabe des Inselbahnhofs erkennbar ist. Für Menschen ohne entsprechende Kenntnis sei in gebotener Kürze das Folgende ausgeführt: Es gibt in ganz Deutschland kaum einen Bahnhof in dieser Kategorie, der derart (Jugend-) stilvoll, beeindruckend und städtebaulich überzeugend ist und die Bahnreisenden mit einer Ankunft direkt an der Seepromenade begeistert. Es war die Deutsche Bahn AG selbst, die kurz zuvor in einer – dann gezielt geheim gehaltenen – Studie festgestellt hatte: „Zusammenfassend hat das Bahnhofsgebäude in Lindau das Potential, Bench-Mark-Funktion (Leitbild-Funktion; d. Red.) für die touristischen Bahnhöfe in Süddeutschland und eine bedeutende Rolle als Imageträger für die DB AG zu übernehmen.“[7] Alle Menschen vor Ort, die nicht von Fremdinteressen bestimmt waren, waren sich einig, dass die Pläne zur Auflassung des Inselbahnhofs ausschließlich spekulativen Zielen dienten. Oder, wie es damals in einer Veröffentlichung der Bunten Liste hieß: „Der Bahn geht es primär ums Vergolden ihrer Grundstücke und nicht darum, ein attraktives Verkehrsnetz zu schaffen. Hier geht es um Grundstückspekulationen und sonst um gar nichts.“[8]

Bahnhofsretter

Seit diesem Zeitpunkt – und im Grunde bis zum heutigen Tag – gibt es in Lindau und Region ein hartes Ringen, diese bahn- und stadtzerstörerischen Bahnhofspläne zu verhindern. Es gab zu diesem Thema hunderte Flugblätter, eine große Zahl Sonderausgaben von Zeitschriften, Dutzende Stadtratsbeschlüsse, zwei Bürgerentscheide, mehrere Gegenentwürfe zur Optimierung des Inselbahnhofs, das lokal wichtige Bündnis „Aktionsgemeinschaft Inselbahnhof“ mit einer eigenen Publikation, dem „Bahn-Boten“ und viele hundert Artikel in der „Lindauer Zeitung“. Und bis heute wurde erreicht, dass der Inselbahnhof existiert und in Betrieb befindlich ist – auch wenn ein Fernbahnhof in Reutin gebaut und 2020 in Betrieb genommen wurde, auch wenn die Oberen im Bahnkonzern, in der Stadt und wiederholt eine Mehrheit im Stadtrat immer wieder aufs Neue Versuche starten, den Inselbahnhof auszuhungern, ihn von guten Fahrplanverbindungen abzuschneiden, ihn durch eine Rücknahme der Gleise um einige hundert Meter förmlich ins Abseits zu stellen und diesen durch ausbleibende Investitionen in Renovierung und Erhalt des Gebäudes selbst tendenziell dem Verfall näher zu bringen.[9]

Jedoch, es sei wiederholt und signalrot unterstrichen: Wir blieben ein Vierteljahrhundert gegen die breite Front von CSU, gegen die Spekulationslobby und gegen den Bahnvorstand erfolgreich: Es gibt den Inselbahnhof immer noch. Die Prognose von Dürr, Wiesheu und OB Müller, man werde die Zerstörung des Inselbahnhofs „in vier bis fünf Jahren“, also bis 2001 oder 2002 „durchgezogen“ haben, hat sich nicht erfüllt. Ein großer Teil der Züge fährt den Inselbahnhof weiter an. Und all dies ist nicht zuletzt Verdienst des Kulturpreisträgers der Stadt Lindau 2022.

Eine kleine, aber feine Feier im Bayerischen Hof?

Sagte ich, es gäbe eine breite Front von CSU und Stadtoberen zur Auflassung des Inselbahnhofs? Das stimmt so nicht ganz. Und hier schließt sich der Kreis meiner Laudatio und es betritt der Bayerische Hof nochmals die wunderbare Tribüne am See. Denn ein Höhepunkt unseres Widerstands gegen die Zerstörung des Inselbahnhofs war eine Konferenz mit dem Titel „150 Jahre Ludwig Süd-Nord-Bahn – Lasst die Kirche im Dorf und den Bahnhof auf der Insel!“. Veranstalter war die – von mir 2001 ins Leben gerufene Bahnfachleutegruppe Bürgerbahn statt Börsenbahn (BsB). Die Konferenz fand am 6. und 7. März 2004 statt. Ort der Tagung war … der Bayerische Hof. Natürlich hätten wir uns nie und nimmer einen derart prominenten Ort für eine solche Konferenz leisten – und damit mit Theo Waigel und den EU-Finanzministern konkurrieren – können. Doch es war den Menschen, die sich in Lindau gegen die Bahnhofszerstörungspläne zusammengefunden hatten, allen voran Charly, gelungen, auch prominente CSU-Menschen für unsere Sache zu gewinnen, im echten Sinne „Konservative“, also Menschen, die das Bestehende zu bewahren versuchen. Einer von ihnen war der damalige Chef und Eigentümer des Bayerischen Hofs, der heutige Senior-Chefs dieses Hotels, Dr. Richard Stolze. Er öffnete uns die Tore und die Räume des Hotels für unsere – sehr gut besuchte – Konferenz. Wir tagten dort zwei Tage lang mit prominenten Referenten – unter anderem mit den Verkehrsexperten Prof. Heiner Monheim (Trier und Bonn) und Prof. Karl-Dieter Bodack (Gröbenzell), mit dem Regisseur Klaus Gietinger (Lindenberg und Frankfurt/M.) und dem Hotelier und Eisenbahnenthusiasten Andreas Kleber (Bad Saulgau / Schorndorf). Ergänzt um eine demonstrative Fahrt über den See nach Bregenz mit dem Schiff und zurück natürlich per Zug – auch als Werbung für eine zukünftige Bodensee-S-Bahn.[10] „Bewaffnet“ mit einer noch auf dieser Schiff- und Bahnfahrt verfassten Resolution zur Verteidigung des Inselbahnhofs. Mündend in das bereits zitierte Buch „Inselbahnhof – Krimi Lindau“. Und da ich damals auch im Hotel – von Herrn Stolze senior deutlich subventioniert – nächtigen durfte und in diesem Zusammenhang wohl meine E-Mail-Adresse hinterließ, erhalte ich die genannten regelmäßigen PR-Zusendungen. Wobei deren Inhalt mich gelegentlich befürchten lässt, dass eine vergleichbare Konferenz zum Erhalt von Stadtqualität und Verteidigung des Inselbahnhofs dort kaum mehr ausgerichtet werde könnte.[11]

Doch wie wäre es, wenn Sie, Herr Dr. Robert Stolze, aktueller Chef des Hotels, eine Feier im kleinen Kreis veranstalten würden, um den Kulturpreisträger der Stadt Lindau des Jahres 2022 zu würdigen?

Anmerkungen:

[1] Charly war in den ersten Jahren Mitglied der SN-Redaktion. Später schrieb er des Öfteren für das Blatt. Charly holte mich zu dem Blatt als jemand, der rund zwei Jahre lang Gastkommentare schrieb. Wir veröffentlichten in den „Südschwäbischen Nachrichten“ auch Größeres – so den ausgefeilten, umfassenden „Alternativen Verkehrsplan Mittleres Schussental“ mit der Wiedereinführung der Straßenbahn in Ravensburg/Weingarten („s´Bähnle“). Später in Buchform veröffentlicht in: Winfried Wolf, Sackgasse Autogesellschaft – Höchste Eisenbahn für die Alternative, Frankfurt/M.1988 und 1989. S. 69ff.

[2] Siehe ausführlich die Literaturangaben auf der Website von Karl Schweizer: http://www.edition-inseltor-lindau.de/

[3] „Um Bürgern, Vereinen, Schulen ihr Grundversorgungsbad zu erhalten, hätte die Stadt 2014 „nur“ 1,75 Mio € investieren müssen, um den Sanierungsstau im [damals noch bestehenden Hallenbad-; W.W.] Limare zu beseitigen. Stattdessen forcierten Verwaltung und Stadtratsmehrheit die Therme im Landschaftsschutzgebiet auf risikobehaftetem Baugrund. Für Beratungs- und Planungskosten der Therme hat die Stadt inzwischen 1,6 Mio € bezahlt. Dahin ist auch die Hoffnung, ein Privatinvestor würde der Stadt ein neues, preiswertes Grundversorgungsbad bauen. 2017 erhöhte sich der Preis von 11,5 Mio € auf 12,45 Mio € und jetzt liegt er bei 14,4 Mio €. – Das ist der Preis der Maßlosigkeit.“ Alexander Kiss, Bunte Liste, Pressemitteilung vom 20. Februar 2018.

[4] Ich gehe auf diese systematische Politik der Überrumpelung der Öffentlichkeit bei all diesen Bahnhofszerstörungsprojekten – in Stuttgart, in Frankfurt/M., in München und in Lindau – ein ausführlich in: Winfried Wolf, abgrundtief + bodenlos, Stuttgart 21, sein absehbares Scheitern und die Kultur des Widerstands, 3. erweiterte Auflage, Köln 2019.

[5] Die mit Stuttgart 21 vergleichbaren Projekte „Frankfurt21“ und „München21“ konnten zunächst – durch massiven Bürgerwiderstand – gestoppt werden. Inzwischen leben sie neu auf – in Frankfurt/M. mit dem Projekt eines 40 Meter tief gelegenen Fernbahntunnels und in München mit dem Projekt „Zweite S-Bahn-Stammstrecke“.

[6] Eine Dokumentation der Ereignisse um die Pläne zur Bahnhofsverlegung findet sich, verfasst von Karl Schweizer, in dem Buch „Inselbahnhof – Krimi Lindau, herausgegeben von Klaus Gietinger, Wolfgang Hesse, Karl Schweizer und Winfried Wolf, Wilhelmshorst 2004 (Winfried Wolf Eigenverlag), Seiten 94ff.

[7] Studie der Deutschen immobilien-Anlagengesellschaft mbH, einer Tochter der Deutschen Bank, erstellt im Auftrag der Deutschen Bahn AG, hier wiedergegeben in: Inselbahnhof Krimi Lindau, a.a.O., S. 99,

[8] Hoybote, Zeitschrift der Bunten Liste, Juni 1997 (Sonderdruck).

[9] Im Dezember 2021 wurde die endlich elektrifizierte Strecke Ulm – Friedrichshafen – Lindau in Betrieb genommen wurde. Doch der nunmehr durchgehende IRE (ein Regionalexpress) endet in Reutin und fährt den Inselbahnhof nicht an. Laut Auskunft der DB soll der Reisende für die rund zwei Kilometer von Reutin nach Insel Lindau einen Bus mit einer Fahrtzeit von mehr als einer Viertelstunde nehmen. Siehe: Winfried Wolf, Bodensee-Motive auf WC-Scheiben – zur Eröffnung der elektrifizierten Strecke Ulm – Lindau in: KONTEXT, Stuttgart, Nr. 560, Dezember 2021. Als im Januar 2022 die Inbetriebnahme einer neuen S-Bahn-Linie aus der Schweiz über Österreich bis Lindau gefeuert wurde, hieß es in der Lindauer Zeitung in einem Beitrag von Evi Eck-Gedler: „Im Zwei-Stunden-Takt sind die Züge der „Thurbo-Bahn“ zwischen Romanshorn, Rorschach, St. Margrethen, Bregenz und Lindau unterwegs […] Was manchen stört: Diese Züge […] fahren nicht bis auf die Insel. Sie wenden vielmehr […] im Bahnhof Reutin. […] Die politisch Engagierten rund um Kreisrat Karl Schweizer üben in einem stadtweit verteilten Infoblatt Kritik, weil nach ihren Informationen die Ursache bei der Stadt Lindau zu suchen sei. ´So funktioniert eine Verkehrswende nicht´, kommentiert Schweizer.“

[10] Eine von uns und Freundinnen und Freunden eines sanften Tourismus propagierte Idee ist eine Bodensee-S-Bahn und damit die Möglichkeit, rund um den See die Kombination von Fahrrad, Bahn und Schiff nutzen und dafür einheitliche Tickets für umweltfreundliche Mobilität in den vier Ländern Deutschland, Österreich, Liechtenstein und Schweiz anbieten zu können. Siehe z.B. https://www.bodensee-s-bahn.org/ und https://de.wikipedia.org/wiki/Bodensee-S-Bahn.

[11] So wird mir in der jüngsten Aussendung vom Management des Hotels Bayerischer Hof mitgeteilt, dass „die neu erstellte Therme in Lindau unser Angebot zusätzlich (bereichert)“ habe.

Winfried Wolf ist aktiv bei Bahn für Alle und Bürgerbahn statt Börsenbahn. Er ist Chefredakteur von Lunapark21 – Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie. Er ist auch verantwortlich für die Publikationen ZeroCovid und Zeitung gegen den Krieg. Websites: www.winfriedwolf.de und www.lunapark21.net. Kontakt: redmole@gmx.net

Jüngste Veröffentlichung: Tempowahn. Vom Fetischismus Geschwindigkeit zur Notwendigkeit der Entschleunigung,Promedia Wien 2021 (220 Seiten, 16 Euro).